Tour 103: Malé - Dschidda (808 km) 2020
Saudi-Arabien 2020
Chris Tour 109: Istanbul - Bodrum (1263 km) 2021
Türkei 2021
on the Tour 114: Mongolei: Ulaanbaatar - Charchorin (582 km) 2022
Mongolei 2022
Bike Tour 117: Buenos Aires - Tacna (4005 km) 2023
Anden 2023

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VG WORTTour 117: Buenos Aires - Tacna (4.005 km)


Fahrrad am Salar de Uyuni
Salar de Uyuni

Teil 3: Tarija - Cosapa (5.+6. Woche: 6.-19.2.2023)


Die weiteren Teile hier:

Teil 1: Buenos Aires - Asunción (1.+2. Woche: 6.1.-22.1.2023)

Teil 2: Asunción - Tarija (3.+4. Woche: 23.1.-5.2.2023)

Teil 4: Cosapa - Tacna + Lima (7.+8. Woche: 20.2.-5.3.2023)


Weiterhin in Bolivien


Im Tarija Bike Center Im Internet-Café
Montag, 6. Februar 2023: Tarija

Mit dem Bike Center in Tarija hatte ich schon von Filadelfia aus Kontakt aufgenommen wegen eines neuen Mantels. Jetzt stehe ich im Outdoorbereich der Innenstadtwerkstatt. Zwei unterschiedliche Reserve-Schläuche kaufe ich, die allerdings beide etwas zu schmal erscheinen. Sorgen macht mir inzwischen die Kette, die ein bisschen ausgeleiert ist. Aber hier wollen sie sie nur mit den Zahnkränzen zusammen auswechseln. So richtig haben sie das Passende nicht beisammen. Bestellungen in Boliviens größter Stadt Santa Cruz würden vier Tage dauern. Also bleibt alles wie es ist. Ich habe vorher schon am Hotel die Schrauben und Bremsen ein bisschen nachgezogen.


Castillo Azul Moises Navajas
Castillo Azul

Blick über Tarija auf die Berge
Tarija und die Berge

Tarija: Plaza Principal Luis De Fuentes y Vargas
Plaza Principal

Casa Dorada
Casa Dorada


Mercado Central in Tarija Lange war ich schon nicht mehr in einem Internet-Café. Heute verbringe ich hier in der Mittagszeit ein paar Stunden um Dinge an der Homepage zu machen, die am Handy noch viel aufwändiger wären. Schüler verwandeln die kleine Bude in die Vorhölle, weil sie an mehreren Computern gemeinsam ein Spiel spielen, das lautstark im Raum begleitet wird. Bis die Entscheidung fällt und alle gleichzeitig abhauen.
Dann regnet es. Und entgegen der Wolkenradar-Prognose hört es gar nicht mehr auf. Als alle Museen geschlossen sind, mache ich mich trotzdem auf. Casa Azul und Casa Dorada sind auch so sehenswert. In der Markthalle ist erstaunlich viel los und zu haben. Und im besten Restaurant am Plaza gibt es Lachs mit Rosé. Schließlich liegt Tarija mitten in einer Weingegend.


Taberna Gattopardo
Taberna Gattopardo


San Lorenzo: Casa del Coronel Eustaquio 'Moto' Mendez Erste Lamas
Dienstag, 7. Februar 2023: Tarija - San Lorenzo - Tunnel Falda de la Queñua - Pass (3490 m) - El Puente - Las Carreras (99 km)

Ok. Keinen Alkohol. Eine der Empfehlungen gegen Höhenkrankheit. Ich lese vor dem Frühstück noch ein paar Ratschläge im Netz. Nicht so sehr anstrengen, zum Beispiel. Entscheidend: es ist einfach weniger Sauerstoff in der Höhenluft. Gute Hotels, so wird geschrieben, halten Sauerstoff bereit. Meine Konsequenz: intensiver Atmen.
Bevor es heute erstmals auf der Tour auf über 3000 Meter geht, führt starker Verkehr in der Ebene nach San Lorenzo. Ich mache einen Schlenker durch den Weinort, bekomme aber nirgends Weinstöcke zu sehen. Dafür viele schöne alte Häuser, darunter die Casa del Coronel Eustaquio 'Moto' Mendez. Das Museum erinnert an einen Militärführer im Unabhängigkeitskrieg von Bolivien, dem damaligen Alto-Peru.
Zurück geht's zur Ruta 1 Richtung La Paz. Am Ortsrand von San Lorenzo beginnt die Steigung, meist so um die sechs Prozent. Die Beine wollen wie gewohnt. Aber heute macht der ganze Körper mit. Atmen eben. Regelmäßige Pausen. Obwohl es heute wesentlich höher geht als vorgestern, merke ich kaum etwas.


Aufstieg über die Ebene von Tarija
Aufstieg über die Ebene von Tarija

Tunnel Falda de la Queñua
Tunnel Falda de la Queñua

Tunnel Falda de la Queñua
Raus aus dem Tunnel


Kakteen Beim Tunnel Falda de la Queñua bin ich schon auf 3.350 m und im düster tropfenden Tunnel sind es weiterhin sechs Prozent Steigung. Nach einem guten Kilometer kommt man auf der anderen Bergseite heraus. Es geht kurz bergab, bevor hinter Iscayachi schließlich eine Höhe von fast 3.500 Metern erreicht wird. Die ersten Lamas weiden am Wegesrand und Kakteenbergwüste bestimmt das Bild. Bei der Abfahrt muss ich zweimal pausieren, weil die Felgen zu heiß sind. Und dann kommt nochmal eine ganz böse zweieinhalb Kilometer lange Steigung für die kalt und müde gewordenen Muskeln.
Jetzt aber das große Finale: eine Stunde lang kann ich das Rad mehr oder weniger laufen lassen um schnell, aber nicht zu schnell, wieder auf unter 2.500 Meter zu kommen. Ich hätte irgendwo sehr schön zelten können, bin aber nicht so recht in der Stimmung. In El Puente finde ich keine vernünftige Unterkunft, aber ein paar Kilometer weiter in Las Carreras gibt es überraschender Weise ein nettes Hostal, gerade als das letzte Tageslicht verschwindet.


