Tour 103: Malé - Dschidda (808 km) 2020
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Mongolei 2022
Bike Tour 117: Buenos Aires - Tacna (4005 km) 2023
Anden 2023

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VG WORTTour 117: Buenos Aires - Tacna (4.005 km)


Radlerdusche
Gran Chaco: Heißes Wasser auf heißen Kopf

Teil 2: Asunción - Tarija (3.+4. Woche: 23.1.-5.2.2023)


Die weiteren Teile hier:

Teil 1: Buenos Aires - Asunción (1.+2. Woche: 6.1.-22.1.2023)

Teil 3: Tarija - Cosapa (5.+6. Woche: 6.2.-19.2.2023)

Teil 4: Cosapa - Tacna + Lima (7.+8. Woche: 20.2.-5.3.2023)


Weiterhin in Paraguay


Brücke über den Rio Paraguay Glück im Chaco
Montag, 23. Januar 2023: Asunción - Ruta Transchaco KM 183 (184 km)

Ich bin den Anden etwa so nah wie Flensburg den Alpen. In meinem Fall liegt der Chaco dazwischen. Eine der am dünnsten besiedelten Gegenden Lateinamerikas, unwirtlich, Savanne. Mennoniten hat man dort Land gegeben. Vor allem wird es dort jetzt im Sommer täglich um die 40 Grad heiß. Zu heiß zum Radeln. Deshalb bin ich auch heute früh am Start. In meinem formidablen Palmaroga-Hotel bietet man mir sogar um halb sechs ein kleines Express-Frühstück. Im Halbhellen geht's noch einmal an den Sehenswürdigkeiten im Zentrum vorbei. Ich wähle die ganz großen Straßen, um nicht in Brennpunktviertel zu geraten. An einer Stelle schlafen sie auch hier reihenweise auf dem Bürgersteig. Ein großer Bogen um den riesigen Botanischen Garten, dann fahre ich auf die Brücke über den Rio Paraguay zu. Im Dunst liegt hinter mir die Skyline der Stadt.
Die vorerst letzte Tankstelle kommt bei Kilometer 45. Bis Tages- und Markierungkilometer 50 ist es noch besiedelt. Ein Checkpoint und dann beginnt die wahre 'Ruta Transchaco', als die sie beschildert ist. Die nächste Tankstelle kommt erst bei Kilometer 157. Ein schmales Asphaltband durch eine unwirtliche Gegend. Mein Glück: direkt daneben verläuft ein kompletter, fast fertiger Neubau dieser Fernstraße bis km 525. Hier und da gibt es Lücken, deshalb ist die Strecke nicht freigegeben, aber ich kann da wunderbar ungestört radeln. Sogar auf der linken Seite, was ich intuitiv meist tue, wenn es mir freigestellt ist.
Die Umgebung ist allerdings nicht wüstenähnlich, sondern eher sumpfig, sehr grün. Viele, viele Vögel um mich herum und ständig hunderte weiße Schmetterlinge. Der Wind hält sich halbwegs neutral und so brause ich Stunde um Stunde auf dem supersoften Asphalt. Dazu gesellt sich am Himmel eine ganz dünne Wolkenschicht, die gerade heute die Temperaturen halbwegs im Radelbereich hält.


Neuer Asphalt auf der Ruta Transchaco
Idealer Radweg: Neuer Asphalt auf der Ruta Transchaco

Pferde im Chaco
Pferde jenseits des Zauns


Comercial Maciel: Einkauf durch Gitter Bei Kilometer 105 die erste Möglichkeit etwas zu kaufen. Ich hatte die Vorräte aufgestockt, aber was richtig Kaltes wäre schön. Der 'Parador Chaco Sur' wirkt allerdings nicht sehr einladend. Durch ein Gitter kann man das kaum vorhandene Angebot betrachten. Immerhin entdecke ich einen Soja-Apfelsaft. Das Wasser, das ich mir hinterm Haus abfüllen darf, ist trübe, brackig. Seit Buenos Aires habe ich kein einziges Mal Wasser gekauft, immer war alles aus jedem Hahn bedenkenlos trinkbar. Das ist nun vorbei.
Bei der vergleichsweise luxuriösen Tankstelle bei Kilometer 157 fühle ich mich trotz der Nachmittagshitze immer noch fit. Doch als ich aus der Klimaanlagenkälte herauskomme, ist es draußen kühler, dunkle Wolken sind aufgezogen und der Wind hat gedreht, weht jetzt so gut wie frontal entgegen. Aus den gefühlt möglichen 200 Kilometern heute wird nichts. Nie mehr? Egal, es wird die längste Etappe der Tour.
Auf der Strecke vor mir hat's geregnet. Als ich einmal von der neuen Piste runter muss, bleibt mir nur der Gang durchs Schlammbad zwischen dem Fahrbahnen. Schuhe, Rad, Klamotten alles ist verschmiert, die Räder sind blockiert.
Trotz der offenbar nur begrenzt nutzbaren Landschaft zieht sich unverändert wie seit Buenos Aires links und rechts ein lückenloser Zaun entlang der Straße. Und kommt mal ein Tor zu einer Estancia, einer Farm, einem Anwesen, ist das durch ein schweres Schloss gesichert. Außer kurz hinter Kilometer 183. Hier ist das Tor unter dem Schild 'Guayacan' mehr oder weniger nur angelehnt, der Weg offenbar sehr selten befahren und das dicke Schlosstor kommt erst ein paar hundert Meter weiter. Das ist meine Chance. Ich drücke das Tor auf, schiebe mein Rad hindurch. Auf der rechten Seite des Weges undurchdringliches Grün, aber links ein traumhafter See, wie zum Zelten und Baden gemacht. Dornen gibt es auch. Vielleicht habe ich mein Rad zu nah an die Zeltstelle herangeführt.


Zeltplatz an der Ruta Transchaco, km 183
Zeltplatz an der Ruta Transchaco

Estancia Guayacan
Estancia Guayacan


Fahrradflicken an Tankstelle Erster Plattfuß. Und zweiter. Und dritter.
Dienstag, 24. Januar 2023: Ruta Transchaco KM 183 - Pozo Colorado (87 km)

Im Paradies gibt es Mücken. Deshalb traue ich mich erst aus dem Zelt, als es halbwegs hell ist. Das Zelt ist von außen klatschnass. Ich packe trotzdem zusammen. Um sieben Uhr bin ich auf der Strecke. Der Gegenwind ist es auch. Was gestern weitgehend leicht und einfach dahinfloss, ist heute mühsamst vom ersten Moment an. Schön zu erleben aber sind die vielen Vögel: wie sie aufsteigen, wenn ich über die neue Fahrbahn rolle.
Die zweite, eher kleine Tankstelle lockt mich von der Straße. Wie üblich ist das Gelände nicht asphaltiert. Ich suche den Schatten vor dem Gebäude. Hole wieder trübes Brauchbrackwasser. Als ich mich wieder aufs Rad schwinge, setzt das Hinterrad auf. Mein erster Plattfuß nach 1600 Touren-Kilometern. Beim ersten Flicken warte ich nicht lange genug. Der zweite hält. Vorerst.


