Apokalypse Alexandria: Myriaden von Ratten am Mareotis-See Freitag, 16. November
2001: El Alamein - Alexandria (126 km) Ich habe Kilometer 21 vor
Alexandria erreicht. Es ist später geworden als geplant. Am Morgen erst
die Besichtigung der Commonwealth-Kriegsgräber (Foto rechts) und des
Museums von El Alamein, das Begeisterung versprüht über einen Krieg auf
einem riesigen Schlachtfeld ohne Zivilbevölkerung und ohne jede
Infrastruktur. Und auf dem mindestens 80.000 Soldaten im Zweiten Weltkrieg
starben. Dann 8.000 km nach dem Kauf meines Fahrrads im Juni der erste
Platten. Ein winziges Loch durch einen noch winzigeren (logo) einen
Zentimeter langen Draht. Da ist selbst der Schwalbe-Marathon-Mantel
machtlos. Und jetzt biegt die Straße wie auf der Karte (Maßstab 1:3,5
Mio., d.h. die heutige Etappe ist knapp 4 Zentimeter lang auf meiner Karte; besser gab's nicht) angedeutet, von der Küste ab. Bald geht mir das
zu weit. Zweimal frage ich, aber jedesmal bestätigt man mir auf dem
richtigen Weg zu sein. Es ist der falsche. Als es zu spät ist, stehen 15
km Umweg an. Rund um die stinkende, quadratkilometer-große Kloake des
Mareotis-Sees (Lake Mariut, Mariout, Maryut). Durch die Industriegebiete der fünf-Millionen-Metropole.
Überwiegend Petrochemie. Die einzigen Lebewesen, die ich noch sehe, sind
Myriaden von Ratten, die sich vor mir in Sicherheit bringen. Ein LKW
überschüttet mich mit einer Salve Sand. Es wird dunkel. Die Straßen werden
acht-, zehnspurig, verlaufen auf drei Ebenen. Dann muss ich auf eine
Hochstraße. Oben fahre ich zu schnell in ein Schlagloch. Höre zum Glück
wie das Batterie-Blinklicht fällt. Die Klemme ist im Eimer. Es blinkt von
nun an aus dem Fahrradkorb. Ich will den bis dahin tadellos
funktionierenden Dynamo zuschalten. Totalausfall. Aus luftigen Höhen
geht's in tiefe Tunnel. Irgendwann spüre ich wieder das Meer. Ich stehe
fast beim Fahren, weil es von See her stürmt. Endlich bin ich auf der
Uferpromenade. Das Hotel, das ich ansteuere, ist inzwischen renoviert und
kostet über 100 Dollar, für Ägypter weniger als die Hälfte. Das nächste
ist im fünften Stock. Aufzug und Treppe zu eng fürs Fahrrad. Im dritten
bleibe ich aus Verzweifelung. Das Zimmer mit Seeblick lehne ich ab, es
stürmt zu heftig. |