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VG WORTTour 65: Kirgisien - Almaty (951 km)


Fahrräder vor Jurte bei Aitbek am Song Köl (Son Kul, Son Köl, Songköl, Song-Köl, Соңкөл (kirgisisch), Сон Кул (russisch))
Unser Jurte am Song Köl bei Aitbek

Bike-Blog & Routen-Karte & Etappen-Übersicht
Kirgisien - Almaty (27.6.-11.7.2013)
Mit Miet-Mountain-Bikes im Tienschan-Gebirge

Ausrüstung: Bike & More
Ausrüstung:
Bike & More
Eine Tour zu neuen Höhen. Erstmals ohne eigene Räder unterwegs. Wir mieten Mountain-Bikes. Gewöhnungsbedüftig. Dann tagelang auf kirgisischen Bergpisten über 3000 Metern unterwegs. Bis zum höchsten gemeinsamen Pass ever auf 3864 Meter. Die Räder schaffen es nicht ganz auf diese Höhe. In überholtem Zustand aber rüber nach Kasachstan.
Foto Special: Kirgisien
Foto Special:
Kirgisien

Der Ticker zur Tour bei Twitter

Kirgisien - Almaty: Der Ticker zur Tour bei Twitter

Die Tour bei YouTube


Rund 300 Fotos und einige Video-Schnipsel untermalt mit landestypischer Musik


Miri mit Ortlieb-Taschen am Frankfurter FlughafenFliegen ohne Räder
Sonntag, 23. Juni 2013: Flug Frankfurt - Moskau - Osch

Wir fliegen. Ohne Räder. Die russischen Fluggesellschaften S7 und Transaero, die uns via Moskau nach Osch und zurück von Almaty bringen sollen, verlangen Kilopreise fürs Bulk Luggage. Je nach Auskunft und Tagesform des Informanten 14 bis 16 Euro pro Kilo. Bei 20 Kilo Fahrrad wird das so teuer wie das Flugticket selber.
Dass das keine leeren Drohungen sind, merken wir beim Check-In. Der Mann vor uns wirft sich noch mal auf seinen zweiten Koffer mit verschiedenen Whiskas-Dosen, bis er endlich verschlossen ist. Zusammen kommt er auf 46 Kilo Gepäck. Das Hand-Gepäck, max. acht Kilo, wird extra gewogen. 26 Kilo Übergepäck kosten bis Moskau zehn Euro pro Kilo, macht 260 Euro Gebühr. Er hält das erst für einen Scherz, die Mann- und Frauschaft auf der andern Seite kennt das Spiel, wie man an den amüsierten Minen erkennt. Statt die Whiskas-Dosen an die Flughafen-Katzen zu verfüttern, zahlt der Mann. Die junge Dame nach ihm fliegt über Moskau hinaus. Da werden 14 Euro für jedes der drei Kilo Übergepäck fällig. Papa zahlt.
Wir müssen umpacken, weil das Handgepäck die Acht-Kilo-Marke überschreitet. Zu unserm leichten Fahrrad-Gepäck zählen heute immerhin die beiden Helme, zwei Lowrider, zwei Fahrrad-Körbe und das übliche Werkzeug (Foto links). Alles in allem stemmen wir knapp 50 Kilo durch die Gegend. Sehr flexibel sind wir damit in Zentralasien nicht. Der Plan: in Osch, Ziel dieser Nacht, ist die Existenz eines Fahrradladens im Netz verbürgt. Können wir da nichts Radlbares kaufen, gibt es Mieträder in der Hauptstadt Bischkek, eine Sammeltaxi-Tagesreise entfernt. Ob wir damit nach Kasachstan kommen? Eine weitere Ungewissheit...
Am Abfluggate des Moskauer Flughafen Domodedovo sind wir umgeben von Kirgisen und Usbeken offenbar die einzigen Touristen, die in dieser Nacht Osch anfliegen.


Im Morgengrauen am Flughafen Osch (Osh International Airport, kirgisisch: Ош эл аралык аэропорту, russisch: Международный аэропорт Ош, IATA: OSS)
Geschafft: Flughafen Osch im Morgengrauen


Kontrolle im am Flughafen Osch (Osh International Airport, kirgisisch: Ош эл аралык аэропорту, russisch: Международный аэропорт Ош, IATA: OSS)Die Schrotträder von Osch
Montag, 24. Juni 2013: Osch

Es ist halb fünf morgens, als die erste Busladung - vor sechzehn Jahren sind wir die kurze Strecke auf dem kleinen Flughafen noch gelaufen - an der Passkontrolle aussteigen darf. Die sportlichen Ambitionen der Einheimischen, jeden Zentimeter Vorteil zu nutzen, waren schon im Flugzeug unübersehbar. Jetzt kommen sie zu einem vorläufigen Höhepunkt: Pulkbildung an dem kleinen Durchlass zu den drei Kontrollinseln (Foto rechts), von denen nur eine mit einem kirgisischen Beamten samt einer runden Mütze in sowjetischen Dimensionen besetzt ist.
Ich stelle mich in der Mitte an, was ein Fehler ist. Miri setzt sich erst Mal abseits in Beobachterstellung. Ziemlich schnell bin ich ans Ende des Pulkes verschoben. Der Mann mit dem T-Shirt "15 Jahre Saturn in Mainz" (das muss 2008 gewesen sein), der anfangs noch knapp vor mir war, verliert sich in der Ferne. Der zweite Bus kommt. Miri springt mir rechtzeitig zur Seite. Aber auch die Insassen des zweiten Busses sind durch einige unausgesprochene Sonderregeln ("Frauen mit Kindern zuerst") und einiger Sonderanstrengungen ("Ich zuerst") relativ schnell weitgehend vor uns an dem entscheidenden Durchlass. Nach einer halben Stunden versuchen wir, die ersten zentralasiatischen Lektionen umzusetzen und gelangen samt der beiden sperrigen Fahrradkörbe zur Passkontrolle. Auf dem Tresen steht einsam eine bisher ungenutzte Minikamera herum.
Unsere Pässe werden etwas wahl- und lieblos durchgeblättert. Dann heißt es abseits stehen und warten. Es scheint mehr ums Prinzip zu gehen. Einige halten demonstrativ zusammengerollte Geldscheine in ihren Händen. Ob es zu Zahlungen kommt, können wir nicht genau beobachten. Immer mal wieder nimmt ein Beamter unsere Pässe in die Hand, schaut hinein ohne etwas wirklich zu lesen. Eine umfangreiche Länderliste wird durchgesehen. So wie auch in Moskau am Flughafen geprüft wurde, ob wir ohne Visum in Kirgistan einreisen können. Jawohl, theoretisch ist das inzwischen möglich.

Gepäckausgabe am Flughafen Osch (Osh International Airport, kirgisisch: Ош эл аралык аэропорту, russisch: Международный аэропорт Ош, IATA: OSS) Darauf läuft auch das nächste Gespräch hinaus. Ob wir denn zum ersten Mal nach Kirgistan einreisten. Nein, zum zweiten bzw. dritten Mal. Ob wir denn ein Visum hätten. Nein, das brauche man ja nicht mehr. Das wisse er ja, antwortet der Beamte. Warum fragt er dann? Mit diesem Dialog jedenfalls haben wir offenbar eine entscheidende Hürde genommen. Jetzt bekommen wir unsere Einreisestempel.
Das Gepäck liegt im nächsten Raum mit uringeschwängerter Luft wahllos herum (Foto links). Ein Gepäckband kennt der recht neue Flughafenbau nicht. Aber einen Kontrolleur, der überprüft, ob jeder auch die Gepäckbepper hat, die zu seinen Gepäckstücken gehören. Habe ich nicht, bzw. erst nach einiger Suche in der Tiefe meines Handgepäcks. Zollkontrolle mit halbherziger Durchleuchtung. Gut eine Stunde nach der Landung stehen wir im Morgenlicht auf dem schon sehr belebten Vorplatz.
Wir müssen uns mit den Taxifahrern arrangieren, was uns sonst dank der Räder erspart bleibt. Ziemlich ungewohnt. In der menschenleeren Stadt liefert uns der Fahrer vor dem Hotel Taj Mahal ab. Das Fünf-Zimmer-Haus im Zentrum steht offen, auch das Empfangs-Zimmer, in dem eine junge Dame schläft. Sie macht sich ein wenig zurecht und gibt uns Zimmer Nummer Drei. Wo wir doch noch zu ein paar Stunden Schlaf kommen. Aber erst nachdem wir feststellen müssen, dass der deutsche Zoll die beiden Gaskartuschen für unseren Campingkocher aus Sicherheitsgründen konfisziert hat. Wir finden nur noch einen ordentlich ausgefüllten Zettel: "zur Vernichtung übergeben"...