Asphaltierung der Ruta Transchaco
Frischer Asphalt


Shell-Tankstelle in Pozo Colorado Fast eine Stunde hat die Zwangspause gedauert. Dazu das unverändert lahme Tempo durch den Gegenwind. Ich komme in die Mittagshitze. An der dritten Tankstelle kippe ich noch einen eiskalten Joghurtschlauchliter hinein. Ansonsten alle zehn Kilometer eine Brauchwasserdusche, die von mal zu mal heißer wird. Im Grunde habe ich noch Glück, dass hier und da ein Wölkchen über mir schwebt.
Es sind noch gut vier Kilometer bis zum ersten und vorerst einzigen Hotel auf der Strecke in Pozo Colorado, als ich spüre wie das Hinterrad eiert. Meine Theorie: die Hitze des Asphalts hat die Vulkanisierung des Fahrradflickens aufgeweicht. Noch kann ich rollen. Ich steige aus dem Sattel um das Hinterrad zu entlasten und gebe alles, alles, um das Ziel noch fahrend und nicht in der Hitze schiebend zu erreichen.
Mit der allerletzten Luft in Reifen und Lunge erreiche ich das Ziel. Ich taumel erst in die Shell-Tankstelle, wo Riesenklimaanlagen gegen die Hitze kämpfen, die durch die sperrangelweit aufstehende Tür dringt. Der Rezeptionist im Hotel ein paar Meter weiter will mir unbedingt ein Zimmer andrehen, das noch günstiger als das knapp zwanzig Euro teure Einzelzimmer. Ich kann mich durchsetzen. Aber habe jetzt ein Problem mit dem Schlauch im Hinterrad.
Am Abend will ich den Schlauch erstmal wechseln. Ich stelle fest, dass ich das an der Rohloff-Hinterradnabe noch nie gemacht habe. Fernando aus dem Nachbarzimmer lässt mich auf seinem Handy einen entsprechenden YouTube-Film schauen. Das Wlan auf dem Gelände funktioniert nicht. Der Wechsel klappt. Und der Anschlusswassertest bestätigt: der Flicken, der 60 Kilometer gehalten hat, ist inzwischen an einer Stelle undicht.


Der Schlauch und die Rohloff-Schaltungf
Der Schlauch und die Rohloff-Schaltung

Morgendämmerung: Shell-Tankstelle in Pozo Colorado
Morgendämmerung


Vogel landet auf Ruta Transchaco Der lange Tag an der Tanke und auf dem Asphalt
Mittwoch, 25. Januar 2023: Pozo Colorado - Rio Verde - Teniente Primero Manuel Irala Fernández (119 km)

Der Tag beginnt eigentlich schön und früh. Die Tankstelle leuchtet vor dem Morgenrot. Früh geht's los. Allerdings weht auch heute der Wind von vorn. Trotzdem komme ich einigermaßen voran. Erstes Ziel eine Tankstelle bei Tageskilometer 55. Schon nach 43 Kilometern merke ich, dass der Schlauch im Hinterrad leicht nachgibt. Aber es ist schon ziemlich heiß. Ich trete kräftig in die seit Tagen quietschenden Pedalen. Lege mich soweit es geht nach vorne oder steige aus dem Sattel, um das Hinterrad zu entlasten. So schaffe ich es bis kurz vor der Tankstelle. Nur die letzten anderthalb Kilometer muss ich schieben.
Die Tanke von Copetrol in Rio Verde fällt deutlich kleiner aus als erwartet. Rund um die Tanksäulen wird gebaut, es gibt einen mittelgroßen Laden, aber keine echte Raststation. Es ist kurz nach halb zehn. Mir ist klar, dass ich viele Stunden hier verbringen muss, denn bis ich das Rad repariert habe, ist die Hitze zu groß zum Fahren. Vor dem Laden finde ich ein Plätzchen im Schatten.
Nach einiger Zeit mache ich mich an das Hinterrad. Ich finde zwei Löcher. Ein größeres ist offensichtlich entstanden durch das Aufsetzen der Felge bei meinen letzten Fahrversuchen. Ein kleineres ist entstanden am alten Flicken. Sehr blöd. Ich klebe einen langen und einen kleinen runden Flicken drauf. Dann dämmer ich auf dem Beton liegend weg. Stunde um Stunde vergeht. Es wird immer heißer. Drei, vier Frauen scheinen davon zu leben, dass sie Autofahren Tee aus einer Thermoskanne anbieten. Die ganze Zeit über sehe ich kein einziges erfolgreiches Verkaufsgespräch. Gegen fünf Uhr am Nachmittag gehe ich zur Fahrbahn und lege meine Hand auf den Asphalt. Er ist glühend heiß. Ich muss noch eine Stunde warten.


Copetrol-Tankstelle in Rio Verde
Copetrol-Tankstelle in Rio Verde

Laden mit Kinderfahrrädern
Laden mit Kinderfahrrädern


Nachmittagssonne und Wolken auf der Ruta Transchaco Dann radle ich los. Der Gegenwind ist geblieben. Jetzt ziehen auch noch Wolken auf. Und dann regnet es. Richtig. Ich suche Schutz unter einem Baum, das Fahrrad steht im Regen. Der Regen hört auf, aber die Blitze begleiten mich bis spät in die Nacht. Dafür dreht jetzt endlich der Wind. So fährt es sich leichter.
Auch diesmal hält der gepflegte Schlauch nicht sehr lange. Nach 35 Kilometern Fahrt seit der Tankstelle, Tageskilometer 90, muss ich um 21 Uhr in der Dunkelheit an einer beleuchteten Kreuzung halten. Als ich vom Fahrrad steige, höre ich noch eine Schlange rascheln. Ich trete ein paar Mal kräftig auf und die Schlange zieht davon.
Jetzt zeigt sich, was ich innerhalb von 24 Stunden gelernt habe. In Windeseile kann ich die Schläuche tauschen. Ich habe immer noch einen ungenutzten Schlauch, aber den will ich nicht einsetzen. Deshalb tausche ich immer die beiden geflickten Schläuche.
Ich kann gut weiterfahren in der Nacht. Inzwischen haben die Fahrbahnen der Ruta Transchaco gewechselt. Die neue Fahrbahn ist jetzt für den Autoverkehr freigegeben. Die alte, die offenbar erhalten wird, ist jetzt der ideale Radweg. So rolle ich durch die warme Nacht.
Irgendwann muss ich mich für einen Nachtplatz entscheiden. Ich erreiche einen größeren Ort: Teniente Primero Manuel Irala Fernández, kurz Irala Fernández genannt. Ein Held des Chaco-Krieges zwischen Paraguay und Bolivien 1932 bis 1935. Auch um 23 Uhr sitzen hier und da noch Leute vor ihren Häusern. Aber ich kann mich nicht so recht entscheiden, eine der Gruppen nach einem Schlafplatz zu fragen. Schließlich sehe ich eine Kirche. Ganz spontan drehe ich ab und halte hier. Zwei Frauen sind noch auf dem Compound unterwegs. Sie wecken den Verantwortlichen und er lässt mich neben einem der vielen Gebäude mein Zelt aufbauen. Auch irgendwelche Deutsche sollen auf dem Gelände sein, aber die würden schon schlafen.