Río San Juan del Oro
Río San Juan del Oro


Impora: Kirche Piste
Mittwoch, 8. Februar 2023: Las Carreras - Impora - Ruta 20 (3570 m) (42 km)

Durch Blick auf die Satellitenbilder von Google Maps hatte ich vorgestern schon entdeckt, dass zwischen Las Carreras und Tupiza hundert Kilometer Piste liegen. Der Lebensmittelverkäufer gestern Abend hat mich davor gewarnt. Der Polizist heute Morgen, der mich anspricht, weil er mich gestern bei der Abfahrt überholt hat, ist auch nicht begeistert von der Strecke. Die Alternative über Potosi ist allerdings wesentlich weiter. Also los auf die Piste.
Diesmal brauche ich ernsthaft Lebensmittel für zwei Tage. Nach 23 Kilometern kommt noch Impora, wo ich gegenüber vom sehr schönen Kirch- und Blumenplatz eine Frau dazu bewegen kann, ihren Miniladen für mich zu öffnen und noch ein bisschen nachzukaufen. Zehn Liter Flüssigkeit inklusive Brauchwasser sind mit am Start. Es soll auf den ersten 4.000-Meter-Pass dieser Tour gehen, meinen zweiten überhaupt nach dem Khunjerab-Pass (4733 m) auf dem Karakorum-Highway zwischen Pakistan und China 2009.


Ruta 20: Piste
Ruta 20: Piste


Blüten Hinter Impora legt die Passstraße richtig los. Um die sechs, sieben Prozent Steigung, aber Piste. Wie gestern mache ich spätestens alle fünf Kilometer, also jede Stunde, eine Akklimatisierungspause. Gestern habe ich gar nicht geschoben, heute gelegentlich. Das Schieben forciert allerdings den Herzschlag sehr.
Als ich etwas über der Maximalhöhe von gestern bin, sehe ich am Rande der in den Felsen gehauenen Straße einen halbwegs passablen Campground. Beim Einschlagen der Heringe spüre ich plötzlich die Höhe, muss pausieren. Weit unten kann ich einen Großteil der heutigen Strecke sehen im Bergfelsenmeer der Anden. Kühe sind in der Nachbarschaft und zuletzt kommen ein paar Straßenarbeiter vorbei, die zu ihrem Quartier etwas unterhalb zurückkehren.


Zeltplatz an der Ruta 20
Zeltplatz an der Ruta 20

Straßenarbeiter am Zelt
Besuch der Straßenarbeiter

Regenpfütze am Morgen
Regenpfütze am Morgen


Wolken im Tal Tortur nach dem Pass
Donnerstag, 9. Februar 2023: Ruta 20 (3570 m) - Pass (4250 m) - Mal Paso - Tupiza (76 km)

Erst sind es Blitze in der Ferne. Dann regnet es leicht. Irgendwann stelle ich fest, dass meine Therm-a-Rest-Matte im Wasser liegt. Um halb fünf ist die Zeltnacht vorbei. Ich rette mich auf eine kleine trockene Insel im Zelt. Mein in Asuncion gekaufter Schlafsack ist bei seinem ersten Einsatz zum Glück kaum nass geworden. Ich hatte extra eine Stelle mit leichtem Gefälle gewählt. Aber in einer Kuhle hat sich Wasser gesammelt und ist dann eingedrungen. Mit dem ersten Tageslicht hört der Regen zum Glück auf und ich packe alles zusammen. Das meiste ist klatschnass.
Mit fünf Stundenkilometern zockel ich Richtung Passhöhe mit ihren 4250 Metern. Gut vier Stunden brauche ich um auf 15 Kilometern die verbliebenen 700 Höhenmetern zurückzulegen. Intensivatmen mindestens zu Beginn jedes Kilometers hilft. Und Pausen helfen ebenfalls.


Happy auf 4.250 m
Happy auf 4.250 m

Passhöhe
Passhöhe

Blumen vor der Passhöhe
Kurz vor der Passhöhe


Kakteen Die Passhöhe ist nicht wirklich markiert. Der Blick weitet sich in die nächste Bergwelt. Ich möchte schnell wieder runter, aber die Abfahrt auf der Piste ist kein großes Vergnügen. Eigenartiger Weise ist heute wesentlich weniger Verkehr auf der Piste als gestern und in der Nacht.
Mal Paso heißt die Sammlung ein paar trostloser Häuser mit ärmlich gekleideten Kindern. Danach beginnt die eigentliche Tortur des Tages. Es geht jetzt im Stil des Passes immer wieder rauf und runter. Darauf bin ich nicht vorbereitet. Ich verzweifle. Ein wunderschönes Tal kommt nach dem andern, aber mir fehlt die Kraft. Ja, in mancher Pause wünsche ich mir fast, das Fahrrad würde einfach verschwinden und ich wäre befreit von der Weiterfahrt. Dann komme ich zurück in den Rhythmus am Pass. Sobald ich intensiv atme geben Herz und Lunge das Kommando an die Beine: Go!
Nach knapp hundert Kilometern ist die Piste zu Ende. Aber auch die Straße nach Tupiza bietet noch eine kleine Passhöhe. Bis die lange Abfahrt runter auf 3.000 Meter kommt. In Tupiza ist heute ein großer Umzug im Karnevalsstil. Schaum ist die Waffe von allen gegen allen. Ich muss mich erstmal um das durchnässte Campingzeug kümmern.