Fahrrad-Händler im Bazar von Osch, Kirgistan Der noch spannendere Teil des Tages beginnt: die Suche nach brauchbaren Fahrrädern. Im Vertrauen auf meine Internet-Recherche wandern wir in sengender Hitze an der Masalieva-Straße entlang zu Nummer 83. Das erweist sich als eine Entfernung von mehreren Kilometern. Vor allem hat Nummer 83 niemals einen Shop beherbergt, schon gar keinen Fahrradshop. Auch weiß hier niemand etwas von einem Fahrradladen.
Zurück ins Herz der Stadt zum Basar. Ein Riesenbasar, der sich wiederum einen guten Kilometer entlang des Ak-Bura-Tales in mehreren Parallelstraßen dahinzieht. Ganz im Norden sind die Metallhändler samt drei, vier Fahrradverkäufern (Foto rechts) unter einem riesigen Wellblechdach vereinigt.
Die erste Enttäuschung sind die Preise. Etwa 40 Dollar sollen die gebrauchten Räder kosten. Das kann nicht viel sein. Und ist doch überteuert. Wir fahren ein paar zur Probe. Gepäckträger gibt es kaum, Schutzbleche am Vorderrad - die wichtig wären zur Befestigung unserer Lowrider - noch weniger. Die meisten sind im Mountainbike-Stil gehalten, ohne dass ich mich damit je einem Berg anvertrauen würde. Die Bremsen sind relativ symbolisch und die starke Federung katapultiert den Fahrer vermutlich bei jedem zweiten Steinchen in die Botanik.
Denk- und Hitzepause im nahe gelegenen Aschkana, einem Restaurant, vor dem man draußen sitzt, grünen Tee trinkt und ein bisschen Brot und eine Teigtasche vertilgen kann. Gegen Ende geh ich noch mal rüber zu den Fahrrädern. Ein Händler will mir sein bestes anvertrauen. Das koste dann aber auch rund hundert Dollar. Immerhin bei dem funktioniert die Gangschaltung vorne und hinten, wovon die andern Räder sehr weit entfernt waren. Morgen um acht machen sie auf, vielleicht kommen wir wieder. Sie erzählen noch von zwei Läden mit neuen Rädern. Da ziehen wir hin.
Den ersten finden wir am Rande eines kleineren Marktes. Seine Räder chinesischer Provinienz sind vielversprechend benannt nach dem Tienschan-Gebirge (Tian Shan) zwischen Kirgistan und China, durch das wir radeln wollen. Tatsächlich nagelneu, viele Teile haben noch ihre Schutzverpackung. Sie wird so weit beseitigt, dass ich mal probefahren kann. Krachend müht sich die Gangschaltung von Gang zu Gang und dreht bei den meisten durch. Konsumschrott. Wer kauft so was? Und dann für hundert Dollar?
Letzte Chance der Laden, der dort sein soll, wohin wir heute morgen fast rausgelaufen wären. Diesmal nehmen wir ein Taxi durch die 300.000-Einwohner-Stadt. Der Fahrer begleitet uns in das "Osh Taatan" - ein aus drei, vier großen Komplexen bestehendes "Einkaufszentrum" im Südosten der Stadt. Jeweils mehrere Etagen hoch, leicht klimatisiert, lange düstere Gänge und tatsächlich viele riesige Läden mit einer Auswahl, die man dem Ort so nicht zugetraut hätte. In einer entfernten Ecke finden wir zunächst einen Laden mit Kinder-(Drei-)Rädern, wie es sie auch auf dem Basar mehrfach gibt. An einer andern Ecke bietet ein Laden vor allem Fitnessgeräte und tatsächlich auch zwei, drei Fahrräder. Ebenfalls Konsumschrott, wie schon ein manuelles Betreiben der Pedale zeigt.
Der Fahrer hat noch eine letzte Idee. Den Markt. Und bringt uns durch die Staus der Stadt zu unsern Gebrauchträder-Händlern. Der Kreis schließt sich. Und gebiert nichts Brauchbares.
Wir wandern von Hitze und Frust gedrückt zum Osh Guest House. Dem Traveller-Treffpunkt der Stadt. Etwas versteckt im vierten Stock eines Plattenbaus (Foto unten Mitte). Im Treppenhaus angekettet weckt ein Rad die Sehnsucht nach den heimischen Rädern. Hostel-Chef Daniyar Abdurahmanov ist da, spricht Deutsch und macht uns keine Hoffnung. Nur in der Hauptstadt Bischkek, im Redfox zum Beispiel, gebe es Räder für unsere Zwecke. Wir fliehen vor der Hitze zurück ins Taj Mahal. Räderfrage ungelöst.


Kirgise mit Hut
Kirgise mit Hut

Spielgeräte als Teppichstangen in einem Hinterhof in Osch, Kirgistan
Spielgeräte als Teppichstangen in einem Hinterhof in Osch

Kirgisin mit Kopftuch
Kirgisin mit Kopftuch


Im Honda-Stepwgn-Sammeltaxi von Osch nach Bischkek, KirgistanElf Stunden im Auto durch die kirgisischen Berge
Dienstag, 25. Juni 2013: Sammeltaxi Osch - Bischkek

Am Morgen entscheiden wir uns für Bischkek. Ein Versuch mit den Schrotträdern hier vor Ort wäre wegen der ganzen Umbauten sehr (zeit-)aufwändig und könnte bald enden. In Bischkek hoffen wir auf Besseres.
Es gibt nur Sammeltaxis zur Hauptstadt. Meist Honda-Stepwgn-Vans. Gestern sollten die gut 600 Kilometer 1000 Som pro Person kosten, etwa 20 Dollar, heute 1200. Schnell geklärt. Der Wagen ist auch im Prinzip voll, fährt aber nicht los. Ein koreanischer Student aus unserm kasachischen Zielort Almaty taucht auf mit zwei älteren Herren aus Asien im Schlepptau. Er versucht vergeblich, den Taxi-Preis noch weiter zu drücken. Als Quasi-Einheimischer hat er den Ehrgeiz , nur lokale Preise zu zahlen. Von Xian aus sind die drei schon quer durch China und über den Irkeshtam-Pass gekommen, über den wir vor sieben Jahren geradelt sind. Sie fahren erst im nächsten Wagen nach uns.
Nach fast einer Stunde Warten (ich nutze sie für kirgisische Porträts: Foto oben rechts und links) kommt eine etwas besser gekleidete Frau, die auf dem Beifahrersitz landet. Wir können endlich los. Der Fahrer, drei weitere Kirgisen, ein Mädchen, ein Junge und wir (Foto links). Die Fahrt geht zunächst durch die Ausläufer des fruchtbaren Fergana-Tals. An der Abzweigung nach Jalalabad, gerade mal 100 Minuten nach dem Start ist große Mittagspause. Draußen liegen sie an den Tischen, unser Trupp setzt sich auf Stühle an einer großen Tafel im klimatisierten Innenraum. Ich versuche, uigurisches Lagman (Nudelgericht) ohne Fleisch zu bestellen, was nur mit Lachen quittiert wird. Überraschend bekomme ich dann tatsächlich gar nichts. Bringe mich mit Brot, Kleinzeug und Probieren bei Miri über die komplette Stunde Mittagsmahl. Es ist die letzte richtige Pause des Elf-Stunden-Trips über die Berge. Die langsam näher kommen. Jetzt gibt es kaum Verkehr und wir müssen die Schönheit der Bergwüstenlandschaft gezwungener Maßen aus dem Auto erleben.

Miri am Suusamyr-Fluss, Kirgistan Es gibt Gras und je höher wir kommen, desto mehr Kuh-, Pferde- und Schafherden sehen wir. Und endlich auch die kirgisischen Rundzelte: Jurten. Vor allem nach dem ersten Dreitausender-Pass (Ala-Bel, 3184 m). Jurten begleitet von eckigen Zelten, mehrere Jurten beieinander, Shopping-Passagen mit Jurten. Und das Gras jetzt satt grün. Überall starke Bäche, Flüsse (Foto rechts, unten). Auch große Flächen mit Schnee.
Nach der Abzweigung zum großen See Ysyk Köl beginnt eine Serpentinen-Straße zum Töö-Ashu-Pass (Tör-Ashuu, 3588 m), der durch einen längeren, düsteren, Abgas-geschwängerten Tunnel getopt wird. Noch steiler geht es Richtung Bischkek bergab. Standesgemäß endet die Taxi-Fahrt von Osch am "Osh Bazaar", jetzt am Abend ein verlassener, trostloser Ort. Vor 16 Jahren, bei meinem ersten Besuch der Stadt, der einzige Ort mit wirtschaftlichem Leben. Es ist dunkel und der eifrige Taxi-Fahrer schießt mit seinen Preisvorstellungen etwas übers Ziel hinaus.
Rund 150 Meter weiter an der Bushaltestelle macht es jemand ohne Verhandeln für den halben Preis. Bringt uns mit Hilfe des Lonely-Planet- und Reise-Know-How-Stadtplans zur deutschen Botschaft. Im gegenüberliegenden Kiosk wird gerade Schluss gemacht, doch die Frau öffnet uns noch ein Tor, sodass wir zum Sabyrbek's Guest House kommen. Während das nächtliche Sicherheitspersonal an der Botschaft schon auf Englisch nervös auf unseren sehr netten Taxi-Fahrer einredet. Wir sind die einzigen Gäste im Hostel. Die Atmosphäre hier ist großartige Traveller-Stimmung.
Zwei radlose, spannende, abwechslungsreiche, schöne Tage liegen hinter uns. Und an die Hitze haben wir uns schon fast gewöhnt.


Miri am Kürp-Say-Stausee, Kirgistan
Kurzer Stopp am Kürp-Say-Stausee


Frühstück im Garten von Sabyrbek's Guest House, Bischkek, KirgistanOlga statt Osch: Habemus Räder
Mittwoch, 26. Juni 2013: Bischkek

Nach Frühstück mitten in der Stadtbotanik unseres Hostels (Foto links) ist der Outdoor-Laden RedFox unsere erste Anlaufstelle. Immerhin zwei Gas-Kartuschen, die am Frankfurter Flughafen aus Sicherheitsgründen aus unserm aufgegebenen Gepäck konfisziert wurden, kriegen wir hier. Räder wurden erst gestern geliefert. Sind noch nicht richtig ausgepackt. Und zu welchem Preis sie verkauft würden, sei offen. Sei's drum. Nebenan soll es einen Fahrradladen geben. Genau: FreeBike. Wir können nichts finden. Gehen ein paar Meter weiter. Fragen. Werden zurückgeschickt. Sehen einen Radler. Sascha. Auf einem passablen, sehr alten Rad. Der kennt keine Läden hier, aber zwei in der Stadt. Nennt uns die Adressen. Zufällig sehe ich ein unauffälliges Fahrradplakat an der Seitenwand des Hauses neben RedFox (Foto rechts). Die Wegweiser führen zu IT-Expert. Das muss es ein. Es kann nur ein winziges Büro sein. Und das ist geschlossen. Wir gehen weg, kommen mehr zufällig noch mal kurz zurück. Fragen eine Frau. Die führt uns zum Nachbarbüro. Dort rufen rufen sie für uns bei IT-Expert mobil an. In 20 Minuten will sie da sein. Kurz nach elf.