Reifenflicken in der Nacht
Reifenflicken in der Nacht


Draht schaut aus Fahrradmantel Rundumerneuerung gefragt
Donnerstag, 26. Januar 2023: Teniente Primero Manuel Irala Fernández - Ruta Transchaco KM 399 - PickUp-Autotransport (rund 60 km) - Filadelfia (9 km)

Die Nacht im Zelt ist extrem heiß. Obwohl ich praktisch nichts anhabe, schwitze ich endlos. Der Morgen ist eine Erlösung. Allerdings ist auch der Reifen wieder platt. Und da ist auch der Verantwortliche wieder in aller Frühe. Er leitet die katholische Radiostation, die hier angesiedelt ist. Und er holt einen der Deutschen. Michael arbeitet für das kirchliche Hilfswerk 'Missio München'. Nach der langen Corona-Pause ist er gerade zum ersten Mal wieder hier um die Projekte zu unterstützen. Jetzt will er aber erstmal zum Gottesdienst. Ich komme spontan mit. Gut, dass ich nicht mein verschwitztes Trikot aus der Nacht angezogen habe.
Im Gottesdienst ist nicht nur Michaels Frau Monika, sondern auch der deutschstämmige Bischof des Bistums, genauer "Apostolischer Vikar von Pilcomayo" (43.000 Katholiken, 11 Priester, 125.000 qkm) mit Sitz in Mariscal Estigarribia: Lutger Alfert alias Lucio. Seinen mit 75 Jahren obligatorisch eingereichten Rücktritt hat der Papst nach sehr langem Warten im November endlich im Alter von inzwischen 81 Jahren angenommen. Auch sein vorübergehender Nachfolger, der Administrator bis zur Bestimmung eines neuen Bischofs, ist dabei. Auch er ist deutscher Oblaten-Pater. Sie sind wie die ganze Gottesdienstgemeinde in dem Versammlungsraum hier, um an einer Bistumskonferenz teilzunehmen. Die Messe wird schwungvoll mit Gitarre gefeiert.
Danach gibt es Frühstück. Vor allem der alte Bischof erzählt mir viel über seinen Einsatz für die indigenen Völker, die schwierige Zusammenarbeit mit den ebenfalls deutschstämmigen Mennoniten. Er ist durch eine Krankheit sehr geschwächt. Ein Kollege hatte noch vor wenigen Jahren eine Fernsehreportage über ihn gemacht.
Verschiedentlich wird mir Hilfe mit meinem Radproblem angeboten, aber hier vor Ort kann man nichts machen. Ich wechsle erneut die Schläuche, obwohl die Hoffnung gering ist, noch weit damit zu kommen. Meine Hoffnung richtet sich auf Filadelfia. Die Stadt ist Mittelpunkt der Mennonitenkolonie Fernheim. Hier könnte es eventuell einen passenden Mantel und Schläuche geben. Schon in der Nacht hatte ich beim Schlauchwechsel festgestellt, dass sich aus dem Mantel ein Draht am Rand herausfrisst. Ich habe ihn zweimal gekappt, aber das Drahtende hat einmal einen Schlauch zerstochen, außerdem verliert der Reifen an Stabilität. Ich brauche also eine Rundumerneuerung.


Irala Fernández: Gottesdienst im Pfarrsaal
Irala Fernández: Gottesdienst im Pfarrsaal

Chris und Bischof Lutger Alfert alias Lucio
Mit Bischof Lutger Alfert alias Lucio


Radler auf Pickup-Ladefläche mit Rad Beim letzten Radlversuch komme ich nur noch neun Kilometer weit. Mitten auf der Strecke an der Ruta Transchaco muss ich abbrechen. Ich sehe nur eine Möglichkeit: trampen. Niemand hält bei den ersten Versuchen, aber hier gibt es einzelne Farmen. Man verweist mich an einen Holzkohlenhändler. Die ganze Familie ist dabei einen Nissan zu beladen. Er selbst hat keine Möglichkeit, mich nach Filadelfia zu bringen, aber sie organisieren einen anderen Fahrer. Er erscheint mit seinem Pick-up. Auf der Ladefläche sollen nicht nur das Fahrrad und meine Taschen befördert werden, sondern auch ich. Sie stellen extra einen Plastikstuhl auf die Ladefläche, damit ich dort Platz nehme. Ich verzichte dankend und setze mich lieber auf den Boden der Ladefläche. Vorne fährt noch seine Frau mit. Rund 50 Euro will er für die 60 Kilometer haben.
In der prallen Sonne gleitet nun der Chaco an mir vorbei. Unglaublich wie lang 60 Kilometer aus dieser Perspektive sind. Er bringt mich bis zum Hotel Florida im Zentrum der 15.000-Einwohner-Stadt Filadelfia. Das Hotel ist sehr schön angelegt mit großem Innenhofgarten samt Pool. An der Rezeption, wo man, wie überall hier, perfekt Deutsch spricht, verweist man mich mit meinem Radproblem an einen Motorsportladen. Allerdings machen die Geschäfte erst um 14 Uhr wieder auf.
Es wird noch einen Tick später, bis ich samt Rad mit Dennis dem Chef von Motosport Repuestos spreche. Er ist sofort sehr hilfsbereit, hat aber weder einen passenden Mantel noch passende Schläuche. Reifen mit 28 Zoll sind in Südamerika sehr selten. Er empfiehlt einen älteren Fahrrad-Reparateur direkt um die Ecke. Peter Teichgräf alias Pedro macht gerade, neben seiner Frau sitzend, eine Pause vor der Werkstatt. Er hätte sogar überraschender Weise einen passenden Mantel, wenn er den letzten nicht vor genau zwanzig Minuten verkauft hätte. Es ist unglaublich. Die nächste Lieferung von seiner Tochter aus Deutschland erwartet er in sieben bis zehn Tagen.
Ernüchtert kehre ich ins Hotel zurück, telefoniere mit Miri und spiele dann erstmal wie vereinbart online Doppelkopf mit der Heimat. Kurz vor Ladenschluss tauche ich noch einmal bei Dennis auf. Ich erzähle ihm von meinem Pech bei Peter Teichgräf. Dennis will sich daraufhin nochmal bei seinen Kontakten in ganz Paraguay nach einem passenden 28-Zoll-Mantel umhören. Ich tauche schließlich ab in den Pool. Falls ich länger hierbleiben muss, ist es jedenfalls ein angenehmer Ort.