Zelttrocknung auf Hoteldach
Zelttrocknung auf Hoteldach

Umzug in Tupiza
Umzug in Tupiza


Schaumkämpfe unter Jugendlichen Tonchi hilft
Freitag, 10. Februar 2023: Tupiza

Pause. Ein weiterer Tag der Akklimatisierung und Regeneration. Auch das muntere Schaumspritzen geht weiter. Zumindest unter Kindern und Jugendlichen. Es ist aber noch nicht der eigentliche Karneval. Der wird auch hier erst in zwei Wochen gefeiert.
Nachdem ich wochenlang abseits des Tourismus unterwegs war, ist Tupiza ein Touri-Hub für die Umgebung mit ihren Naturschauspielen: den Bergformationen, Salzseen, Lagunen. Üblicherweise werden sie in einer Drei-bis-vier-Tagestour absolviert. Dafür sucht auch das schweizer Paar am Frühstückstisch den idealen Anbieter und Mitreisende.
Nachdem ich im Zeltboden trotz Wassertest kein Loch entdecken kann, mache ich eine kleine Tour durchs Zentrum. Das skurrile Sammelsurium des städtischen Museums steht offen. Die alten Fotos der Minen in der Umgebung interessieren mich am meisten.
Zum Mittagessen gehe ich in ein Restaurant, das von einem meiner Reiseführer empfohlen wird. Es gibt nur das Tagesmenü: eine Reissuppe mit Gemüse, ein Schnitzel Mailänder Art mit Nudeln und Salat, ein frisch gemachter Obstsalat. Kostet alles zusammen weniger als zwei Euro.


Catedral de Nuestra Señora de la Candelaria
Catedral de Nuestra Señora de la Candelaria

Gitarrist an der Plaza de la Independencia
Plaza de la Independencia


Tonchi und Ewan Craig Auf dem Rückweg komme ich an der besten Fahrradwerkstatt von Tupiza vorbei. Tonchi hat einen winzigen Raum und einige wenige Ersatzteile und Accessoires zu verkaufen. Aber er ist ein bisschen spezialisiert auf die hier durchreisenden Fernradler. Heute ist Ewan Craig da. Der Kanadier ist unterwegs von Cartagena in Kolumbien nach Ushuaia in Feuerland. Während ich Südamerika von Ost nach West quere macht er die ganz große Nord-Süd-Tour.
Tonchi zieht so ziemlich alles an seinem Rad nach, ölt. Ewan hat das gleiche Problem wie ich: er kann nirgends Schläuche für seinen 28er Mantel nachkaufen. Jetzt hofft er auf Argentinien. Über die Grenze von Peru nach Bolivien ist er mit geringen Schwierigkeiten trotz der offiziellen Sperrung gekommen.
Am Nachmittag schaut Tonchi auch nach meinem Rad. Die Kette, die mir Sorgen macht, meint er, hält noch 5.000 Kilometer. Das beruhigt. Außerdem hat er eine Pumpe mit Druckanzeige. So kann ich endlich beide Reifen seit dem Neustart in Filadelfia auf Idealdruck bringen. Danke, Tonchi!
Bleibt der Spaziergang auf den Hügel mit der obligatorischen Christisstatue. Das besondere hier: der Rundumblick in den Talkessel von Tupiza mit seinen verschiedenen Felsfarben und -formationen.


Tupiza: Blick vom Mirador 'Corazón de Jesús'
Blick vom Mirador 'Corazón de Jesús'


Bizarre Landschaft zwischen Tupiza und Salo Im Zickzack durch die starke Steigung
Samstag, 11. Februar 2023: Tupiza - Salo - Pass (3990 m) = Touren-km 125.000 - Pass (4027 m) (46 km)

Das schweizer Paar, Ellin und Pablo, hat inzwischen eine Vier-Tages-Tour gebucht mit zwei Engländern und einem Israeli. Vielleicht sehen wir uns in Uyuni wieder. Drei Tage habe ich kalkuliert. Ich muss wieder auf über 4.000 Meter, um endgültig über die Ost-Anden ins Altiplano zu kommen. In dem abflussfreien Gebirgsplateau mit den Salzseen will ich einige Tage zubringen.
Bis Salo sind die ersten 27 Kilometer vergleichsweise flach aber unglaublich schön. Verschiedene Gesteinsarten türmen sich an den Seiten des Tals zu einem traumhaften geologischen Panorama, und am Fluss gibt es gelegentlich das Grün der Landwirtschaft.
Hinter Salo kommt die obligatorische Peaje-Station für die Straßengebühr und danach geht es steil bergauf, wesentlich steiler als bei den bisherigen Pässen. Häufig dürften es zehn Prozent Steigung sein. Dank des breiten Asphalts und des sehr geringen Verkehrs kann ich meist im Zickzack fahren und reduziere die Steigung für mich auf durchschnittlich etwas mehr als sechs Prozent. Es ist anstrengend und doch kein Vergleich mit den vergangenen Etappen. Ich bin deutlich besser akklimatisiert und ein paar Muskeln haben zugelegt.


Aufstieg hinter Salo
Aufstieg hinter Salo


Chris: 125.000 km on the Bike Die erste Passhöhe liegt auf 3990 Meter. Man sieht die verschneite Spitze des Chorolque (5603 m). Genau hier bei Tageskilometer 42 und Tourenkilometer 2772 habe ich die 125.000 Kilometer auf allen meinen Touren vollendet. Ich versuche ein entsprechendes Bild zu machen.
Kurz darauf die nächste Passhöhe, etwas über 4.000 Meter. Ich sehe unten das Dorf Florida Palca am Rio Salo, der hier ein winziger Bach ist. Von der Straße sieht es nach einem längeren dornenreichen Weg aus bis zu den wind- und sichtgeschützten Zeltplätzen am Bach. So bleibe ich knapp unterhalb der Passhöhe, wo ich einen halbwegs geeigneten Platz fürs Zelt finde. Es ist wohl die alte unasphaltierte Straße. Es ist erst früher Nachmittag, aber Weiterfahren macht von der Strecke wenig Sinn. Und erschöpft bin ich auch.