Hinterhof-Eingang zu FreeBike in Ulitsa Kulatova, Bischkek, Kirgistan; Кыргызстан, г. Бишкек, ул. Кулатова 18 Und sie ist da. Olga. Mit ihr hatte ich schon vorab mal unverbindlich gemailt. Das Büro ist weniger als winzig. Und dennoch zweigeteilt. Wir quetschen uns auf ein Mini-Sofa. Alles ist möglich. Sogar unter Umständen die Abgabe der Räder in Almaty. Aber wo sind die Räder? In einem Abstellraum im selben einstöckigen Gebäude. Da stehen fünf, sechs Mountainbikes. Alle von Giant, dem größten Fahrradproduzent der Welt, Sitz in Taiwan. Die beiden Räder mit Gepäckträger seien erst heute von zwei Belgiern zurückgegeben. Müssten erst gereinigt werden. Kann Olgas Mann Dennis erst am Abend machen. Wir fahren Probemeter. Alles ok. Um 18 Uhr sehen wir uns wieder.
Wir schauen noch bei Gellerts vorbei. Auch mit denen hatte ich gemailt. Ein richtiger Fahrradladen. Aber die Gepäckträger-Frage auch hier schwierig. Dann schauen wir nach einer Stippvisite im legendären "Osh Bazaar" in der Nähe bei VeloLeader vorbei. Der hat einen zwei-etagigen Gepäckträger. Unersetzlich, wenn man Ortlieb-Taschen mit Korb kombinieren will. Wir beratschlagen und kaufen für 20 Euro den Gepäckträger. Auch wenn der Händler davon abrät, ihn mit den 35 Kilogramm zu belanden, für die er laut Aufschrift geschaffen ist. Es komme darauf an, wie man ihn belade. Der Mann hat Ahnung.
Bei GeoID bekommen wir noch Kartenmaterial, bei der Post Briefmarken für einen Brief, es regnet eine Weile. Kurze Umpack-Pause im Hostel und um 18 Uhr sind wir bei Olga und Dennis von FreeBike. Die Abgabe in Almaty ist kompliziert und vergleichsweise teuer, auch müssen wir eine Kaution in Höhe des Neuwerts der Räder hinterlegen, aber die beiden sind sehr nett. Und wir haben RÄDER (Foto unten). Unser neu gekaufter Doppel-Gepäckträger wird installiert. Die Lowrider passen nicht, bleiben im Laden wie die Klick-Schuhe von Miri. Dann rollen wir zum Hostel, wo weiter gebastelt wird mit den Fahrrad-Körben, den Taschen, der Lenkertasche, den Kilometerzählern.
Ein sehr anstrengender Tour-Tag. Mit happy end. Sieht man davon ab, dass im iranischen Restaurant am Abend die Pizza Vegetarianskaja mit Schinken serviert wird zur Instrumentalversion von "Venite adoremus".


Die frisch geliehenen Giant-Räder im Hinterhof von Sabyrbek's Guest House, Bischkek, Kirgistan
Die frisch geliehenen Giant-Räder im Hinterhof von Sabyrbek's Guest House


Chris on the Bike mit kirgisischen Jugendlichen auf der Suche nach einem Platz zum ZeltenWinken zu den winkenden Kindern
Donnerstag, 27. Juni 2013: Bischkek - Tokmok - Kemin - Chuyskoe (106 km)

Wolken kühlen den Morgen und weitgehend den Tag. Noch vor acht rollen wir vom Hof. Westwind weht uns Richtung Ysyk Köl. Wir bleiben in der Tiefebene auf der alten Hauptstraße (Foto unten). Direkt an der Grenze zu Kasachstan verläuft eine gut ausgebaute Parallelstraße. Hinter Chim Korgon (Chym-Korgon, Chim-Kurgan, Чим Коргон) stößt sie zu uns auf den alten Hauptweg und bringt uns bessern Asphalt, Markierungen und mehr Verkehr.
Es ist inzwischen doch heiß geworden. Aber die Räder rollen gut. Der ungewohnte Sattel macht sich allerdings bemerkbar. Und der Druck auf die Arme ist durch die ungewohnte MTB-Konstruktion stärker. Das Winken zu den winkenden Kindern ist dadurch schwerer...
Unmerklich steigt die Strecke um 400 Meter. Die Rückenwind-Euphorie lässt uns mal wieder die Erschöpfung nicht so recht spüren. Erst als wir abdrehen, um im Chuy-Tal (Tschüi, Chui, Chu, Чүй (kirgisisch), Шу (kasachisch), Чу (russisch)) einen windgeschützten Zeltplatz zu suchen, lähmt sie uns. Fünf, sechs Jungs begleiten uns bald (Foto links). Haben Tipps. Sind nett. Wir lassen sie zurück, nachdem wir mit ihrer Hilfe über eine Kanalbrücke unsere Räder mehr bugsieren als schieben. Auch sie machen von uns ein Erinnerungsfoto.
Direkt auf der anderen Fluss-Kanal-Seite finden wir einen zwar nicht allzu windgeschützten aber schön gelegenen Platz inmitten von hoch stehenden Gräsern am Ortsrand von Chuyskoe (Чуйское, Чуй). Entdecken, dass die Jungs uns unbemerkt Blumen in die Schnallen der Ortlieb-Taschen gebunden haben. Sind gerade mit dem Zeltaufbau fertig, als es zu regnen beginnt.


Sowjetisches Kunstwerk in einer Kurve der Hauptstraße Bischkek-Tokmok
Sowjetisches Kunstwerk in einer Kurve der Hauptstraße Bischkek-Tokmok


Café Dostuk an der Hauptstraße Kemin-Balykchy am Fuße der Boom-Schlucht, KirgistanVergorene Stutenmilch aus dem Western-Café
Freitag, 28. Juni 2013: Chuyskoe - Boom-Schlucht - Kubaki-Pass (2160 m) - Kotschkor (86 km)

Auch am Morgen regnet es noch einmal. Kurz darauf wärmt die Sonne alle Tropfen weg. Um halb elf haben wir alles getrocknet eingepackt.
Der Wind hat sich gedreht. Wir kämpfen also heute zunächst gegen ihn. Das Dorf Chuyskoe könnte mit seinen verfallenden Bauten überall in der Sowjetunion gestanden haben. Wir holpern über seine Wege zur Straße. Und können wider Erwarten zunächst auf der nördlichen Seite des Chuy-Flusses bleiben. Denn hier ist eine neue Parallelstrecke der Hauptstraße zum Ysyk Köl gebaut worden.
Am Straßenrand noch der Café-Restau-Shop Dostuk, der auch jeden Western bereichern würde (Foto rechts). Uns bereichert er um Kumys (Kumyß, Kumyss, Kumiss, Kumis, Kumiß, kymyz (türkisch oder tatarisch), Кымыз) vergorene Stuten-Milch, die zunächst gewöhnungsbedürftig ist, ziemlich schnell aber Miri begeistert.
Am Beginn der Boom-Schlucht (Shoestring-Gorge, Ущелье Боом) werden naturgemäß alte und neue Straße zusammengeführt. Die Kulisse des engen Tals ist schön. Der fast komplett abgeschlossene Ausbau auf vier Spuren reduziert den Talgrund allerdings auf Fluss, Straße, Eisenbahn. Letztere mit einer Kilometerzählung bei etwa 3896 KM, was ziemlich genau die Entfernung nach Moskau sein dürfte.

Abfahrt vom Kubaki-Pass (2160 m) mit Blick auf den Orto-Tokoy-Stausee, Zentral-Kirgistan Als das sehr langsam ansteigende Tal sich wieder weitet, reiht sich ein Kafesi-Restaurant-Magasin an das nächste. Wir decken uns noch ein bisschen ein. Und nehmen den Abzweig nach Kotschkor (Kochkor). Ein Shortcut über den 2160 Meter hohen Kubaki-Pass.
Auch wenn die Steigung nur drei, vier, fünf Prozent beträgt, macht sie uns mit den neuen Rädern und jeder Menge Gepäck ganz schön zu schaffen. Wir verteilen das Gewicht noch mal neu und dann geht's etwas schneller voran. In den nächsten Regen.
Nach 15 von 26 Kilometern kommt die Passhöhe. Wo zwei Jungs versuchen, Kumys zu verkaufen. Mehr aus Mitleid schlagen wir zu.
Langgezogene Abfahrtpassagen bringen uns (beide!) bis auf max. speed 78,5 km/h zum Orto-Tokoy-Stausee (Foto links). Die Sonne ist zurück und wir finden uns in einem wunderbaren weiten Tal wieder vor der Kulisse verschneiter Bergspitzen, mit Fluss, Bäumen, Feldern. Nur noch 14 Kilometer bis Kotschkor. Hier ist der Gemeinde-basierte Tourismus von CBT bestens organisiert. In Sekunden bekommen wir ein Privatquartier zugewiesen und erhalten alle Infos für die Tour zum See Song Köl.
Über Rumpelwege geht's zu dem uns zugewiesenen Guest House von Sadykova Sadagol (Saadogul), jenseits der Schule in der Omuralieva-Straße 27. Sehr nett werden wir begrüßt, haben eine Riesen-Wohnung für uns, bekommen noch ein vegetarisches - womöglich in Schafsfett gekochtes - Dinner ("We have vegetarians as guests for ten years now...") in der Jurte (Foto unten), dem kirgisischen Rundzelt, gespickt mit interessanten Erzählungen über das Leben hier in den Bergen.