Hotel Florida, Filadelfia
Hotel Florida, Filadelfia

Dennis von Motobike inspiziert Rad
Dennis von Motobike inspiziert Rad

Avenida Hindenburg in Filadelfia
Hauptstraße Avenida Hindenburg

Koloniehaus in Filadelfia
Altes Koloniehaus


Priska und Paul mit Helmut Klassen im Industriemuseum von Filadelfia Museumsbesuche und Optimismus
Freitag, 27. Januar 2023: Filadelfia

Zwangs-Pausentag also in der Mennonitenkolonie Fernheim. Mir geht‘s gut. Das ist das Wichtigste. Aber dem Fahrrad nicht. Miri hat rausgefunden, dass DHL Express etwas möglicherweise in zwei, drei Tagen in meine Gegend schicken könnte. Vielleicht kommt Dennis von Motorsport weiter.
Ich fange erstmal mit Besichtigungen an. Ein großer Museumskomplex samt Touristeninformation ist direkt gegenüber vom Hotel. Das waren mal die ersten Gemeinschaftshäuser, nachdem diese Mennoniten aus der damaligen Sowjetunion in den 30er Jahren hierhin flohen.
Die junge Frau an der Touristeninfo schickt mich zum Industriemuseum ein paar Meter weiter, weil das nur am Freitagmorgen geöffnet hat. Auf dem Weg dahin kommt man am Epizentrum der Konsumwelt von Filadelfia vorbei: der Ferreteria und dem Supermercado der 'Kooperative Fernheim', die auch mein Hotel betreibt. Auch die Ferreteria hat Fahrräder. Der Verkäufer meint, im 25 Kilometer entfernten Loma Plata, Zentrum der Kolonie Menno, könne es Schlauch oder Mantel in meiner Größe geben.
Im Industriemuseum zeigt mir Helmut Klassen die alten Maschinen zur Baumwollproduktion und Stromerzeugung. Zum Teil von der Firma Wolf aus Magdeburg-Buckau. Was ihn noch mehr beschäftigt: der Tod seiner Frau vor anderthalb Jahren. Sie hatte Diabetes, Corona und wenige Tage nach Befreiung vom Beatmungsgerät blieb das Herz stehen. Auftritt Priska und Paul. Das junge Paar strahlt mit Kleidung, Figur und Lockerheit die Leichtigkeit ihrer Tropenreise aus. Ein gutes halbes Jahr sind sie zwischen Kolumbien und Feuerland unterwegs. Die stetig steigende Hitze im alten Museumsbau scheint ihnen nichts anzuhaben.
Ich bin kurz darauf froh über die Klimaanlage im Koloniehaus mit der Geschichte der Kolonie und dem Naturkundemuseum, wo ich die Vielfalt der Flora und Fauna gezeigt bekomme. Bevor alles gegen elf Uhr in die Mittagspause geht, bin ich nochmal bei Dennis. Er kümmert sich weiter um einen 28er Mantel für mich, ist unheimlich engagiert, während ringsum seine Mitarbeiter die Motorradfreaks bedienen.


Radreparaturversuch im Hotelzimmer
Radreparaturversuch im Hotelzimmer


Pedro alias Peter Teichgräf: Fahrradwerkstatt in Filadelfia Zurück im Hotel meint auch die Dame an der Rezeption, im Nachbarort Loma Plata könnte ich Erfolg haben. Ein Bus fahre morgen um sieben. Über WhatsApp frage ich Dennis danach. Stundenlang arbeite ich im klimatisierten Hotelzimmer am Rad. Es finden sich in beiden Schläuchen einige Löcher. Meinen Mantel muss ich wohl definitiv aufgeben. Sind es Dornen von der Zeltnacht oder Scherben von der Tankstelle? Die Frage bleibt ungeklärt.
Auf Miris Rat hin montiere ich den bisher voll funktionstüchtigen Vordermantel mit neuem Schlauch nach hinten. Parallel stellt Miri fest, dass jegliche Materialtransporte (anders als Dokumente) aus Deutschland zehn bis vierzehn Tage hierhin brauchen würden - plus Ungewissheit beim Zoll. Ich nehme Kontakt auf mit Schwalbe-Zentralhändlern in Buenos Aires und São Paulo, die allerdings nicht antworten. Ich schreibe Fahrradläden in der nächsten größeren Stadt auf meiner Route an: Tarija in Bolivien. Anna bietet Unterstützung aus Argentinien an. Ich telefoniere mit meinem Heimat-Fahrradhändler in Mainz-Bretzenheim, Joachim Pokorny. Er gibt mir vor allem eine realistische Einschätzung eines Mantels an dem sich der Draht an einer Seite Stück für Stück verabschiedet: Die Stabilität lässt nach. Das ist zu gefährlich und hält eh nicht lange.
Dann ziehe ich nochmal auf der Avenida Hindenburg, der als Reichspräsident - wie ich durch meine Museumsbesuche jetzt weiß - einem Teil der Vorfahren die Flucht aus der Sowjetunion nach Deutschland ermöglicht hat, zu meinen Fahrrad-Gewährsleuten. In der Werkstatt von Peter Teichgräf ist großer Lärm. Eine Klimaanlage wird installiert. Die Kundschaft wolle das so. Peter ist sicher längst im Rentenalter, aber da er nicht für die Kooperative gearbeitet hat, muss er für seinen Ruhestand selbst sorgen. Dennis bei Motosport hat inzwischen einen Transport von Pirelli-Reifen der Größe 700 x 38C aus der 800 Kilometer entfernten Ciudad del Este angeleiert. Sie sollen Montag oder Dienstag eintreffen. Ob sie passen ist unklar. Meine bisherigen Mäntel haben die Größe 700 x 35C, sind also 3 mm schmaler. Und er hat in Loma Plata welche bestellt. Die sollen schon morgen früh kommen. Er selber macht allerdings einen Wochenendausflug mit einer Bikergruppe. Seine Mitarbeiter seien instruiert.
Als ich abends meine Runden im Pool drehe, bin ich optimistisch, dass es morgen deutlich weitergeht.


Mit Dennis von Motobike
Mit Dennis bei Motobike


Fahrrad auf Felge im Hotel Florida von Filadelfia Reifentransportversuche aus Loma Plata
Samstag, 28. Januar 2023: Filadelfia

Gestern sind noch zwei Museen übrig geblieben. Bezeichnenderweise stecken übrigens an vielen Museumstüren die Schlüssel von außen und die Gebäude sind zum Teil ohne Personal. Ein Museum stellt die Geschichte der Wiedertäufer-Bewegung samt ihren Abwegen wie in Münster und die Entstehung der vielen Mennoniten-Richtungen dar. Das andere zeigt die Begegnung mit der indigenen Bevölkerung, die von fast allen hier 'Indianer' genannt werden, und deren Missionierung.
Dann sollte der Mantel da sein. Gilberto aus Dennis Laden spricht recht gut Deutsch. Er meint, es habe ein Problem mit dem Auto gegeben, deshalb komme der Mantel jetzt am Nachmittag mit dem regulären Omnibus. Also ist Zeit, ein paar Postkarten zu schreiben. Ich habe die ersten brauchbaren in drei Wochen gefunden.