Zelten knapp unterhalb der Passhöhe (4027 m)
Zelten knapp unterhalb der Passhöhe

Feuchtigkeit am Morgen auf Zelt
Feuchtigkeit am Morgen


Ost-Anden: Passhöhe über 4.000 m Im Altiplano
Sonntag, 12. Februar 2023: Pass (4027 m) - Pässe (max. 4230 m) - Atocha (61 km)

Anfangs ist die Zeltnacht von ein bisschen Regen und kräftigem Wind begleitet. Als ich endlich alle neuralgischen Stellen am Zelt mit Steinen beschwert habe, wird es ruhig.
Auch ohne Regen ist viel Feuchtigkeit in der Luft und am Morgen im und am Zelt. Heute lasse ich es halbwegs trocknen. So geht’s gegen halb neun los. Anders als gestern mit einem langen Anstieg geht es heute zunächst stetig auf und ab. Mehrere 4100er Pässe, gekrönt vom höchsten mit 4230 Metern. Alle sind unmarkiert ohne Namensschild oder Höhenangabe. Die Landschaft ist grandios. Und die schneebedeckte Spitze des Chorolque (5603 m) bleibt auch heute ein ständiger Begleiter in der Ferne.


Spitze des Chorolque (5603 m)
Vor der Spitze des Chorolque (5603 m)

Im Altiplano
Im Altiplano


Lamas mit Nachwuchs Schließlich folgt die Straße soweit möglich einem Wasserlauf hinunter ins Altiplano. Ich bin also nunmehr über die Ost-Anden (Cordillera Oriental) in die abflusslose Hochebene geradelt, die über 3500 Meter liegt und sich von Südost-Peru durch West-Bolivien bis nach Argentinien und Chile erstreckt. Zum Pazifik hin wird sie von den West-Anden (Cordillera Occidental) abgeschlossen, die mir einen weiteren 4000er Pass bescheren werden. Am Straßenrand weiden mal mehr mal weniger Lamas.
Hinter einer Berglücke zeigt sich die Minenstadt Atocha. Gemächlicher Sonntagnachmittag. Erst vorgestern habe ich entdeckt, dass der Ort neben einfachen Unterkünften seit drei Monaten ein richtiges Hotel hat, das Atocha Inn. Mit Dachterrasse, die einen Rundumblick auf die Ortschaft im Talkessel bietet.


Atocha
Atocha


Anstieg durch Fels An der Andeneisenbahn
Montag, 13. Februar 2023: Atocha - Pass (3950 m) - Uyuni (99 km)

Ich sehe die Sonne aufgehen über Atocha im Talkessel von der Wintergarten-Dachterrasse des Hotels, dessen einziger Gast ich bin. Eine junge Frau erscheint und macht ein leckeres kleines Frühstück. Dann muss ich selber über den Talkessel hinaus. Ein steiler Anstieg ist in den Fels geschlagen. Dann geht’s durch ein wiederum einfach gigantisches Tal.
Chocaya ist nicht viel mehr als ein Lama-Gehöft, aber oberhalb gibt es einen romantischen Friedhof und neben dem Gehöft verlaufen Eisenbahngleise mit Ortsschild: Chocaya KM 642.537. So weit war es mal bis La Paz. Heute verkehrt die Ferroviaria Andina nur noch bis Oruro. Donnerstags hin, montags zurück.
Seit Tupiza habe ich an den Bahnhöfen die schmale Meterspur gesehen, halb zugewachsen, hier versandet. Heute führt die Bahnstrecke zum ersten Mal parallel zur Straße. Vor allem nach dem Pass (3950 m), wenn die Ebene des Altiplano sich ausbreitet. Tatsächlich kommt sogar ein kleiner Schienenbus dahergetuckert und hupt, als der Lokführer sieht, dass ich die Kamera zücke.
Bei Bahnstreckenkilometer 603 habe ich die Hälfte der Tagesstrecke hinter mir und mache eine Pause. Alles fällt so leicht heute. Die Sonne scheint. Sehr wenig Verkehr. Ich sehe deutlich mehr Lamas als Fahrzeuge. Vielleicht sind auch Alpakas dabei. Der Reiseführer versucht die Unterschiede zu erklären.


Ferroviaria Andina: Bahn-km 605
Ferroviaria Andina: 605 km vor La Paz


Lamas räumen die Straße Dann endet mit den Häusern von Uyuni plötzlich die Luxusasphaltierung und geht über in übelsten Dreck. Kasernen und Soldaten bestimmen das Bild. Ich radle auf einer Megahoppelpiste raus zum Zugfriedhof: ein Riesenschrottplatz aneinandergereihter Teile ehemaliger Güter- und Personenzüge. Es gibt ein Restaurant La Casa Pinguin in Verbindung mit einer Radlerherberge. Ich will‘s mir eigentlich nur mal anschauen und was essen, aber das Resto ist zu.
Ich kämpfe mich durch die schlechten Straßen, es ist heiß, ich bin müde und sehr hungrig. Schließlich finde ich einen Imbiss. Und entscheide mich dann hier zu bleiben und nicht noch die 25 Kilometer zum Salzsee zu fahren. Das Salzhotel Casa de Sal, das mir ein Kollege empfohlen hat, ist ausgebucht aber in der Vielzahl der Herbergen und Hotels finde ich ein besonders schönes.
Auch der Abendspaziergang auf der Plaza Arce mit seinen Souvenirläden und vielfältigen Restaurants versöhnt mich mit Uyuni. Das Veggie-Café Llama erst recht.


