Die Idee
Zwanzig Jahre habe ich für sie gebraucht. Die längste Zeit davon wusste ich nicht, an welchem Mega-Projekt ich kurbelte. Am Anfang stand 1982 die Anfänger-Tour nach Rom. Die Mitte des Mittelmeers hatte ich erreicht. Fünf Jahre später folgte Santiago de Compostella. Scheinbar vom Mittelmeer wegführend. Dreizehn weitere Jahre danach erreichte ich Istanbul. Jerusalem musste folgen. Ein Jahr später. Dann erst bahnte sich der übermütige Gedanke seinen Weg, einen Kreis um dieses Meer zu ziehen.
Am Ende steht das mit Füßen erstrampelte Gefühl für die Größe des Römischen Reichs, für das 2,5 Millionen Quadratmeter große Planschbecken zwischen Europa, Afrika und dem Nahen Osten: Mediterranée. Der Mittelpunkt der Erde. Es trennt den Westen vom Orient so sehr, wie es sie verbindet. Die mediterrane Faszination siegt immer wieder über die Schwierigkeiten, die eine solche Umrundung schon ohne Fahrrad macht: unüberwindliche Grenzen. Nationen, die ihre Feinde nicht mal als Stempel im Reisepass dulden. Wüsten. Hier radeln!
Auf dem allerkürzesten Weg sind es etwa 11.500 Kilometer. Es wäre ein bisschen kürzer, wären nicht die Grenzen zwischen Algerien und Marokko, sowie zwischen Israel und Libanon/Syrien definitiv geschlossen. Seit Jahrzehnten. Nimmt man Jerusalem als Fixpunkt, so misst der südliche Teil der Strecke vom marokkanischen Tanger durch Nordafrika nach Jerusalem etwa 5.500 km. Die nördliche Hälfte vom spanischen Algeciras nach Jerusalem sind etwa 6.000 km.
Macht man dieses Meer endgültig zur Mitte einer Tour oder mehrerer Touren locken viele Vorzüge. Es ist ganzjährig zu befahren. Und kann zu jeder Zeit sonnig warm sein. Es ist schnell zu erreichen. Viele Orte werden von Billig-Fliegern angeflogen. Auch mit Zug und Bus kommt man bis Süd-Spanien und in die Süd-Türkei.
Das Mittelmeer ist der Urlaubs-Mythos des Mitteleuropäers. Der scheinbar allzeit sonnige Süden als Kontrapunkt zum tristen, tiefkühlen, temperamentlosen Norden. Genießt der Pauschalurlauber diese Sonnen-Welt eher punktuell, kann der Rundum-Radler Mittelmeer, das Erbe des Römischen Reiches als einheitlichen Raum erleben. Das Meer war das Mittel der Griechen und Römer, über das sie militärisch, ökonomisch und kulturell eine neue Welt schufen. Als Wiege des Abendlandes wurde der Mittelmeer-Raum zum historischen Mythos. Und ist zugleich unsere Fassade des Morgenlands.
Eine Mittelmeer-Umrundung ist selten eine Fahrt an flachen, sandigen Ufern. Häufig ist die Knochenarbeit. Harte Knochenarbeit. Nicht überall so famos von jedem kleinen Dorf am Ufer steilauf in die Berge führend wie im nord-italienischen Cinque Terre (Foto rechts). Hartmut Fiebig schreibt, er habe die Mittelmeer-Umrundung gebraucht, „um das Handwerk des mit dem Rad Unterwegssein zu lernen.“ Und sich so vorzubereiten auf sein „Bike-Abenteuer Afrika: Cairo - Cape Town im Alleingang“ (Reise Know-How Taschenbuch - 1994). Immer neu reizt das Meer zum Radeln. Wer sich drauf einlässt, weiß bald: das Mittelmeer ist ein großartiger Begleiter, von dem man immer wieder begeistert wird: das Blau, die Sonne, die Düfte. Und wenn die Umrundung 20 Jahre dauert: umso schöner.
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