Kutsche in Filadelfia
Alte Kutsche


Swimmingpool im Hotel Florida, Filadelfia Ich brauche mich am Nachmittag gar nicht erst zu Motosport zu begeben. Gilberto kommt zum Hotel mit der schlechten Nachricht, auch der Bustransport habe nicht geklappt. Aber es werde noch einen dritten Versuch heute geben: jemand bringe ihn nachher. Ein deutsches Ehepaar im Hotel übersetzt inzwischen. Sie leben im Süden des Landes und besuchen gerade den dreijährigen Enkel aus einer beendeten Beziehung ihres Sohnes. Das Treffen auf neutralem Terrain mit Mutter und Kind findet am Hotelpool statt. Da setzt ein kräftiger Regen ein. Und Gilberto meint, damit werde aus dem Reifentransport, von dem ich nach wie vor nicht weiß, ob er mir überhaupt hilft, frühestens Montag etwas. Wäre ich mal selber heute nach Loma Plata gefahren. Gleichwohl: die Pause tut gut, die Regeneration bei mir ist spürbar und noch ist alles gut im Zeitplan.


Sonntagsgottesdienst in der  Katholischen Kirche von Filadelfia
Sonntagsgottesdienst in der Katholischen Kirche von Filadelfia


Sonntagsgottesdienst in der Mennonitenkirche in Filadelfia Glaubens- und Lebenserfahrungen
Sonntag, 29. Januar 2023: Filadelfia

Alle Gottesdienste in Filadelfia beginnen am Sonntag um neun Uhr. Außer dem katholischen. Der ist um acht. Rund vierzig Gläubige verlieren sich jetzt in den Sommerferien in den ersten Reihen des riesigen Kirchbaus. Es zelebriert der selbe Priester wie am Donnerstagmorgen bei der Bistumstagung. Er erkennt mich wieder, als ich am Ausgang bei ihm vorbeikomme.
Ich trampe zurück ins Zentrum. Die, die mich mitnehmen, wollen zur freikirchlichen Gemeinde 'Jesus unterwegs'. Sie setzen mich direkt vor der riesigen Hauptkirche der Mennoniten ab. Noch bevor ich mich setzen kann, kommt Oliver zu mir. Er arbeite hier auch als Pfarrer, habe in Basel Theologie studiert. Wir unterhalten uns ein bisschen. Der Gottesdienst ist in Deutsch, ein paar Liedzeilen in Spanisch. Eine Dolmetscherin übersetzt aus einer Kabine auf UKW 105,5. Und auf YouTube finde man alle auch live und aufgezeichnet.
Das dicke, in Wiesbaden gedruckte Gesangbuch der Mennoniten-Gemeinden von Paraguay ist eine bunte Mischung. Zu Pianobegleitung stimmen zwei junge Frauen die Lieder an. Ein älterer Mann predigt über den Frieden mit Gott, sich selbst und den Mitmenschen. Und plötzlich ist der Gottesdienst zu Ende, geht mir ein bisschen ins Leere. Aber Oliver erzählt mir, dass sie durchaus das Vaterunser, Abendmahl und Segen im Repertoire haben.


Sonntagsgottesdienst in der Mennonitenkirche in Filadelfia
Sonntagsgottesdienst in der Mennonitenkirche in Filadelfia


Sonntagsgottesdienst in der Kirche 'Jesus unterwegs' in Fildafelfia Da auch dieser Gottesdienst nur eine Dreiviertelstunde gedauert hat, laufe ich noch einen Kilometer raus zu 'Jesus unterwegs'. Vor dem langgestreckten Haus, um das sich Pickups und SUV versammelt haben, treffe ich meine Tramperfahrerin. Der Gottesdienst läuft noch. In dem tief gekühlten und abgedunkelten Bau verfolge ich auf einem Plastikstuhl Zeugnissen von Glaubenserfahrungen. Jenni berichtet - alles wird sofort zwischen Deutsch und Spanisch vom Leiter übersetzt - dass Gott sie und ihren Mann, Manfred, in den vergangenen Jahren in Kirgistan enttäuscht habe, aber dass sie durch eine Begegnung in dieser Woche neues Gottvertrauen geschöpft habe. Hier gibt es einen Segen und ein schmissiges spanisches Hallelujalied mit Band.
Auf dem Rückweg komme ich am Friedhof vorbei. Ich finde das Grab von der Ehefrau meines Industriemuseumführers Helmut Klassen. Am 6. Oktober 2021 ist Erna Klassen geb. Wiebe verstorben.
Und wer sitzt später im Hotelrestaurant beim Mittagessen? Jenni und Manfred mit Luzie. Da gibt es viel zu erzählen von Glaubens- und Lebenserfahrungen in China, Kirgistan, Paris, Guatemala und Paraguay. Und den langen Weg der drei ehemaligen Mennoniten aus ihrer alten Glaubensgemeinschaft in der Freiheit ihrer Freikirche. Und die Zeit von Jenni und Manfred in Deutschland, wo man zum Fischen und Jagen eine Genehmigung braucht und die Menschen in ihren Wohnungen leben statt draußen.


Blumen im Garten des Hotels Florida
Blumen im Garten...

Blumen im Garten des Hotels Florida
...von Hotel Florida


Gilberto von Motobike hat den neuen Pirelli-Mantel gebracht Superhappy
Montag, 30. Januar 2023: Filadelfia - Mariscal Estigarribia (94 km)

Da ich immer noch im Ort bin kann ich meine Postkarten mit den Briefmarken, die ich Samstag gekauft habe, selbst zur Post bringen. Jede wird einzeln per Hand in eine Liste eingetragen. Für jedes Land gibt es ein unterschiedliches Porto. Nach Deutschland sollen sie vier Wochen brauchen.
Dann bin ich wieder bei Dennis, biete an, selbst nach Loma Plata zu fahren um den Mantel zu holen. Doch Dennis schickt einen eigenen Mann dahin und um kurz nach neun steht Gilberto mit dem Pirelli-Mantel vor meiner Zimmertür, genauer: Pirelli Phantom Street 40-622 700 x 38C - Made in China. Laut Aufdruck aufzupumpen bis maximal 45 psi, also etwa 3 bar. Nur der halbe Druck, den ein Schwalbe Marathon aushält. Deren Reifen werden nach eigenen Angaben in Indonesien hergestellt, jeden Monat mehr als eine Millionen. Einen Reflektionsstreifen hat der Pirelli nicht. Ganz egal: Er passt! Ich muss nur das Schutzblech am Vorderreifen etwas nach außen setzen. Die beiden zugeflickten Schläuche werden zur Reserve. Alles scheint zu halten. Ich bin superhappy.