Altes Rathaus
Uyuni: Altes Rathaus

Indio-Modell
Bezahltes Indio-Modell


Pirelli-Radreifen Ein wahr gewordener Traum
Dienstag, 14. Februar 2023: Uyuni - Colchani - Salar de Uyuni - Colchani (41 km)

Ich lasse es ruhig angehen heute. Es soll nur eine kurze Etappe werden, wenn auch gewissermaßen die Krönungsetappe zum Ziel der Ziele: Salar de Uyuni. Ich will Briefmarken kaufen. Doch da wo die Post auf alten Stadtplänen eingezeichnet ist, hängt nur noch ein verblichenes Emblem. Die Agencia Boliviana de Correos hat sich aus dem 12.000-Einwohner-Ort, der hoch gepriesenen Hauptstadt des bolivianischen Tourismus, zurückgezogen. Was wird jetzt aus den Amazon- und DHL-Lieferungen? Immerhin vor dem Gebäude finde ich ein bolivianisches Fotomodell - gegen Bezahlung.
Vor dem Start hole ich wieder ein paar Scherben und ähnliches aus dem Pirelli-Vordermantel. In den letzten Tagen habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, die Mäntel regelmäßig zu checken, vor allem nach so katastrophalen Strecken wie in Uyuni. Am Stadtausgang, wo die Straße wieder in Asphalt übergeht, wiederhole ich das Ganze.
Der Wind auf den zwanzig Kilometern bis Colchani kommt gegen meine Fahrtrichtung aus Nordwest vom Salar: Meer liegt in der Luft. Und dann sieht man es am Horizont weiß glänzen rund um die Silhouette der Hotels direkt am Salzmeer. Von Colchani biegt dorthin eine wiederum katastrophale vier Kilometer lange Piste ab, samt Kreuzung der Bahnstrecke. Dann eine letzte, offenstehende Schranke und es ist nur noch weiß oder Wasser.
Ich weiß, dass die Regenfälle der vergangenen Tage die geplante, rund hundert Kilometer lange Kreuzung des Salars mit der einzigen Zwischenstation Isla Incahuasi mit ihren Kakteen für mich unmöglich gemacht haben. Es wäre schön gewesen. Aber allein hier am Rand das Salz und Salzwasser zu erleben, leicht einzusinken, barfuß darin zu waten, die Spiegelungen, das Panorama der entfernten, teils schneebedeckten Vulkane sind ein wahr gewordener Traum.


Salar de Uyuni: Chris and his Bike
Salar de Uyuni

Salar de Uyuni: Hinterrad sinkt ein
Hinterrad sinkt ein

Salar de Uyuni: Rad von oben
Rad im Salz


Salar de Uyuni: Portemonnaie auf Schranke Viele, viele Jahre habe ich Fotos gesehen von den bizarren Salzmustern rund um glückliche Radler*innen. Als ich mich dann mal spaßeshalber mit dem genauen Wo und Wie dieses größten Salzmeeres der Welt beschäftigt habe, hatte es noch weniger mit mir und meiner Zukunft zu tun: viel zu hoch und abgelegen. Und jetzt bin ich doch da. Cycle your dreams. Und mit mir sind ein paar Motorbiker und einige Jeeps vor Ort. Die fahren noch etwas weiter hinein. Weit kommen auch sie nicht. Eine Frau tanzt mit ihrer kleinen Tochter durch das warme Wasser. Die Helligkeit hellt auf.
Kurz Panik. Mein Portemonnaie habe ich auf der Schranke liegenlassen, nachdem ich es dort zur Stabilisierung des Smartphones brauchte für ein Selbstauslöserfoto. Als ich es eine Viertelstunde später bemerke, liegt es immer noch unauffällig dort.
Ich könnte mittags noch weiterfahren und zelten. Aber ich bin erschöpft. Allein die drei Edel-Salz-Hotels mit ihren dreistelligen Dollarpreisen stehen nicht so recht im Verhältnis zur Tour und dazwischen das Hostal, ebenfalls schick mit Salzquadern gebaut, ist ausgebucht. Ich holper zurück nach Colchani. Einige Unterkünfte sind geschlossen. Regen-Nebensaison. Das Hostal de Sal ist geöffnet, aber niemand da. Alle Zimmer stehen offen, aber leer. Ich besuche noch das kleine Lama- und Salzmuseum im Ort und warte ein, zwei Stunden, bis die Hostelbesatzung auftaucht, bevor die Jeeps mit den Kleingruppen eintreffen. Es ist ein Zimmer frei für mich. So viel hatte ich schon in der Dispo gesehen. Happy Chris.
Weil mein Zimmer nach Osten liegt, entdecke ich zu spät, welch gigantischer Sonnenuntergang sich auf dem Salar anbahnt. So kann ich nur das letzte Glühen aus der Ferne bewundern. Beim Abendessen sitze ich mit einer sehr sympathischen Vier-Tage-Touren-Gruppe zusammen. Ein brasilianisches Paar, zwei Schweizerinnen, Vater und Tochter aus Wasserburg am Inn plus Reiseleiter, der auch der Fahrer ist. So passen alle in ein Auto. Das müssen sie auch unerwartet wieder packen, denn plötzlich heißt es, morgen würden sowohl die Zufahrt zum Salar als auch nach Uyuni blockiert. Ich sei nicht betroffen, meint die Hostalleiterin.