Abendessen in der Jurte beim Guest House Sadykova Sadagol (Saadogul), Ulitsa Omuralieva 27, Kochkor/Kotschkor, Kirgistan
Abendessen in der Jurte


Treffen an der Landstraße Kochkor-Naryn mit Justine und Jean-Philippe aus Québec auf ihren Dahon-FalträdernKartoffeln und Käsekügelchen nach dem Sturm
Samstag, 29. Juni 2013: Kotschkor - Sary Bulak - Keng-Suu - Tölök-Tal (64 km)

Die Banken machen um 8.30 Uhr auf. Aber tauschen kein Geld. Der heutige Kurs des Dollar ist noch nicht bekannt. Auch wenn er sich wohl kaum vom gestrigen unterscheiden wird. Und sowieso einiges schlechter als in der Hauptstadt ist. Wir versuchen seit dem Aufbruch aus Bischkek zu tauschen und immer klappt es nicht. So sind wir vor dem Anstieg in die Berge relativ knapp bei kirgisischer Kasse. Der Geldautomat ist uns auch nicht recht. Selbst schuld.
Ein paar Kilometer außerhalb von Kotschkor, dort wo der Dzhoon-Aryk (Dzhoonaryk, Dzhuvan, Dzhuvanaryk, Joon-Aryk), der mit dem Fluss Kotschkor in Kotschkor zum Chuy zusammenfließt, sich nach Süden wendet, kommen wir wieder auf die Umgehungsstraße und damit glänzenden Aspahlt. Auf dem wir Justine und Jean-Philippe aus Québec treffen (Foto rechts). Auf kleinen Dahon-Falträdern. Miri hat zu Hause auch eins, aber eine richtige Tour damit konnten wir uns bisher nicht vorstellen. Vorne und hinten haben sie teilweise selbst konstruierte Gepäckträger, die aber alle ihre Macken haben. Justines Vorderbremse existiert nicht mehr. Die beiden sind mit ihren Mini-Rädern über den Pamir-Highway und alle möglichen Pisten gekommen. Jetzt fliegen sie nach Istanbul, wo sie auf Aufbesserung der Räder hoffen.

Einfache Brücke an der Landstraße Kochkor-Naryn Dann endet der Asphalt und der Rest ist Baustelle. Die Chinesen bauen sich hier eine weitere Export-Rampe über den Torugart-Pass, Heute ist allerdings Pause (Foto links). Die andern Autos stauben genug. Ein Österreicher überholt uns. Nach einer Wandertour mit Freunden hat er jetzt einen Muskelkater von den ersten Rad-Kilometern.
Kurz hinter dem vergleichsweise trostlosen Sary Bulak mit seinen Waggon-Läden und vor dem Abzweig zum Song Köl wieder ein Wechselspiel von Sonne und Regen, der sich durch heftigen Gegenwind ankündigt. Mitten in unsere Pause hinein, als das Wetter gerade besser wird, halten drei Motorradfahrer. Holländer. Miri bewirtet sie mit Nescafé. Sie haben sich die Motorbikes in Osch geliehen. Und wollen bis zum Karakol-See auf dem Pamir-Highway in Tadjikistan. Sie tauschen uns sogar 50 Dollar. Alles wird gut.
Und ruhig. Der Abzweig zum See lässt den Verkehr hinter uns. Dafür geht's ein bisschen aufwärts (Foto unten). Bis auf ein Pässle (2560 m). Und genauso viel wieder runter nach Keng-Suu (Кенг-Суу, 2300 m) im Tölök-Tal (Tolok, Толок, Тюлюк). Im vorerst letzten Laden stocken wir noch mal ein bisschen auf. Auch mit Wasser, das es per Pumpe gegenüber zu holen gibt (Foto Christoph an der Pumpe u.v.m. auf Foto Special: Kirgisien).
Jetzt weht uns der Wind im Tölök-Tal frontal entgegen. Vor allem, wenn sich Regenwolken nähern. Und das tun sie regelmäßig. Über der großen Wasserfläche des Song Köl bilden sie sich immer wieder und ziehen mit dem Wind nach Osten. Ein deutsches Paar überholt uns im geländegängigen Wagen. Warten auf uns. Schwärmen vom See. Wo sie regelmäßig an Sommer-Wochenenden Zuflucht vom heißen Bischkek suchen, wo Elisabeth bei der deutschen GIZ arbeitet.
Der nächste Windstoß erfasst mich und mein Rad. Ich kann mich halten, das Rad kippt. Samt überfülltem Gepäckträger. Mühsam richte ich es wieder auf. Zurre alles mit Kabelbindern wieder zusammen. Vor dem nächsten Regenguss retten wir uns in den vermeintlichen Windschatten einer Felswand. Aber der Wind tost überall.
Schnell wollen wir vor dem Schauer noch das Zelt aufbauen. Der Sturm zerrt an Stangen und Reißleinen. Folge ein Riss im Außenzelt, eins im Innenzelt. Die Wolke zieht dahin, der Regenbogen kommt (über dem Zelt: Foto unten), die Ruhe bleibt. Wir waschen uns und unsere Kartoffeln im Tölök. Der Gaskocher gart. Dazu getrocknete Käse-Kügelchen. Und ein braver Hund vom nahe gelegenen Hof. So ganz wohl fühle ich mich nicht. Ob es die Käse-Kügelchen oder die Höhe ist?


Fahrt über einen kleinen Pass zwischen Sary Bulak und Keng-Suu ins Tölök-Tal, Kirgistan
Fahrt über einen kleinen Pass zwischen Sary Bulak und Keng-Suu ins Tölök-Tal

Regenbogen über unserm Zeltplatz im Tölök-Tal, Kirgistan
Regenbogen über unserm Zeltplatz im Tölök-Tal; Koordinaten: N 41.951703, E 75.507917


Pause mit Fahrradhelm bei der Auffahrt vom Tölök-Tal zum Kalmak-Ashu-Pass (3445 m), KirgistanDer erste Dreitausender: Sonne, Schnee, Übelkeit und die Bishkek-Teenies
Sonntag, 30. Juni 2013: Tölök-Tal - Kalmak-Ashu-Pass (3445 m) - Song Köl (52 km)

Mir ist schlecht. Und Miri geht es nicht viel besser. Sind es die 2500 m oder die Käsekügelchen zu den Kartoffeln von gestern? Das Frühstück jedenfalls ist mühsam. Und wir kommen nur ganz langsam in Fahrt.
Sieben Kilometer bleiben wir noch im Tölök-Tal. An der Abzweigung mit Brücke und Haus, wo ein Kind neben uns herläuft, holen wir den Österreicher von gestern bis auf hundert Meter ein. Er schwingt sich mit großem Elan die Passstraße hinauf und davon.
Auch das deutsche Paar treffen wir wieder. Sie sind schon auf dem Rückweg. Empfehlen uns, vom Song Köl aus die Strecke zurück zur Hauptstraße nach Naryn zu nehmen. Was einige Führer gar nicht erwähnen, der Lonely Planet als reine Winteroption bezeichnet. Eine Empfehlung, die unsere Route nachhaltig beeinflussen wird.
Unsere Tagesform, die Strecke, der schnelle Anstieg: wir müssen jede Menge Pausen machen: auf 2700 Meter (Foto rechts), 2790 Meter, 2975 Meter. Und der Himmel verfinstert sich. Richtig. Unser Pausen-Rhythmus wird torpediert durch einen Regen-Schnee-Sturm. Der mit ein paar Regentropfen beginnt und sich Minute um Minute, Meter um Meter steigert.
Ich bin längst zum Schieben übergegangen. Miri strampelt ein paar Meter hinter mir immer noch kräftig. Der Wind kommt trotz der Serpentinen jetzt von vorn. Peitscht die Graupel ins Gesicht und überall hin. Das Thermometer sinkt auf zwei Grad.
Zwei Busse halten kurz vor mir an einem Sturzbach. Hinaus in die Schneesturmhölle springen gut gelaunte kirgisische Touristen. Zwei Teenies stürmen mit ihren Smartphones zwecks Photoshooting auf mich los. Ich triefe vor Nässe, zittere vor Kälte und sie schmiegen sich fürs Foto an mich als wollten sie mich erdrücken. Die Frage, woher sie kommen, erübrigt sich fast: Bischkek.

Serpentinen bei der Auffahrt vom Tölök-Tal zum Kalmak-Ashu-Pass (3445 m), Kirgistan Dann sind sie weg und die Sonne ist wieder da und wir sind auf dem Kalmak-Ashu-Pass (3445 m; Foto links: Blick zurück nach Norden Richtung Tölök-Tal und Foto unten Blick nach Osten). Die Übelkeit des Morgens ist verflogen. Trotz der Höhe ist die Pause halbwegs warm. Auch wenn bald wieder Wolken heranziehen und damit Wetter und karge Botanik an Island erinnern. Den Song Köl (Son Kul, Son Köl, Songköl, Song-Köl, Соңкөл (kirgisisch), Сон Кул (russisch)) sieht man nur als schmales, blaues Band am Horizont.
Und daran ändert sich nicht viel. Die Straße hält meist recht großen Abstand. Am ersten Abzweig zum nördlichen Seeufer gruppieren sich ein paar Jurten. Zu einer weist ein behelfsmäßiges Schild: Gostiniza - Hotel. Wir fahren Richtung Südufer. Wollen an der Südwest-Ecke des Sees weiter nach Ak-Tal ins Naryn-Tal.
Ein größerer LKW mit deutschem Kennzeichen wackelt uns auf der Piste entgegen. Ein Ehepaar mit Kleinkind sitzt im Führerhaus. Die Eltern haben ein Hotel in Köln aufgegeben für den großen Traum von der großen Reise. Monate sind sie unterwegs. Später hören wir in Kotschkor, dass sie ihre Reise abbrechen und ihren umgebauten LKW verkaufen wollen.
An der Südost-Ecke bei der Brücke über den Song-Köl-Fluss wollen wir die Option Jurten-Übernachtung wählen. Man liest, jede Jurte sei eine potentielle Herberge. Unser erster Test. Zwei, drei Jurten stehen herum. Die Kinder reagieren zurückhaltend auf unser Nähekommen, die Hunde eher kritisch. Der Mann weist eine Übernachtung weit von sich. Verweist auf weitere zehn Kilometer Strecke am Südufer.
Die uns noch einmal mit Regen überrascht. Wir fliehen in ein Betonrohr unter der Straße. Es sind tatsächlich genau zehn Kilometer bis zu den nächsten Jurten. Ein Mini-Jurten-Dorf, hundert Meter vom Straßenrand (Foto unten). Auf dem Hinweisschild steht nur "Aitbek" - so heißt wohl die Sippe.

