Länger als Libyen: dreieinhalb Stunden israelische Grenzschikanen Donnerstag, 22. November 2001: El Arish - Grenze Ägypten/Israel
- Ashqelon (134 km) Würde der letzte Grenzübergang in Rafah die
dreieinhalbstündige Hängepartie vom ersten Übergang an der
tunesisch-libyschen Grenze übertreffen können? Es sieht zunächst nicht
danach aus. Vorzugsbehandlung wieder bei den Ägyptern. Als ich durch die
Grenzabfertigung bin, erwartet mich eine Schlange von etwa 200 Arabern mit
Bergen von Gepäck. Optimistisch gehe ich an ihnen entlang und tatsächlich:
Während sie auf einen Bus warten müssen, darf ich mit dem Fahrrad die etwa
150 Meter auf die israelische Seite alleine zurücklegen. Wie die nächsten
Stunden zeigen werden, bin ich in dieser Zeit der einzige, der nach Israel
einreist, während alle anderen, Palästinenser, in den Gaza-Streifen
wollen. Sie werden zwar im gleichen Gebäude abgefertigt. Aber gleich ist
nicht gleich. Das erste größere Problem: Das Fahrrad muss durch die
Röntgen-Anlage. Damit es schließlich passt, lasse ich zunächst Luft aus dem
Vorderrad, um das dann auszubauen; auch der Sattel muss ab, der
Einkaufskorb sowieso. Als ich das Fahrrad langsam wieder fahrbereit habe,
macht mich ein Grenzbeamter darauf aufmerksam, ich müsse nun die Reise mit
einem Bus, der in wenigen Minuten komme, fortsetzen. Ich frage, warum. Es
sei zu gefährlich, hier im Gaza-Streifen. Ob ich denn auf eigene Gefahr fahren könne. Antwort:
Die Gegend sei voller Terroristen. Der Grenzübergang ist eine
israelische Exklave im (israelisch besetzten und von israelischen Siedlungen durchzogenen) Gaza-Streifen. Wenige Meter von Rafah und Khan
Yunis entfernt, wo es in den letzten Tagen häufiger Tote gab. Rings um
rotieren permanent Panzer im Sand. Als ich das Rad, nachdem bereits
reichlich Minuten verstrichen sind, zur vermeintlichen Haltestelle
schiebe, meint ein anderer Beamter zu mir, warum ich nicht weiterfahre,
ich müsse nur einmal ums Gebäude und schon könne ich durch den Korridor
nach Israel. Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen. Aber an der Ausfahrt
ist Schluss. Ich müsse mit dem Bus fahren, meint ein junger Soldat, der
später noch meine große Hilfe werden soll. Und wenn ich darauf bestehen
würde, nicht nur durch den Korridor, sondern durch den ganzen
Gaza-Streifen zu radeln? Das sei möglich. Aber sehr
gefährlich. Er bestelle jetzt "the big military bus" und der
werde mich samt Fahrrad in wenigen Minuten nach Israel bringen.
Nachdem sämtliche mögliche Reparaturen am Fahrrad erledigt sind und
der erste Grenzbeamte mir zwischenzeitlich noch einmal bestätigt hat, dass
der Bus in wenigen Minuten da sei, kommt der junge Soldat vorbei. Ich
mache nun darauf aufmerksam, dass die Sonne auch an diesem Tage nicht ewig
scheinen werde und dass dadurch irgendwann das Fahrrad fahren auch nicht
einfacher werde. Obwohl er gerade in die Mittagspause geht, will er sich
noch einmal um den Military Bus kümmern. Tatsächlich, einige Zeit später,
ich habe gerade ein umfangreiches Stretching-Programm absolviert, taucht
ein Bus auf, begleitet von einem umfangreich bewaffneten Militär-Jeep.
Einziges Problem: Der Busfahrer weigert sich, mein Fahrrad in seinen
Bus zu lassen. Er meint, die paar Meter könne ich ja wohl selber fahren.
Damit steht er natürlich voll und ganz auf meiner Seite. Allein, die meisten
Grenzbeamten sehen das eben anders. Einer von ihnen hilft mir, das
Fahrrad unterm Bus zu verstauen. Als wir gerade fertig sind, vermitteln
mir meine bescheidenen Hebräisch-Kenntnisse die Information, dass der
Busfahrer gedenkt, erst in einer Stunde zu fahren. Noch bevor ich die
nächste Sonnenfinsternis beweinen kann, holen die Grenzer mein Fahrrad
wieder aus dem Bus, auf den ich immerhin zwei Stunden gewartet habe.
Wenige Minuten später steht ein doppelt verglastes Militärfahrzeug, in das
eigentlich kein Fahrrad passt, bereit. Und es geht durch einen schmalen
Korridor, der rechts durch die gestaffelten israelisch-ägyptischen
Grenzbefestigungen und links durch Stacheldraht begrenzt wird. Ganze drei
Kilometer lang. Ich bin in Israel. Dreieinviertel Stunden hat's gedauert.
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