Hotel de Sal Cristal Samaña
Hotel de Sal Cristal Samaña

Hostal de Sal
Hostal de Sal

Sonnenuntergang über dem Salar
Sonnenuntergang über dem Salar

Colchani am Morgen
Colchani am Morgen


Colchani: Blockade der Autos Blockade
Mittwoch, 15. Februar 2023: Colchani - Pässe (max. 3915) - Rio Mulato (80 km)

Das Frühstück sei 'a las siete punto' - mit der Betonung auf punto, heiß es. Es ist dann doch nicht ganz so punto. Es gibt Kaffee-, Milch- und Kakaopulver, zwei Minifladen mit Marmelade und ein bisschen Rührei. Hostal eben. Die beiden verbliebenen Gäste wissen wohl nichts davon. Als ich fertig bin, sind sie ohne Frühstück davongezogen.
Aus dem Klofenster sehe ich nicht nur den düster bedeckten Himmel, sondern auch eine lange Bus- und LKW-Schlange am Ortsrand. Offenbar ist es ernst mit der Blockierung der Strecke. Am Ortsrand schiebe ich um einen Pulk Leute rum. Einige Buspassagiere kommen mir zu Fuß entgegen, hoffen auf Weitertransport nach Uyuni am andern Ortsende. Ich radle im Windschatten der zwangsgestoppten Busse und Lastwagen, auch über eine richtige Barriere aus Schutt. Die Blockierer meinen es ernst. Ende offen.
Rolling home ist jetzt eigentlich mein Gefühl. Aber der Wind widersetzt sich jedem Rolling. Er kommt im Kern von vorne aus Norden. Jetzt heißt es: nur so schnell fahren, wie es dem Körper leichtfällt. Und wenn es elf oder zehn Stundenkilometer sind. Mentaltrick: Ich fahre doppelt so schnell wie beim Aufstieg in die Anden. Die Umstände annehmen wie sie sind. Sich freuen über jedes kleine Nachlassen des Windes oder eine kleine Straßenwendung aus dem frontalen Wird. Kurz: Liebe deine Gegenwinde.


Der Salar aus der Ferne
Der Salar aus der Ferne


Wolken über dem Altiplano Und Pausen machen. Die erste an einem Aussichtsturm. In der Ferne sieht man den Salar de Uyuni als weißen Streifen am Horizont. Es geht naturgemäß aufwärts, aber gemächlich. Rund 500 Meter Anstieg verteilen sich auf 60 Kilometer. Es gibt kleinere Pässe, zweimal geht es knapp über 3.900 Meter.
Oft sind selbst die flachen Abfahrten mühsam gegen den Wind. Vor allem nach dem letzten Pass in der weiten Fläche auf Rio Mulato zu. Ich vermute hinter dem Namen nur eine Flussüberquerung. Aber vom Bahnhof aufwärts zieht sich ein respektabler Ort den Berg hinauf. Und unten an der Straße ist ein kleines Restaurant. Kurz vor drei bekomme ich hier immerhin noch eine Suppe. Und im Hinterhof gibt es bescheidene Zimmerchen für drei Euro. Zum ersten Mal übernachte ich in der Kategorie Hospedaje oder Alojamiento. Das passt mir heute besser als das Zelt. Zumal genau in diesem Moment eine Serie von Minischauern beginnt. Ich wollte eigentlich etwas weiter kommen heute, bin aber vom Gegenwind völlig ausgelaugt.
Was für eine gute Entscheidung. Es ist noch keine acht Uhr abends als ein Riesengewitter über Rio Mulato niedergeht. Eine Flut von Blitzen, Donner aller Art, im Nu hat Hagel alles weiß gemacht, der Strom fällt aus. Ich habe eine trockenes Zimmer und lege mich in meinem Schlafsack aufs Bett.


Rio Mulato: Hagelschauer
Rio Mulato: Hagelschauer


Felsenmauer In der Heimat des Ex-Präsidenten
Donnerstag, 16. Februar 2023: Rio Mulato - Sevaruyo - Santuario de Quillacas - Orinoca (135 km)

Die Ruhe nach dem Sturm. Nahezu windstill ist der Morgen. Später kommt Rückenwind hinzu. Ich fliege die ersten 70 Kilometer dahin. Dann verlasse ich die Ruta 21 Richtung Westen. Richtung Santuario de Quillacas ist es nun anstrengender und der Ort liegt auf der Höhe. An der höchsten Stelle liegt die Plaza Principal. Punkt zwölf bin ich da. Jetzt ist Hochbetrieb bei den mobilen Küchen, die sich hier aneinanderreihen. Ich habe die Auswahl.
Als ich gut gegessen habe, taucht Franzose Patrick Rastello auf. Er ist von Santiago de Chile raufgekommen und hat so wie ich insgesamt acht Wochen Zeit. Er will nach Santa Cruz kommen. Er hat nur acht Kilo Gepäck und auch sein Karbonrad ist ein Leichtgewicht. Allerdings ist der Rentner ohne Zelt unterwegs und so immer auf eine feste Unterkunft angewiesen. Bonne Route.
Das Santuario von Santuario de Quillacas ist gut verschlossen in der Kirche. Also weiter.