Alte Kirgisen vor einer Jurte bei Aitbek am Song Köl, Kirgistan Hier sind sie Besucher gewöhnt. Wir bekommen das kleinste Zelt am Rand Richtung See. Drei Feldbetten mit reichlich Decken füllen es. Näher am See steht nur noch die Dusche. Zu den Jurten hin ist es eine offen Waschkoje, die Dusche ist offen Richtung See. So können wir das kühle Wasser genießen mit dem Panorama der schneebedeckten Gipfel rund um den Song Köl.
Die Bewohner lassen sich nicht stören (Foto rechts). Im großen Zelt bekommen wir ein wirklich vegetarisches Abendessen aus Buchweizen und Spiegeleiern. Und frischer Kefir. Auch Marmelade und Salat, die irgendwie hier hochgeschafft wurden. Am großen Nebentisch wird noch mal groß aufgetischt. Für wen, erfahren wir nicht. Wir verkriechen uns im Zelt. Es wird hier oben auf 3000 Meter drei Grad kalt in der Nacht. Gelegentlich galoppieren Pferde an unserer Jurte vorbei. Es klingt nach Prärie.

Here the main points zur Orientierung again: 41 KM von Kotschkor-Zentrum kommt der Dirt-Road-Abzweig (2350 m; Kotschkor-Sary Bulak 36 KM). Auf diesem (über einen kleinen Pass, 2560 m) nach 6 KM der letzte Ort: Keng-Suu. Samt Geschäft. Nach weiteren 22 KM die Brücke (2600 m) und Beginn des Aufstiegs. Der Pass (3445 m) kommt nach weiteren 8 KM. Nach 9 KM der Abzweig mit Hotel-Jurte zum See und weiteren 15 KM (101 KM ab Kotschkor-Zentrum) der Abzweig mit Brücke über den Song-Köl-Fluss zurück zur Hauptstraße Kotschkor-Naryn über den Korgo-Pass. Noch mal 10 KM zu den Jurten von Aitbek. (Fortsetzung weiter unten)


Verkehrsschilder vor Schneebergen auf dem Kalmak-Ashu-Pass (3445 m), Kirgistan
Auf dem Kalmak-Ashu-Pass (3445 m)

Jurten von Aitbek am Song Köl, 3000 m, Kirgistan
Unser Nachtquartier: Jurten von Aitbek am Song Köl, 3000 m


Der Papageien-Pass und der Vieh-Highway
Montag, 1. Juli 2013: Song Köl - Terskei-Torpok-Pass (3133 m) - Song-Köl-Tal (34 km)

Als wir aus der Jurte kommen, stehen alle Jailoo-Bewohner in einer Reihe (Foto Foto Special: Kirgisien). Die Männer zumindest. Die Frauen mehr in einer Gruppe. Davor haben zwei junge Männer je ein Schaf am Wickel. Als die Jurten-Gemeinschaft vollzählig ist, öffnen alle für einen kurzen Augenblick ihre Hände zum Gebet gen Himmel. Dann ist die Zeremonie auch schon vorbei, die Schafe werden zur Seite gezogen und lautlos geschlachtet. Wir können frühstücken.
Blick von der Passhöhe Terskei-Torpok (3132 m, Тескей-Торпок, Тридцать три Попугаи, Tridzat Tri Popugai, 33 попугая) auf die 33 Serpentinen, die zum Song-Köl(-Wasserfall) hinabführen, Kirgistan Griesbrei gibt es zum Früstück. Wieder in der großen Koch-Ess-Jurte. Tief muss sich die junge Großmutter bücken, um auf dem sehr niedrigen Tisch zu spülen, zu stapeln. Auch die Tochter. Die zwischendurch nach ihrem Kleinkind schaut. Auf dem großen Nachbartisch, auf dem am späten Abend noch groß aufgetischt wurde, stehen zwei leere Wodka-Flaschen.
Beim Satteln unserer Räder stößt ein Slowene mit Baby zu uns, der samt der Mutter auch hier übernachtet hat. Er ist mit Auto samt Fahrer unterwegs. Und berichtet, dass die Strecke von Naryn zum Ysyk Köl wegen einer weggeschwemmten Brücke nicht mehr passierbar sei. Das ist für uns insofern interessant, weil wir uns just entschieden hatten, genau dort langzufahren.
So beraten wir an der Straße neu. Und wählen das Wagnis: die Strecke, von der gestern das deutsche Paar geschwärmt hat, die zurück zur Hauptstraße nach Naryn führen soll.
Also müssen wir die zehn Kilometer von gestern Abend zurück zum Abzweig des Song-Köl-Flusses. Ein reparierender LKW-Fahrer versichert uns, der Weg sei passierbar. Und sehr schlecht. Also los. Über sanfte, Gras bewachsene Hügel geht es ein wenig bergauf. Bis Miris Kette am Hinterrad beim Schalten in den ersten Gang hinter die Zahnräder-Ritzel springt und nicht wieder zurückwill. Mit einer Kombination aus sanft und brutal kriegen wir sie wieder zurück. Weiter.
Die Passhöhe Terskei-Torpok (3132 m, Тескей-Торпок, Тридцать три Попугаи, Tridzat Tri Popugai, 33 попугая) selbst ist unspektakulär. Aber kurz darauf die Serpentinen-Strecke ins Tal (Foto links) zurück zum just passierten Song-Köl-Fluss ist umso grandioser. Als Schlangenmeer zieht sich die Strecke hinab. 33 Serpentinen sollen es sein, die dem Pass auch den Namen 33-Papageien-Pass gegeben haben.
Auf halber Höhe müssen wir pausieren. Die Bremsen sind heiß gelaufen. Meine, die noch nie so recht stark war, bremst kaum noch. Ich schiebe nach der Pause bergab. Ein einziges Auto hat uns in zwei Stunden überholt.

Song-Köl-Wasserfall am Fuß der Passhöhe Terskei-Torpok (3132 m, Тескей-Торпок, Тридцать три Попугаи, Tridzat Tri Popugai, 33 попугая) beim Song-Köl-Fluss Am Fuß des Berges steht wieder ein Auto. Mann und Frau spazieren uns entgegen. Der Mann spricht gleich von Alemania und kann ein bisschen Deutsch. Er lädt uns ein, mitzuspazieren zu einem nahe gelegenen Wasserfall. Wir lassen die Räder liegend stehen und spazieren mit. Ein paar jüngere Frauen, eine ältere und ein Kleinkind gehören auch dazu. Die Englisch-Studentin im vierten Studienjahr kann mehr Englisch als der Vater Deutsch. Aber alle sprechen wesentlich besser Russisch. Der Song-Köl-Wasserfall (Foto rechts), von dessen Existenz wir gar nichts wussten, ist so imposant wie die Serpentinen-Strecke.
Das Song-Köl-Tal ist nun breiter und die sanften Grashügel laden zum Campen ein. Es ist noch ein bisschen früh dafür. Eine Abzweigung. Der hinter uns liegende Song Köl ist beschildert und das Karatal-Tal in 16 Kilometern. Dort muss das Karatal-Japyryk State Nature Reserve" sein. Geradeaus ginge es weiter im Korgo-Tal zum Korgo-Pass auf der "Hauptstraße", auf die wir früher oder später zurück müssen.
Wir entscheiden uns für den Abzweig zum Karatal: eine schmale, enge, alpine Schlucht, durch die der Song-Köl-Fluss sich nach Süden zur Mündung in den Naryn-Fluss wendet. Schon bald begegnen wir einem tschechischen Wanderpaar, nolens volens von zwei kirgisischen Reitern begleitet. Sie können kaum sagen, was uns erwartet, da sie nur ein, zwei sehr schöne Kilometer weiter gekommen sind.
Am Ende der Schlucht zweigt der Song-Köl-Fluss nach links - durch eine doppelte Barriere dazu gezwungen: ein lieblicher Grashügel-Riegel, dahinter ein alpines, teils noch Schnee bedecktes Felsgebirge. Vor den Grashügeln kann man direkt am Ende der Schlucht über eine Brücke auch rechts in ein Tal. Wir bleiben auf der linken Song-Köl-Flussseite. Doch die Spur endet nach ein paar hundert Metern abrupt an einer recht tiefen, auf jeden Fall für Fahrräder zu tiefen Furt. In der Ferne sind ein paar Pferde und Schafe an den Berghöhen zu erkennen. Im Schutz einer kleinen Anhöhe bauen wir das Zelt auf (Foto unten). So weit vom Wasser, dass es nicht mehr allzu sehr zu hören ist und dennoch jederzeit erreichbar.