Straße bei Filadelfia
Straße bei Filadelfia


Pirelli-Reifen: Phantom Street 40-622 700x38C Um halb elf sage ich nach vier Nächten Goodbye im Hotel Florida und rolle über die Streets of Filadelfia zurück Richtung Ruta Transchaco. Nach dreizehn Kilometern kommt noch ein Shortcut. Nach einer knappen Stunde erreiche ich bei der Tankstelle Copetrol von Villa Choferes del Chaco die Ruta Transchaco. Ich fahre einfach weiter, auch wenn auf den restlichen 80 Tageskilometern nichts zu erwarten ist. Aber ich will nicht jetzt schon eine längere Pause machen.
Der Himmel ist leicht bewölkt. Ich radle in die Mittagshitze. Einmal versuche ich im Schatten eines Baumes zu pausieren, aber die kleinen Mücken verjagen mich schnell. Obwohl es nur um die 35 Grad warm sein soll, quält mich die Hitze bis kurz vor dem Ziel die Wolkendecke geschlossener wird. Am Ortsrand von Mariscal Estigarribia liegt die Zollstation. Früher gab‘s hier den Ausreisestempel - mehrere hundert Kilometer vor der Grenze. Doch das scheint Geschichte. Inzwischen soll es ihn direkt an der Grenze geben.
Das Hotel La Estancia ist ganz ordentlich in dem kleinen Ort. Auch er benannt nach einem General: Mariscal José Félix Estigarribia. Ich schlender durch die Abendhitze noch zum emeritierten deutschen Bischof, den ich zufällig vor ein paar Tagen schon kennengelernt hatte. Er zeigt mir noch die von ihm erbaute Kathedrale, in dem noch sein Wappen hängt: mit einem Strauß für die Natur des Chaco. Außerdem hat er ein verstaubtes Museum aufgebaut über den Krieg im Chaco, den Beginn der Missionierung und frühe Ölbohrungen. Das interessiert den kolumbianischen Ingenieur im Hotel, der bei seinem sechsten Corona-Bier sitzt und wegen der Suche nach Öl hier wochenweise wohnt.


Bischofskirche Kathedrale Santa Maria in Mariscal Estigarribia
Bischofskirche Santa Maria in Mariscal Estigarribia


Regenbogen über dem Gran Chaco Trotz Regen klimaanlagenreif
Dienstag, 31. Januar 2023: Mariscal Estigarribia - La Patria (123 km)

Es regnet und blitzt die Nacht über. Heute soll es zum ersten Mal auf meiner Tour unter 30 Grad bleiben. Als ich nach dem Frühstück losradle steht bald der Regenbogen zwischen den Wolken. Eine Stunde lang regnet es kräftig. Ein warmer Guss. Ich kann wunderbar radeln. Auch danach als es eine Weile windstill ist. Alles trocknet schnell. Später kommt wieder Gegenwind auf.
Ich fahre 120 Kilometer lang eine schnurgerade Strecke. Hier und da die verbarrikadierte Einfahrt zu einer Estancia. Eine einzige Despensa (ein kleiner Laden), aber die liegt dornenverdächtig zu weit vom Asphalt. Riesige Kakteen tauchen gelegentlich auf. Es ist sehr wenig Verkehr. Vögel und Tiere dominieren Optik und Akustik. Zweimal trollt sich ein Fuchs vor mir von der Fahrbahn.


Blüten
Flowerpower


Tor zu einer Estancia Nach hundert Kilometern kommen zwei winzige Steigungen: die ersten seit der Brücke über den Rio Paraguay vor 600 Kilometern. Dann wird das Ende des Asphalts verkündet. Aber nur weil der Ausbau der Ruta Transchaco in La Patria endet. Der Abzweig zur Grenze mit Bolivien, den ich nehmen will, mit weiteren 120 Kilometern ist asphaltiert.
An der Kreuzung von La Patria gibt es ein paar Läden und eine Unterkunft. Eine weitere ist im Bau. Die Hospedaje wird mir überteuert angedreht. Aber weil am Ende doch noch reichlich Sonne schien, der Sonnenschutz aber mit dem Regen davonschwamm, bin ich am frühen Nachmittag wieder längst klimaanlagenreif.


Kakteen
Kakteen

Rolling
Rolling

Savanne
Savanne


Wurm vor Fahrrad Schnurgerade
Mittwoch, 1. Februar 2023: La Patria - Mayor Infante Rivarola - Grenze Paraguay/Bolivien - Puerto Sucre +21 km (152 km)

Ich pumpe noch einmal nach bei beiden Reifen. So langsam kommt die Sicherheit zurück auf dem Rad, das Gefühl, dass es läuft. Nach dem ganzen Schlamassel kann ich diesen Morgen endlich wieder so richtig genießen. Zwei, drei Fahrzeuge begegnen mir pro Stunde. Meist bin ich mit den Tieren und ihrer Geräuschkulisse allein.
Der Wind ist eher zickig. Und natürlich ist es wieder heiß, bis ich - trotz Start vor Sonnenaufgang - nach 115 Kilometern den winzigen Grenzort, bestehend vor allem aus Flughafen und Kaserne von Mayor Infante Rivarola passiert habe.
Unmittelbar vor der Grenze mache ich an der einzigen Tankstelle des Tages Rast. Mein letztes paraguayisches Kleingeld investiere ich in Getränke. Zahlung mit Kreditkarte oder Geldwechsel sind nicht möglich. Angesichts der Ungewissheit jenseits der Grenze hätte ich gern noch aufgestockt. Ich überlege sogar, hier die Nacht auf einer Bank zu verbringen. Die Einladung des Tanke-Zweimannteams, das mit Walkie-Talkie kommuniziert, steht.
Nachdem ich ein paar Stunden Hitze abgewartet habe, denke ich: besser eine Grenzüberquerung um sechs Uhr abends als um sechs Uhr morgens. Genau nach zwei Wochen und über tausend Rad-Kilometern verlasse ich Paraguay, in dem ich mich außergewöhnlich wohl gefühlt habe.


Rad auf Straßenmitte
Alone on the road

Tankstelle Petrochaco in Mayor Infante Rivarola
Letzte Tanke in Paraguay


Bolivien


Grenzstation Paraguay/Bolivien bei Mayor Infante Rivarola / Puerto Sucre Paraguayische und bolivianische Grenzabfertigung sitzen in einem Gebäude. Der Paraguayer überrascht mich mit der Frage nach meinem Beruf. Lehrer sage ich angesichts der regelmäßigen Journalistenmorde im Land. Die Bolivianerin will den Impfpass mit den Covid-Impfungen sehen. "Tres" überzeugt sie.
Drüben spricht mich eine einsame Geldwechslerin an. Aber an einem Wechsel von zwanzig Dollar ist sie nicht interessiert. Also weiter. Der Wind kommt jetzt von hinten. Die Straße geht genauso schnurgerade voran wie die letzten Tage. Nur die Vegetation ist viel näher an den Asphalt gepflanzt. Und wirkt äußerst dornig.
Mit Sonnenuntergang sehe ich rechts eine Lücke dank eines Weges. Der führt direkt durch ein Tor, doch das ist nicht wie in Paraguay immer, verschlossen. Direkt hinter dem Tor kann ich im dornigen Sand das Zelt aufbauen. Das Rad lege ich hin - ohne Bodenberührung der Reifen.