Santuario de Quillacas: Mittagessen
Santuario de Quillacas: Mittagessen

Santuario de Quillacas
Santuario de Quillacas

Patrick Rastello
Patrick Rastello


Sand auf der Landstraße Die Landschaft des Altiplano ist ein Genuss. Ich bin auch heute den ganzen Tag über begeistert. Am rechten Rand ziehen sich die Gipfel der Ost-Anden hin, hier und da stehen Bergfetzen in der Gegend rum, erstaunlich breite Flüsse queren die Straße, aber die Ebene ist immer anders. Am Nachmittag kommt Sand dazu. Dünen erstrecken sich bis auf die Straße. Vögel halten sich in stehenden Gewässern auf, Lamas sind überall aber auch ein Nandu, ein Strauß-ähnlicher Vögel, rennt mit mir um die Wette.
Der Asphalt ist etwas rauer, aber dafür habe ich die Nebenstrecke so gut wie für mich allein. Nach Orinoca geht’s zuletzt ein bisschen hinauf. Es ist der Geburtsort von Präsident Evo Morales, von 2006 bis 2019 erstes indigenes Staatsoberhaupt von Bolivien. Hoch über dem Ort thront ein Museumsneubau für die "demokratische und kulturelle Revolution". Doch es ist dauerhaft geschlossen. An mehreren Tafeln im Ort werden die Wohltaten des Präsidenten für seine Heimat gewürdigt. Der kleine Ort hat eine sensationelle Infrastruktur samt überdimensioniertem Fußballstadion.
Das bei Google Maps verzeichnete Hotel wird nicht mehr als solches genutzt. In der Nähe steht ein relativ neues dreistöckiges Hospedaje. Niemand da. Alles steht offen. Ich quartiere mich in Zimmer 4 ein, weil dort ein Schlüssel liegt. Als ich von einem ausführlichen Rundgang zurückkehre, funktioniert der Schlüssel nicht. Das heißt, ich komme an fast alle meine Sachen nicht ran. Kurz darauf kommt der Hospedaje-Betreiber, schließt mir das Zimmer auf und verlangt das Doppelte von dem, was mir Nachbarn als Zimmerpreis nannten.


Bei Orinaco
Bei Orinaco

Plaza de Orinoca
Plaza de Orinoca


Ohrenschutz Wunderbare Nebenstrecke
Freitag, 17. Februar 2023: Orinoca - Corque (120 km)

Meine Ohren haben gestern wohl etwas zu viel Sonne abbekommen. Ich hatte sie nicht richtig eingecremt, weil es morgens bedeckt war. Heute werden sie deshalb komplett verhüllt.
Es sind hundert Kilometer auf der wunderbaren Nebenstrecke bis zur Ruta Nacional 12. Zum ersten Mal auf meiner Tour, wenn ich mich richtig erinnere, gibt es ab und zu kleinere Ortschaften. Lamas weiden allenthalben mit Zaun oder Hirte. Es gibt sogar ein bisschen Ackerbau. Dann kommen wieder sandigere, salzige Strecken. Die Gipfelkette der Ost-Anden entfernt sich langsam, dafür tauchen auf der anderen Seite die ersten Anzeichen der West-Anden auf.


Käse
Käse

Salzreste am Wegesrand
Salzreste am Wegesrand


Kaum befahrbarer Radweg an der Ruta 12 Reichlich erschöpft bin ich, als ich die Nationalstraße erreiche. Ich will oder muss noch zwanzig Kilometer bis Corque. Nach drei fast verkehrsfreien Tagen fällt es schwer, mich erst wieder an Lärm und Gestank von Bussen und Lastwagen zu gewöhnen. Die Betonplattenfahrbahn reflektiert die Geräusche besonders intensiv. Da wo bisher bei den Nationalstraßen ein komfortabler Randstreifen war, ist hier neben der Ruta 12 ein kaum befahrbarer Radweg.
Heilfroh erreiche ich Corque. Das Hostal Samaraña Uta ist einfach, aber sehr gepflegt. Die Gastgeber sind sympathisch. Auf der Plaza gibt es am Entel-Kiosk kostenloses Wlan. Ich kann endlich wieder ins Netz. Rundherum hört man die typische Karnevalsmusik aus der nahegelegenen Narrenhochburg Oruro.


Corque: Wlan auf der Plaza
Corque: Wlan auf der Plaza


Corque: Lama auf der Plaza In der Karnevalshochburg
Samstag, 18. Februar 2023: Corque - Bus - Oruro - Bus - Corque

Ich lese so ungern in Reiseführern von dem einen festlichen Highlight im Jahr eines Ortes, das den Besuch erst so richtig lohnen würde. Denn niemals ist man genau zu dem Zeitpunkt dort. Heute soll es anders sein. Eine Pause auf dem Rad ist überfällig und das Epizentrum des bolivianischen Karnevals ist 90 Kilometer entfernt: Oruro.
Oruro ist auch das einzige Ziel der Sammeltaxis, die an der zentralen Plaza, auf die sich auch ein Lama verirrt hat, warten. Gleichwohl ruft und hupt der Fahrer in die Sabbatruhe ständig: "Oruro". Er lässt bei der Abfahrt sogar ein paar Plätze frei. Dann geht es zunächst genau die Strecke entlang, die ich gestern zuletzt auf der Nationalstraße radelte. Einer nutzt tatsächlich den dubiosen Radweg: ein Herr von der Straßenreinigung.
Oruro hat mehr Einwohner als Mainz. Vom Karneval ist zunächst nicht viel zu sehen, obwohl der Minivan bis ins Stadtzentrum fährt. Bald höre ich die typische Blasmusik. Dann ist es gar nicht so leicht, unmittelbar an den Zug ranzukommen. Zäune, große Tribünen und viele Sicherheitskräfte verhindern das, aber ab und zu und irgendwie ist dann doch ein Durchlass.
Der Zug mit seinen verkleideten Gruppen, Musikkombos und Fahrzeugen erinnert an Mainz. Aber hier ziehen sie den ganzen Tag auf der Route und gestern und morgen auch. Ursprung sind wohl Inkatraditionen, auch Protest gegen die Kolonialmacht, gleichwohl christlich angepasst.