Christoph badet im Song-Köl-Fluss, Kirgistan Miri wäscht Kleider, Christoph sich in der eiskalten Strömung (Foto links). Die nächsten Stunden sind ein kirgisisches Schauspiel mit ständig wechselnden Schauspielern und Wetter. Hundert Kühe ziehen durch die Furt, einige Zeit später gefolgt von einer Nachhut samt kirgisischen Reiter. Schafe werden auf der andern Flussseite getränkt (Foto unten). Eine Pferdeherde, begleitet von drei Hunden und einem Reiter, wechselt das Ufer. Miri watet durch die Vieh-Highway-Furt auf die andere Seite. Macht eine Rundwanderung über die Brücke. Es tröpfelt ab und zu, obwohl ich immer in der Sonne sitze. Grandiose doppelte Regenbögen die Folge. Sogar ein Lagerfeuer ist möglich (Foto unten), bei dem wir Nudeln mit gesammelten Kräutern genießen. Ein letzter kirgisischer Reiter kommt durch die Furt im Halbdunkel auf uns zu. Will nur mal wissen, woher wir sind. Und reitet zurück durch die Furt.


Miri blickt auf den Vieh-Verkehr am Song-Köl-Fluss, Kirgistan
Miri blickt auf den Vieh-Verkehr am Song-Köl-Fluss

Laptop und Lagerfeuer am Song-Köl-Fluss, Kirgistan
Laptop und Lagerfeuer

Zeltplatz mit morgendlichem Kuh-Verkehr, Koordinaten: N 41.667526, E 75.519762, Zentral-Kirgistan
Zeltplatz mit morgendlichem Kuh-Verkehr; Koordinaten: N 41.667526, E 75.519762


Kirgisische Ayran-Abfüllung für uns in einem Bauernhaus am Song-Köl-FlussStuten-Melken und Krokodilsgefühle am Geburtstag
Dienstag, 2. Juli 2013: Song-Köl-Tal - Korgo-Pass (3013 m) - Kara-Unkur - Kichi-Kara-Kudzhur-Tal (46 km)

Auch am Morgen kommt der Vieh-Highway schnell wieder in Betrieb (Foto oben). Das Wetter scheint sich zum Besseren zu wenden. Sonne und so gut wie keine Wolken. Durch die schöne Schlucht geht's zurück zur Kreuzung von gestern mit seinem Sommerbauernhof. Die Bäuerin melkt Stuten. Erst wird ein Junges kurz zum Ansaugen an die Stute gelassen. Dann greift die Bäuerin zu. Uns bittet sie um Distanz. Sogar die eigenen Kinder oder Enkelkinder. Stuten sind sensibel.
Ob sie Brot habe, frage ich. Da gibt es schon mal ein Ja. Aber erst müssen noch vier Stuten ran. Wir werden in die gute Stube gebeten. Mit Ayran, Brot, Smetana (Sahne) bewirtet. All das kaufen wir dann auch (Abfüllung Foto rechts). Sind froh, denn unsere Lebensmittel gehen zur Neige. Der Bauer feiert heute seinen 45. Geburtstag. Ich stimme das russische Geburtstagslied vom Krokodil Gena an und er summt und sing schließlich mit. Alle sind gerührt.
Das Tal bezaubert uns. Das tschechische Paar von gestern sitzt erschöpft am Pistenrand. Doch als sich der Weg vom Korgo-Tal zum Korgo-Pass (3013 m) erhebt, holen sie fast auf. Die Passhöhe und ihre Umgebung (Fotos unten) sind ein Mücken-Eldorado. Ich ziehe die Bremsen nach und muss zugleich die Armada von Mücken auf meinen Waden im Blick halten. Bei schönster Aussicht.


Chris on the Bike auf dem Korgo-Pass (3013 m, Korgoo), Kirgistan
Auf dem Korgo-Pass (3013 m)

Hinweis-Schilder auf dem Korgo-Pass (3013 m) Richtung Song Köl (Соң Көл, Сон Кул) und Tar Suu (Тар Суу)
Schilder auf dem Korgo-Pass (3013 m) Richtung Song Köl und Tar Suu


Aufstieg vom Kichi-Kara-Kudzhur-Tal in ein kleines Seitental zum Zelten; Koordinaten N 41,831712, E 75,797596Auf halber Höhe müssen wir die Abfahrt wegen heißer Felgen mit der Mittagspause unterbrechen. Erst am Talgrund wieder Gehöfte. Ein bis zwei Autos pro Stunde sind genau das Backup, das man gern hat. Zum Schluss rollen wir dann über eine lange, steinige Rampe zurück zur Hauptstraße Kotschkor-Naryn.
An der Kreuzung (2500 m) stehen einige Verkaufsstände. Wir kaufen nix, weil wir noch über den Dolon-Pass (Долон, 3028 m) wollen. Hier ist der alte Asphalt noch nicht zertrümmert, die Chinesen sind noch nicht am Werk. Der Verkehr überschaubar. Es ist plötzlich bullenheiß. Bis auf 34 Grad steigt das Fahrrad-Computer-Thermometer. Auch die Strecke steigt vorbei an Kara-Unkur (Kara Ünkür, Кара-Ункур) permanent leicht an. Man spürt's. Wie die Hitze. Dann zwei uralte, kaum noch zu erkennende Bushaltestellen, die Straße dreht nach links, verlässt das Tal Richtung Dolon-Pass. Mit einem Blick auf die Karte sehen wir, dass wir auch nach rechts fahren können. Wir haben keine Bedenken mehr vor Pisten. Uns fehlt auch die Kraft für den Pass.
So biegen wir ins Kichi-Kara-Kudzhur-Tal (wenn es denn so heißt, oder (Kichi Kara-Kuzhur, Kichi Kara-Kudshur, Кичи Кара-Кужур, Кичи Каракужур, Кичи Кара-Куджур) oder ganz anders...). Nach drei Kilometern im Tal klettern wir (Foto links) in ein halbsteiles Seitental nach links. 50 Höhenmeter auf 500 Metern. Ein verlassener Sommerhof liegt da. Direkt oberhalb lassen wir uns nieder. Wieder in schönster Umgebung (Foto unten). Auch wenn es hier auf 2900 m trotz des besseren Wetters deutlich kühler ist als gestern Abend an der Furt.


Unser Zeltplatz in einem kleinen Seitental des Kichi-Kara-Kudzhur-Tal; Koordinaten N 41,831712, E 75,797596
Unser Zeltplatz in einem kleinen Seitental des Kichi-Kara-Kudzhur-Tal; Koordinaten: N 41,831712, E 75,797596


Chris on the Bike mit Fahrradhelm Uvex Supersonic L pearl/light-blue am frühen Morgen im Kichi-Kara-Kudzhur-Tal, KirgistanGepäckträger-Probleme unterhalb des Milky Way
Mittwoch, 3. Juli 2013: Kichi-Kara-Kudzhur-Tal - Pass (3200 m) - Ter-Suu-Tal - Solton-Sary-Tal (44 km)

Da in diesen Nächten der Mond erst um Mitternacht oder später aufgeht, haben wir, wenn wir kurz vor Mitternacht wach werden und das Zelt noch mal kurz verlassen, einen grandiosen Sternenhimmel. Die Milchstraße ist zum Greifen nah. Das Licht der Sterne erübrigt jede Taschenlampe. Der Himmel ein Sternenmeer. Nur die Kälte treibt uns schnell wieder ins Zelt.
Die Kälte produziert auch reichlich Raureif. Jeden Morgen müssen wir warten, bis alles trocken ist. Dann ist wieder Shopping im Bauernhof angesagt. Und auf unserem Weg durch das Kichi-Kara-Kudzhur-Tal überhole ich Onurbek mit zwei Pferden und Hunden. Wir können uns ein bisschen unterhalten. Sehen zwei Angler. "Riba jest." Was denn für ein Fisch? Gebirgs-Forelle.
Das Tal ist jetzt im Sommer bis knapp unterhalb der Passhöhe mit Jurten, Hirten und Herden besiedelt. An den letzten Zelten macht die Piste einen weiten Bogen nach links, man kann aber auch die Direttissima direkt steil bergauf nehmen. Die Passhöhe selbst ist ziemlich flach.
Bei der Abfahrt ins Ter-Suu-Tal (Тер-Суу) bekommen wir mächtig Schwung. Etwas zu viel Schwung für die rumpelige Piste und damit für meinen Gepäckträger. Der schleift immer häufiger, setzt immer häufiger auf dem Hinterrad auf. Beim Mittagessen die erste Reparatur. Ich kann nicht erkennen, was sich vom Gepäckträger herabbiegt zum Reifen. So kann ich auch nichts zurückbiegen. Folge: nach ein paar Metern die nächste Reparatur. Ich hole diesmal etwas weiter aus mit meinen Reparatur-Versuchen. Mittagsschlaf für Miri.
Kurz nach dem Restart ein großartiges Schauspiel: Hirten treiben eine Herde durch den Ter-Suu. Zwei störrische Esel werden mühsam in den Fluss getrieben:



Störrische Esel: Hirten treiben Herde durch den Fluss Ter-Suu


Waten mit Fahrrad ohne Schuhe durch einen kleinen Nebenfluss des Solton-Sary, Kirgistan