Ruta 11 in Bolivien
Ruta 11 in Bolivien

Zelten an der Ruta 11
Sonnenaufgang


Bolivien: Soldatendenkmal am Straßenrand Hügelige Piste
Donnerstag, 2. Februar 2023: Puerto Sucre +21 km - Ibibobo - Villa Montes (82 km)

Im Zelt ist es auch diesmal extrem heiß. Obwohl ich das Außenzelt weitgehend offen stehen lasse. Ich zerfließe die ganze Nacht. Entsprechend feucht ist vieles beim Einpacken.
Auch diesseits der Grenze ist die Straße recht einsam. Das bedeutet aber auch: ohne bolivianisches Geld muss ich die achtzig Kilometer bis Villa Montes mit meinen Lebensmitteln auskommen. Es läuft auch zunächst wunderbar. Bei Ort und Kaserne Ibibobo beginnt wie vom Höhenprofil verheißen die erste hügelige Passage seit Asuncion. Die Beine müssen sich wieder an Höhenmeter gewöhnen. Die Anden kommen.
Mitten in den Hügeln endet völlig überraschend die erstklassige Asphaltstraße. Plötzlich Kies. Ein bisschen Straßenbauarbeiten, aber im Wesentlichen muss ich mit einer schlechten Piste klarkommen. Plötzlich schwinden meine eh sehr dürftigen Vorräte. Ich habe kaum noch Kalorien an Bord und das Wasser verdunstet über und in mir im Rekordtempo. Kies und Spätvormittagshitze lassen mich gar nicht mehr vorankommen.


Ruta 11 als Piste
Ruta 11 als Piste


Die ersten Hügel nach dem Gran Chaco Bei einem einsamen Häuschen kann ich eine Wasserflasche auffüllen lassen. Angeblich Trinkwasser. Ich habe in 30 Stunden zehn Liter getrunken. Und es ist nicht genug. Ich radle noch langsamer um kräftesparender voranzukommen. Nach rund zwanzig Kilometern Piste, rund zwanzig Kilometer vor Villa Montes beginnt der Asphalt wieder - genauso unerwartet wie er aufgehört hat.
Jetzt läuft‘s wieder. Aus der Hitze rette ich mich in das erstbeste Hotel von Villa Montes alias Villamontes. Nach einer sehr langen Pause kann ich am späten Nachmittag und Abend meine ersten Erfahrungen mit dem bolivianischen Kommerz machen. Und in der Kirche kann ich das Ende der Weihnachtszeit mitfeiern: Darstellung des Herrn alias Mariä Lichtmess, das hier mit einer Kerzenprozession durch die Kirche gefeiert wird. Direkt hinter dem Ort erheben sich die Berge. Ich habe den Fuß der Anden erreicht.


Villamontes: Plaza Cívica: Bernardino Bilbao Rioja
Militärdenkmal in Villa Montes


Rio Pilcomayo Grandiosität
Freitag, 3. Februar 2023: Villa Montes - Cañón del Pilcomayo - Pass (990 m) - Palos Blancos (69 km)

Ich bin gar nicht sicher, ob ich heute fit genug für die erste Bergetappe bin. Tausend Höhenmeter stehen an. Meine mögliche Exit-Strategie: in sechs Kilometern gibt es ein Topthermalhotel. Ein Tagesminimalziel. Schleppend schleiche ich mich durch Frühstück und Einkäufe. Währung und Warenangebot sind noch ungewohnt. Kakao und Joghurt scheinen völlig zu fehlen.
Doch dann führt ein breiter grüner Mittelstreifen-Radweg aus Villa Montes heraus direkt auf die Anden zu. Und die Euphorie, diesen Gebirgszug erreicht zu haben und sich nun daran abkämpfen zu können, die gestern schon ansatzweise da war, erfasst mich nun vollends. Ich überquere den dicken, breiten, dunklen Rio Pilcomayo und bin einfach high.
Dabei ist das noch gar nichts. Völlig unerwartet startet nun eine der allerschönsten Strecken ever: der Cañón del Pilcomayo. Er ist am Straßenrand als touristische Sehenswürdigkeit ausgewiesen, aber die Grandiosität dieses sich tief unten durch die roten Felsen daherschlängelnden Flusses, die übergrünen Wälder ringsum und die in die Höhe eingefräste Straße wird noch übertroffen als plötzlich der Asphalt endet und der felsige Weg eins wird mit allem. Die Piste wird mich noch lange an diesem Tag quälen. Aber hier am Anfang des Anfangs meines Aufstiegs in die Anden ist sie ein einzigartiges Geschenk.


Cañón del Pilcomayo
Cañón del Pilcomayo

Cañón del Pilcomayo
Ein großer Bogen

Cañón del Pilcomayo
Pistenradeln

Cañón del Pilcomayo
Abgrund


Gut gesprengt Nach zwölf Kilometern biegt die Ruta 11 vom Rio Pilcomayo weg nach Süden. Es ist heute merklich kühler, wird aber dennoch mittags recht warm. So warm, dass mir wie stets der Appetit vergeht. Die Piste ist besser als die von gestern aber mühsam. Der Weg steigt immer wieder an und ich weiß nicht wie lange das anhält und ich es durchhalte. Eigentlich bin ich bei meiner Planung auch hier von durchgehendem Asphalt ausgegangen. Dazu die Autos und Lastwagen, die mich in Staub und Feinstaub hüllen. Einige halten an, fragen nach Woher und Wohin. Einer reicht mir eine Pulle Limo aus dem Beifahrerfenster, während der Fahrer bei laufender Fahrt ein paar Erinnerungsfotos von mir schießt.
Infrastruktur gibt es ansonsten nicht. Bis auf dieses eine Schild: Vende Soda. Ja, auch heute gehen die Lebensmittel wieder zur Neige. Dabei bin ich mit zehn Kilogramm Zusatzgepäck samt Brauchwasser gestartet. Und hier bekomme ich aus dem Privatkühlschrank Malzbier und Soja-Apfel-Saft verkauft. "Wann kommt der Asphalt?" frage ich die Verkäuferin. Zehn Minuten meint sie, für mich werden es hundert Minuten werden. Aber auch hier ist die grüne Berglandschaft fantastisch.
Zwanzig Kilometer vor dem Ziel, nach vierzig Kilometern geht die Piste ganz unscheinbar in Asphalt über. Jetzt steht der finale Doppelgipfel des Tages an. Ich muss auf knapp tausend Meter Höhe. Anders als von der Pazifikküste her ist der Aufstieg hier von Osten hinauf die Anden step by step zu machen. Tag für Tag will ich etwa 500 Meter aufsteigen. Macht bei über 4.000 Metern eine gute Woche Akklimatisierung.
Die Abfahrt vom Pass auf die 700 Meter von Palos Blancos ist dann ein Vergnügen. Ich komme wider Erwarten fast pünktlich zum heimatlichen Doppelkopf um 15 Uhr an. Später gibt es noch bolivianisches Eis aus dem Plastikbecher.


