Den einzigen, der hier im äußersten Südwesten das brasilianische Riesenreich bewacht, muss ich wecken. Es ist kurz nach acht und er ist in der Sonne sitzend eingenickt. Er kann offenbar nichts für mich tun, außer mich an die Immigracion an dem brasilianisch-argentinischen Grenzübergang in Uruguaiana, 75 Kilometer weiter nördlich am Rio Uruguay zu verweisen. Damit entscheide ich mich, dort schon wieder Brasilien Richtung Argentinien zu verlassen und nicht erst 200 Kilometer weiter nördlich bei São Borja. Es soll also ein Dreiländertag werden: vom ersten über den Rekord- zum aktuellen Weltmeister. Und mit Brasilien habe ich nun auch alle Länder beradelt, die jemals Weltmeister wurden.
Der Grenzort Barra do Quaraí ist sehr überschaubar. Gut, dass ich nicht noch gestern Abend über die Grenze gegangen bin. Der Verkehr auf der nicht übermäßig gut asphaltierten Straße tendiert gegen Null. Ich kann freihändig fahren, was meine Handgelenke weiter entlastet. Die Felder werden viel intensiver bewässert als in Uruguay. Unerwartet braust ein uralter Feuerwehrwagen vorbei: Bomberos. Ein paar Kilometer weiter sehe ich ihn wieder. Ein Auto liegt völlig ausgebrannt im Straßengraben. Rund herum war eine größere Fläche in Brand geraten und ist weitgehend gelöscht. Zwei kleine Motorflieger von einer Flugschule setzen ständig auf und heben wieder ab. Dann sind wieder nur die Vögel und mein Tretwerk zu hören.
In Uruguaiana mache ich eine Pause auf dem Praça Barão do Rio Branco vor der Kathedrale???
Ich unterhalte mich mit einem älteren Mann in Bayern-Trikot. Er bestätigt mir, dass Pelé vor kurzem gestorben ist und klagt über einen Meniskusschaden im rechten. So bleibt ihm nur ein weiterer Schluck Dosenbier. Ich radle zur Grenzbrücke. Zäune verbarrikadieren den direkten Weg. Ich sehe schon den Stau und muss aber noch einen Schlenker machen um dazuzustoßen. Was für ein Gegensatz zur Beschaulichkeit von Barra do Quaraí. Es scheint als wolle ganz Brasilien gerade heute über diesen Grenzübergang nach Argentinien. Eine schier endlose Schlange an Menschen schlängelt sich auf das Abfertigungsgebäude zu. Ich stelle Passanten ein paar polyglotte selffullfilling Fragen, um daran glauben zu können, ich bräuchte mich hier nicht anzustellen und könnte mich bei den Fahrzeugen einreihen. So bin ich ruckzuck auf der Brücke samt der Ungewissheit, ob die argentinische Immigracion irgendein Interesse an brasilianischen Ein- und/oder Ausreisestempeln hat. Beides fehlt mir ja. Ich kehre um, stoße so aber an das Ende der Schlange im Moment des Eintritts in das Abfertigungsgebäude. Die Menschen scannen mit ihren Handys wie wild QR-Codes um sich irgendwie zu registrieren. Hier will ich weder mit noch ohne Rad samt Gepäck rein. Ein paar halboffiziell aussehende geben dem ein oder anderen Antworten. Alles was sie ausweist ist ein schwarzes T-Shirt auf dem Policia Federal steht. Einer dieser Menschen spricht sogar ein bisschen Englisch. Ich erwähne kurz meine Reiseroute und schon ist er weg mit meinem. Im größten Tohuwabohu, was man sich an einem offiziellen internationalen Grenzübergang so vorstellen kann. Sollte er nie mehr auftauchen, wären meine weiteren Reisepläne akut gefährdet. Er taucht wieder auf. Hat irgendeinen Stempel mit heutigem Datum ergattert. Er meint, das sei egal ob Ein- oder Ausreisestempel, quasi ein Allzweckstempel.
Zwischen Autos und Lastwagen kämpfe ich mich über die Brücke. Die verwaiste Bahnstrecke könnte man leicht zu einem Fußgängerweg umgestalten. Oder Radweg. Stattdessen weiche ich oft auf den keinen Meter breiten bestehenden Weg aus.
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