Anders als auf unserer Karte von GeoID zu sehen, bleibt die Strecke am Ter-Suu bis zur Mündung in den Solton-Sary (Sultan Sari, Солтон-Сары, Солтонсары). Hier links wieder bergauf auf die Kilometer-breite Hochebene des Flusses. Zur Entlastung des Gepäckträgers trage ich inzwischen den Zelt-Rucksack auf dem Rücken, ein bisschen Gepäck ist umgeladen auf Miris Rad.
Nach kleineren Bächen müssen wir nun durch ein größeres Gewässer, das von Norden in die Solton-Sary-Hochebene fließt. Ich warte auf Miri, checke Übergänge oberhalb der Piste, sehe ein Auto durchfahren und damit die beachtliche Tiefe. Miri kommt. Ich ziehe Schuhe und Strümpfe aus, schiebe durch den Bach (Foto links).
Vom andern Ufer aus beobachte ich, wie Miri sich entschließt, durch den Bach zu fahren. Schon nach wenigen Metern kippt das Fahrrad um, Miri reißt es zwar sofort hoch, aber die offene Lenkertasche ist voller Wasser. Ich springe hinzu, um ihre Kamera zu retten. Letztlich vergeblich (Noch ein, zwei Tagen macht sie zwar Bilder, aber nur überbelichtet).
Wir fahren weiter an der Nordseite des riesigen Hochtals (Foto unten). Im Süden die verschneiten Gipfel des Kapka-Tash-Bergzugs (Foto darunter). An einem Bauernhaus kommt ein alter Mann zur Straße. Er erklärt mir, dass auf der anderen Hochtal-Seite ein Gold-Bergwerk zu sehen sei. Warum er daraufhin meine Sonnenbrille geschenkt bekommen möchte, bleibt unklar.
An der Abzeigung vom Hochtal zum Chamaldilga-Pass suchen wir einen Zeltplatz. An grasenden Kühen vorbei klettere ich zur Erkundung in ein schönes, kleines Seitental. 50 Höhenmeter oberhalb der Straße hat man Ruhe und einen schönen Blick (Foto weiter unten), auch auf das Bergwerk an der Goldmine. Das Vieh verabschiedet sich zunächst scheinbar von selbst. Zuletzt macht eine junge Kirgisin auf einem Pferd Tabula rasa. Sehr gut Russisch spricht sie auch noch.
Miri muss feststellen, dass die erste und momentan einzige Gas-Kartusche leer ist. Die Nudeln werden grad noch halbwegs gar, aber mit Kaffee, Kochen und Waschwasser ist es von nun an vorbei.
Ich versetze noch am Gepäckträger die linke untere Anbindung. Rechts geht das nicht. So ist er ein klein wenig schief, gewinnt aber ein paar Milimeter Abstand zum Reifen.

Here the main points zur Orientierung again (Fortsetzung von s.o.): Von Aitbek am Song Köl (zurück) 10 KM zur Abzweigung des Song-Köl-Flusses. Zum Terskei-Torpok-Pass etwa 8 KM, zum Wasserfall runter weitere 3 KM, weitere 9 KM zur Abzweigung Richtung Karatal. 6 KM zum Ende der Straße an der Furt. (Am nächsten Tag) zurück wieder 6 KM zur Abzweigung. Dann 24 KM bis zur Haupstraße Kotschkor - Naryn. Auf der Hauptstraße 13 KM bis zum Fuß des Dolon-Passes und der Abzweigung rechts ins Kichi-Kara-Kudzhur-Tal. Im Tal 18 KM bis zur Passhöhe (3200 m). 11 KM Abfahrt im Ter-Suu-Tal bis zur Mündung ins Solton-Sary-Tal. In diesem aufwärts auf die Hochebene 18 KM bis zur Abzweigung zum Chamaldilga-Pass. (Fortsetzung s.u.)


Straße am Nordrand der Hochebene des Solton-Sary-Tals, Kirgistan
Auf der Hochebene des Solton-Sary-Tals

Kleiner Teich auf der Hochebene des Solton-Sary-Tals, Kirgistan
Kleiner Teich auf der Hochebene des Solton-Sary-Tals

Zeltplatz (Koordinaten: N 41.8414, E 76.22808) auf der Hochebene des Solton-Sary-Tals am Fuße des Chamaldilga-Passes, rechts am Horizont des Grashügels vor dem Kapka-Tash-Grat das nach dem Tal benannte Gold-Bergwerk, Kirgistan
Unser Zeltplatz (Koordinaten: N 41.8414, E 76.22808) am Fuße des Chamaldilga-Passes
Rechts am oberen Rand des Grashügels das Solton-Sary-Gold-Bergwerk vor dem Kapka-Tash-Grat

Blütenwunder beim Aufstieg zum Chamaldilga-Pass, Kirgistan
Blütenwunder beim Aufstieg zum Chamaldilga-Pass


Chris on the Bike beim Aufstieg zum Chamaldilga-Pass, KirgistanUnsicherheiten über den großen Pass
Donnerstag, 4. Juli 2013: Solton-Sary-Tal - Chamaldilga-Pass (3414 m) - Zher-Kochku - Kara-Kudzhur-Tal - Kongurlen-Tal (44 km)

Heute Morgen ist das Zelt trocken von innen und außen. Die Nacht war nicht gar so kalt. Der Wind hat irgendwann nachgelassen. Nur die aufgehende Sonne erreicht uns durch die Bergwand nicht so schnell.
Wir verlassen die Hochebene. Es sind nur 400 Höhenmeter bis zum Chamaldilga-Pass (Chomol-Dilga, Перевал Чомол Дилга, Чамалдилга, Чамал-Дилга, 3414 m; Foto unten). Die schaffen wir in 75 Minuten. Entlang von Strommasten (Foto rechts). Lange nicht mehr gesehen. Offenbar für die Goldfabrik auf der andern Seite der Hochebene, die auch in der Nacht ein bisschen Licht verbreitet hat.
Die Abfahrt (Foto weiter unten) ist wieder gehemmt. Ich nehme den Zeltrucksack auf den Rücken, um den Gepäckträger zu schonen. Die Bremsen werden ruckzuck heiß. Zwangspausen. Bei wieder sehr, sehr starkem Wind. Südwind zum ersten Mal. Der uns im Tal dann als Seitenwind behindert. Die "Straße" im Kara-Kudzhur-Tal (Kara-gudzhir, Kara-Gudzhur, Kara-gujir, Kara-Khodzhur', Karakujur, Кара-Куджур) ist laut Karte eine bessere Piste. In Realität leider schlechter als viele Pisten, die wir in den vergangenen Tagen befahren haben.


Miri überquert den Chamaldilga-Pass (Chomol-Dilga, Чомол Дилга, 3414 m), Kirgistan
Auf dem Chamaldilga-Pass (3414 m)

Auf dem Chamaldilga-Pass (Chomol-Dilga, Чомол Дилга, 3414 m): Blick auf die Abfahrt zum Kara-Kudzhur-Tal, Kirgistan
Blick auf die Abfahrt zum Kara-Kudzhur-Tal


Giant-Rad auf der Holzbrücke über den Kara Kudzhur (Kara-gudzhir, Kara-Gudzhur, Kara-gujir, Kara-Khodzhur', Karakudzhur, Karakujur, Кара-Куджур) bei Zher-Kochku (Djer Kochky, Dergochko, Dergachka, Jer-Rochku, Жер-кочку, Джер-Кечкю, Дергочка), Kirgistan Zher-Kochku (Djer Kochky, Dergochko, Dergachka, Jer-Rochku, Жер-кочку, Джер-Кечкю, Дергочка) ist weit und breit die einzige Ortschaft und wir müssen dringend einkaufen. Deshalb fahren wir von der Straße ab, überqueren auf einer Holzbrücke den Kara Kudzhur (Foto links). Die Trasse zum Ort ist abenteuerlich mit Bächen durchsetzt. Mäandert durch die Wiesen. Riesige Greifvögel schwingen sich auf.
Auch im Ort wechseln sich Holperpiste und Bach ab. Straßenbeleuchtung wird entlang der Stromleitung angebracht (Foto u.v.m. auf Foto Special: Kirgisien). Das einzige Geschäft ist von außen nicht als solches zu erkennen. Immerhin Plätzchen und Eis bekommen wir. Sogar ein paar Konserven: Mais und Erbsen. Offenbar extra für uns gelagert. Wir brauchen dringend Brot und einen Hinweis, wo unsere Route nun weiter geht.
Ich mache einen Spaziergang zur neuen Moschee. Die ist grad belegt. Auf dem Rückweg frage ich bei Anwohnern nach Brot. Beim zweiten hab ich Glück. Mehr als das. Wir werden zum Tee eingeladen, Ayran, Smetana, Brot, Zucker, Himbeer-Marmelade, Kirschen. Die alte Dame des Hause, 70 Jahre alt, betreut uns, während im Nachbarzimmer zwei Frauen nähen. Von außen wird das Haus neu verputzt. Alles Baustelle.

Junge kirgisische Reiterin im Tal des Kara-Kudzhur (Kara-gudzhir, Kara-Gudzhur, Kara-gujir, Kara-Khodzhur', Karakudzhur, Karakujur, Кара-Куджур), Kirgistan Den Weg allerdings - so wie er auf der Karte vom Dorf aus weiter geht - den scheint es nicht so recht zu geben. Zu einem Pass könnten wir aufbrechen, heißt es, aber die Spitze könne man nur zu Fuß überwinden. Fahren wir also zurück durch die Bäche zur Brücke über den Kara Kudzhur. Obwohl auch ein Weg über die Hügel zu sehen ist. Doch so ist es flacher.
Wir fahren nicht über die Brücke, sondern bleiben auf dieser Seite des Kara-Kudzhur. Ein Feldweg, der am dritten Haus endet. Auch da werkeln sie an einer Stromleitung und bitten mich zu helfen. Allein, ich kann dazu nichts beitragen. Beim Weg schwanken sie. Auch zum Pass nach Den Talaa (Djöng Talaa, Don Tala, День Талаа, Ден Талаа) können sie nichts so recht sagen. Lassen uns schließlich von einer jungen Reiterin begleiten. 14 Jahre alt (Foto rechts). Sie reitet neben uns entlang der Stromleitung, obwohl da nullinger Weg ist. Es ist besser zu fahren als auf mancher Piste.