Oruro: Karneval
Oruro: Karneval

Oruro: Karneval

Oruro: Karneval

Oruro: Karneval: Santuario de la Virgen del Socavon
Santuario de la Virgen del Socavon

Oruro: Karneval

Oruro: Lateinamerikas größter Mariendarstellung: Monumento a la Virgen del Socavon
Lateinamerikas größte Mariendarstellung: Monumento a la Virgen del Socavon


alt="Oruro: Ich begleite den Zug bis ins Ziel, eine Kirche. Im Santuario de la Virgen del Socavon wartet ein Priester jeweils bis die Kirche mit Umzugsgruppen gefüllt ist, betet, stimmt ein Lied an und dann ziehen die Karnevalisten am Heiligtum vorbei, teils kniend. Rückwärts gehend verlassen sie danach die Kirche.
Am Platz davor ist die Talstation einer Kabinenbahn hinauf zu Lateinamerikas größter Mariendarstellung. Am Fuße von Maria mit Jesuskind im Arm versuchen sich Narren, Hochzeitspaare und Reisende in Selfies und sonstigen Spezialaufnahmen. Von der Stadt klingt Musik und Geböller den Berg hinauf. Es ist eine sehr schöne Atmosphäre, die mich wieder unten begleitet, als ich mir auch noch ein paar historische Gebäude ansehe. Überall werden unterschiedlichste Getränke, Imbisse und alles Mögliche angeboten, auch die Schaumspritzdosen, mit denen sich vor allem Jugendliche beschießen.
Morgen früh um vier Uhr beginnt das Finale mit der Vertreibung des Teufels. Ein junges deutsches Paar, das gerade aus La Paz angereist ist, will angesichts astronomischer Übernachtungspreise vielleicht die Nacht durchmachen. Jetzt versuchen sie erstmal die Tribüne zu finden, für die sie Tickets erworben haben. Ich komme mit zwei Stadtkleinbussen zum großen Kreisverkehr. Der Bus nach Corque ist schon fast voll und entlässt uns dort wieder in die Beschaulichkeit des Dorfplatzes.


Oruro: Schaumschlacht im Karneval


Lama mit Spiegelung Freikauf bei den Indios
Sonntag, 19. Februar 2023: Corque - Turco - Cosapa (142 km)

Noch einmal zwölf Kilometer auf der Betonpiste der Ruta 12. In Ancaravi geht es auf die Ruta Nacional 27, die zur Ruta 4 führt und zwar auf wunderbarem Asphalt und nahezu ohne Verkehr. Dafür tauchen verstärkt Lamas auf. Ich komme gut voran. Morgens ist meist wenig Wind.
In Turco mache ich einen Abstecher in die Ortsmitte, auch wenn das immer mit kurzen Pistenfahrten und viel Dreck verbunden ist. In der alten Kirche im Kolonialstil erlebe ich um zwölf Uhr gerade noch die Schlussworte des Gottesdienstes in einer Indiosprache und den Segen auf Spanisch.
Schräg gegenüber landet in einer kleinen Kaschemme ein Lamastück auf dem Teller. Draußen ist das Tier als güldenes Denkmal dargestellt. Im Fernsehen läuft der Karneval von Oruro weiter. Man sieht, dass Sonntag der Höhepunkt ist. Trotzdem toll, die Locations wieder zu sehen. Auch an den Reporterplätzen und Übertragungswagen bin ich gestern vorbeigekommen.


Kirche von Turco
Kirche von Turco

Lamafleisch zum Mittagessen
Lamafleisch zum Mittagessen

Lamadenkmal
Lamadenkmal


Gipfel bei Cosapa Mit Turco ist das Tagesminimalziel erreicht. Aber nach einer längeren Pause bin ich wieder gut fit und kräftigen Rückenwind habe ich auch. Doch wie fast jeden Tag ist der Wind unbeständig. Am späteren Nachmittag dreht er und kommt dann frontal von vorne. Jetzt ist es sehr mühsam - bis die Straße im 90-Grad-Winkel abbiegt. Nun ist es also Seitenwind mit allergrößter Heftigkeit. Erstmals auf der Tour habe ich Angst, dass das Rad umfällt, wenn ich es abstelle. Der schneebedeckte Gipfel des Sajama (6542 m) taucht auf. Erstaunlicherweise werde ich kaum müde heute. Bei dem heftigen Wind ist an einen Zeltaufbau nicht zu denken. Ich radle durch bis Cosapa.
Vor der ebenfalls altehrwürdigen Kolonialkirche von Cosapa finden Rituale statt und die Kirchtür steht offen. Ich mache draußen extra keine Fotos und gehe in die Kirche. Dort fotografiere ich den Altarraum. Das jedoch, erfahre ich nun, dürfe ich nicht, außerdem hätte ich zuvor Kontakt mit den Ältesten aufnehmen müssen. Wie ein Straftäter werde ich aus der Kirche geführt. Eine Frau versperrt das Tor zu meinem Fahrrad. Andere versuchen zu vermitteln. Ich muss nun Coca-Blätter annehmen und kauen, aus der Schnapsflasche trinken. Nur raus komme ich nicht und mein eigentliches Problem, die Quartiersuche geht gar nicht voran. Schließlich kann ich mich durch Zahlung von rund sieben Euro freikaufen. Das Bett in einem leeren Mehrbettzimmer kostet mich weniger als die Hälfte.


Cosapa: Hochaltar
Cosapa: Hochaltar

Cosapa: Kirche & Plaza
Kirche & Plaza

Indio-Party
Indio-Party


Die weiteren Teile hier:

Teil 1: Buenos Aires - Asunción (1.+2. Woche: 6.1.-22.1.2023)

Teil 2: Asunción - Tarija (3.+4. Woche: 23.1.-5.2.2023)

Teil 4: Cosapa - Tacna + Lima (7.+8. Woche: 20.2.-5.3.2023)


Route Buenos Aires - Tacna + Lima




Vikunja
Vikunja am Wegesrand


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