Eis am Stiel
Eis am Stiel


Pass (1470 m) Sehr langsam
Samstag, 4. Februar 2023: Palos Blancos - Pass (1470 m) - Entre Rios (63 km)

Mehr als 2.000 Höhenmeter standen bisher selten bei einer Etappe auf meinen Touren an. Bei dieser Anden-Tour soll es an einem einzigen Tag so sein: heute. Der nächste Ort mit dem nächsten Hotel liegt gut 60 Kilometer entfernt, aber dazwischen liegen ein paar Bergketten quer, schließlich erstrecken sich die Anden ja von Nord nach Süd.
Zum Warmwerden gibt's direkt am Ortsausgang einen Hundert-Meter-Anstieg, danach eine schöne Abfahrt ohne dass ich bremsen muss und dann geht's auf knapp 1500 Meter. Despacito. Langsam. Sehr langsam. Die Steigung erreicht maximal sieben, acht Prozent. Ein bisschen schiebe ich. Die grüne Berglandschaft drumherum begeistert. Die Straße ist erst vor wenigen Jahren gebaut worden. Riesige Mengen Fels sind weggesprengt worden.


Chris on the Bike am Berg
Der letzte Anstieg


Blick in die Umgebung Ich kann erstmals die Pausen richtig genießen, weil keine Hitze droht und ich mich normal verpflegen kann. Drei, vier niedrigere Anhöhen zwischendurch und dann der letzte Anstieg auf nochmal fast 1400 Meter. Mein Gepäck ist zwar den Tag über um rund fünf Kilo leichter geworden, aber die Steigung liegt jetzt phasenweise bei geschätzten zehn Prozent. Die letzten Kilometer schiebe ich im Zeitlupentempo auf den Pass. Doch kaum geht es wieder bergab sind die Bergvagabunden auf meinen Lippen.
In Entre Rios ist nicht nur das Hotel Plaza eine positive Überraschung, sondern das ganze Kleinstädtchen mit seinen Straßen, Geschäften und dem Fußballplatz, auf dem die Samstagsspiele mit einigem Publikum absolviert werden - beäugt von der großen Christusstatue oberhalb vom Rosengarten. In so vielen Ortschaften findet man ähnliche Statuen, offenbar vielfach nach dem Vorbild von Cristo Redentor in Rio de Janeiro aus dem Jahr 1931.


Christusstatue oberhalb vom Rosengarten in Entre Rios
Christusstatue oberhalb vom Rosengarten


Julianka & Chris Akklimatisierungspausen
Sonntag, 5. Februar 2023: Entre Rios - Pass (2640 m) - Tarija (82 km)

Julianka dreht auf ihrem Rad extra am Berg, um ein Foto mit mir zu machen. Einen Gruß für eine Freundin soll ich sprechen. Einen Wasserfall empfiehlt sie auch noch. Aber den finde ich nicht. Es ist auch so großartig. Es stehen zwar auch heute fast 2.000 Höhenmeter an, aber es geht heute nur die erste Hälfte hinauf und danach nicht mehr ganz so viel bergab.
Bergauf geht's an einem der Flüsse, von denen Entre Rios umschlungen wird: dem Rio Tambo (der andere heißt Río Pajonal). Das klingt flacher als es ist. Im Allgemeinen geht es mit fünf Prozent Steigung hinauf in dem engen, grünen Tal. Über viele Stunden. Es kommt zu jener Art von optischer Täuschung, bei der man denkt, es geht bergab, aber es geht mit ordentlich Steigung bergauf. Das merkt man nur in den Beinen.
Die Strecke ist asphaltiert, bis auf die Stellen wo Steinschlag und Erdrutsch den Asphalt vertrieben haben. Alles fällt mir leichter als gestern. Vielleicht macht auch ein bisschen zusätzlicher Reifendruck was aus. Jedenfalls komme ich schneller voran als gut ist. Ich gewinne zu schnell an Höhe. Gestern war mein höchster Punkt bei 1470 m, heute sollen es 2640 m werden. Ich zwinge mich zu Akklimatisierungspausen. Erst dann merke ich wie Kopf, Herz, Bauch mit der Höhe kämpfen.
Um Zeit zu vertreiben spiele ich 200 Meter unter der Passhöhe - längst jenseits der Baumgrenze - Doppelkopf in der App. Erst dadurch merke ich wie weit Konzentration und Reaktionsschnelligkeit von normal Null entfernt sind. Good to know for the Abfahrt.


Rio Tambo
Rio Tambo

Felsabhang
Felsabhang

Pause mit Pan und Queso
Pause mit Pan und Queso


Auf der Passhöhe (2640 m) Die Beine kommen locker auf die in den Felsen getriebene Passhöhe, nachdem die Straße erst auf den allerletzten Metern die Begleitung der Zuzuzuflüsse des Rio Tambo verloren hat. Schwupp bin ich in einer völlig anderen Landschaft: karges Bergland, Weite, ringsum nur noch Berge.
Wenn man nicht Stunden mit der Abfahrt verbringen und das Rad schieben will, muss man die Räder einfach laufen lassen. Das bedeutet aber 60 Stundenkilometer in der Spitze, will man nicht alle Bremsgummis vergeuden. Die Strecken laufen relativ gerade aus, aber Unebenheiten müssen frühzeitig erkannt werden. Schwer zu genießen.
Umgekehrt besteht die optische Täuschung nun darin, dass man denkt, man rollt gemächlich dahin. Mit einem Blick auf den Fahrradcomputer stellt man fest, dass man gerade mit 48 Stundenkilomtern daherheizt.
Erfrischend kühl ist es am Zielort in Tarija auf knapp 2000 Metern Höhe. Es ist nach Asunción die zweitgrößte Stadt auf meiner Route zwischen Buenos Aires und Pazifik, gleichwohl mit rund 200.000 Einwohnern nicht riesig. In der schönen Altstadt treffe ich ein deutsch-englisches Paar, das vom Studienort in Mexiko aus eine längere Tour durch Südamerika macht. Sie waren zuvor in Peru. Ihre schlechte Nachricht für mich: die Grenzüberschreitung im Süden soll derzeit nicht möglich sein. Doch eine Recherche auf der Seite des Auswärtigen Amts zeigt: das gilt nur für die Grenzübergänge zwischen Peru und Bolivien, nicht aber für Peru und Chile, wo ich über die Grenze radeln möchte. 


Weniger Vegetation
Vegetation wird weniger


Die weiteren Teile hier:

Teil 1: Buenos Aires - Asunción (1.+2. Woche: 6.1.-22.1.2023)

Teil 3: Tarija - Cosapa (5.+6. Woche: 6.2.-19.2.2023)

Teil 4: Cosapa - Tacna + Lima (7.+8. Woche: 20.2.-5.3.2023)


Route Buenos Aires - Tacna + Lima




Schild: A 100 m: Fin de Asfalto - Filadelfia, Paraguay
Filadelfia, Paraguay


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