Chris on the Bike: Multimedia-Vortrag Kirgisien und seine Nachbarländer beim ADFC-Bayreuth
Das Bild der 14 Jahre alten kirgisischen Reiterin mit Miri
wählte der Nordbayerische Kurier für seinen Hinweis auf den Multimedia-Vortrag
über unsere Kirgisien-Touren am 4. Februar 2016 beim ADFC Bayreuth


Feldweg-Piste im Tal des Kara-Kudzhur (Kara-gudzhir, Kara-Gudzhur, Kara-gujir, Kara-Khodzhur', Karakudzhur, Karakujur, Кара-Куджур), Kirgistan In der Nähe ihres Wohnhaus gibt es eine kleine Fuß- und Tiergängerbrücke. Und wieder sind wir auf einem wunderbaren Feldweg mit Blick auf den Fluss (Foto links). Hier und da ein Gehöft. Dann Jurten. Wir fragen, ob das der Weg über die Berge zum Ysyk Köl sei. Wieder Unsicherheit, Abwägen. Schließlich ein seichtes Ja.
Wir steigen ins Seitental auf, sehen noch die Brücke, die von der Hauptstraße über den Kara Kudzhur hierhin ins Kongurlen-Tal führt. Die Wege vereinigen sich und sind gemeinsam doch schwächer als alle anderen Pisten, die wir bisher genommen haben. Hoffentlich bleibt der Weg halbwegs stabil bis zum Kongurlen-Pass. Mit seinen 3864 Metern wäre er der höchste, den wir jemals gemeinsam bezwungen hätten.

Here the main points zur Orientierung again (Fortsetzung von s.o.): Vom Abzweig auf der Solton-Sary-Hochebene 5 KM mit 400 Höhenmetern auf die Passhöhe Chamaldilga. 11 KM runter zur Straße im Kara-Kudzhur-Tal. 3 KM im Tal nach Osten bis zur Abzweigung nach Zher-Kochku. Je 6 KM hin und zurück zum Ort. Weiter Richtung Osten 12 KM im Tal bis nördlich vom Fluss zur Zusammenführung von drei Wegen auf 3100 m im Kongurlen-Tal. Noch ein KM: Unser Zeltplatz, Koordinaten: N 41.952166, E 76.396973.


Zeltplatz für zwei Nächte am Kongurlen-Fluss, Koordinaten: N 41.952166, E 76.396973, Kirgistan
Zeltplatz für zwei Nächte am Kongurlen-Fluss


Aufstieg zum Pass Kongurlen (Kongurlenk, Kongur-Ölöng, Pereval Kongurlëng, Конгурленг, Конур-Улен, Конурулен, Хонгор-Олон, Конгур-Олен, Конгур Оленг, 3864 m), KirgistanSchönes Scheitern: Höchste Punkte mit dem Rad und zu Fuß
Freitag, 5. Juli 2013: Kongurlen-Tal - Kongurlen-Pass (3786/3864 m) - Kongurlen-Tal (19 km)

Auch am Morgen versichern wir uns noch an der ersten und letzten Jurte: Gibt es einen Weg über den Pass, den wir mit unsern Fahrrädern befahren können? Ja. Die wenigen und zerstreuten Spuren lassen etwas anderes erwarten. Aber die Strecke ist ja dargestellt auf der ganz großen Zentralasien-Karte (Maßstab: 1:1,7 Mio.!) des "world mapping project" (!) von Reise Know-How (und anderen, sogar bei einem Maßstab von 1:3 Mio.). Sie sieht auch so aus, als sei sie für zwei Spuren eines Autos gebaut.
Allein, Autospuren gibt es so recht nicht. Dafür Blumenfelder, als wanderten wir auf einer Fronleichnamsprozession. Man muss auch immer mal durch den Mäander eines Seitenflusses fahren. Wir müssen dafür Schuhe und Strümpfe ausziehen. Das gleiche am Abzweig, an dem der Weg das Haupttal des Kongurlen verlässt und in ein Seitental aufsteigt.
Da haben wir schon eine einstündige Reparatur hinter uns. Der Gepäckträger setzt durch den holprigen Weg wieder auf. Wir versuchen, die Gepäckträger der beiden Räder zu tauschen. Funktioniert noch weniger. Letzte Möglichkeit: Mein Hinterrad etwas tiefer setzen. Dadurch muss ich die Hinterradbremse komplett aushängen. Aber wir fahren ja heute sowieso erst mal bergauf. Bzw. schieben bergauf.
Vom Abzweig aus sieht man einen Strich, der an einem Geröllhang entlangführt. Der könnte zu unserem Pass führen. Bald werden auch die Serpentinen sichtbar, die zum langen Strich führen. Alles auch auf dem Satelliten-Foto gut zu erkennen:


Satellitenbild vom Kongurlen-Pass (3864 m, Kongurlenk, Конгурленг, Конур-Улен, Конурулен, Хонгор-Олон, Конгур-Олен, Конгур Оленг), Koordinaten: N 41,974670 E 76,508105; Kirgistan
Luftbild Kongurlen-Pass (3864 m): links die Serpentinen, rechts Gletscher mit See, oberhalb davon der Pass


Felsbrocken auf den Serpentinen zum Kongurlen-Pass (3864 m), Kirgistan Als wir den Fuß der Serpentinen erreichen, beginnt der erste Regen. Eine von zwei aufrecht stehenden, etwa ein Meter hohen Betonröhren bietet sich als Shelter an. Die beiden Elemente scheinen wie aus einem andern Orbit hier niedergegangen. Wir klettern hinein und ziehen unsere Zeltplane drüber.
Kurzer Regen. Weiter. Auf der Serpentinenpiste, die nach dem bisherigen Wegewirrwarr plötzlich breit dahinführt. Merkwürdigerweise aber ohne Autospuren. Gebaut in sowjetischen Maßstäben. Aber wohl schon lange out of work. Überall Steine, Geröll. Dann ein richtiger Erdrutsch. Der Weg ist nicht mehr da. Wir klettern mit den Rädern über das Nachgerutschte. In der übernächsten Kurve ist nur ein riesiges Steinmeer, durch das wir die Räder stemmen (Foto links).
Wir sind jetzt am Beginn der langen Gerade, die sich fast bis zu einem Gletschersee zieht. Am steilen Hang, an dem Steinschlag Alltag ist. Die "Fahrbahn" ist fast in der ganzen Breite von Steinen blockiert, ganz am Rande kann man in der Regel direkt am Abhang mit den Rädern entlang. Dann häufen sich die Steingeröllhalden. Wir tragen gemeinsam die Räder einzeln hinüber. Dann das Gepäck extra. Und wieder Schneeregen. Donner. Gewitter. Plane raus.
Wir kauern uns bei vier Grad an einen steilen Felsen, der sicher auch irgendwann zum Steinschlag wird. Gute Pause für die Akklimatisierung an die Höhe. Als das Graupelgestöber nachlässt, nehmen wir die Räder ohne Gepäck. Wir kapitulieren nach ein paar Metern vor den nächsten Geröllhalden. Das ist nun nicht mal mehr ein sehr schlechter Hochgebirgs-Wanderweg.
Wir sind auf 3786 m. So hoch waren wir zusammen noch nie mit unsern Rädern. Wir entschließen uns, eine Vorbesichtigung der Passhöhe auf 3864 Metern zu machen.

Miri und Chris auf dem Kongurlen-Pass (Kongurlenk, Конгурленг, Конур-Улен, Конурулен, Хонгор-Олон, Конгур-Олен, Конгур Оленг, 3864 m), Kirgistan Am Ende der langen Geraden sind wir nun etwa auf der Höhe des Gletschersees (Foto unten). Von hier müssen wir nun steil querfeldein die letzten 60 Höhenmeter zum Pass nehmen. Ein Auto wird hier niemals fahren können. Warum dann diese breite Piste unten? Warum haben uns manche erzählt, man könne hier mit dem Fahrrad herfahren?
Wir japsen. Und schaffen es (Foto rechts). Obenauf ein toller Blick ins nächste Tal auf ein schachbrettartig angelegtes Dorf. Das muss Den Talaa (Djöng Talaa, Don Tala, День Талаа, Ден Талаа) sein. Man ahnt in der Ferne den Ysyk Köl, dahinter die Bergspitzen von Kasachstan. Nur ein Weg hinunter ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil: der Nordhang ist von Schneebrettern bedeckt (s. weitere Bilder im Foto Special: Kirgisien).
Wir sind happy. Zumindest zu Fuß haben wir den Pass erklommen. In 7,5 Stunden haben wir mit dem Fahrrad nur 9,97 Kilometer bewältigt. Danach dauerte unsere Gipfelwanderung hin und zurück knapp eine Stunde. Dann gibt's wieder Schneeregen. Wir kauern uns mit unserer Zeltplane an den selben Felsen wie zuvor. Und heben die Räder dann über die Felsbrocken bergab. Den ganzen langen Weg zurück.
Auch bergab ist fast nur Schieben möglich. Wieder eiskalte Kneipp-Erfahrungen beim Waten durch die Flüsse. Schließlich wieder Regen. Wieder Plane raus: Einfach in den Wind halten. Die Füße sind durch sumpfigen Untergrund und kleinere Bäche recht feucht. Eine kleine Regenpause und wir bauen das Zelt genau an der Stelle auf, an der wir es heute Morgen abgebaut haben. Wir hätten auch eine schöne Wanderung auf den Pass machen können. Die wäre nicht ganz so unvergesslich geworden.


Chris on the Bike: Multimedia-Vortrag Kirgisien und seine Nachbarländer beim ADFC-Bayreuth
Das Bild von der Passhöhe wählte der ADFC Bayreuth
für seinen Facebook-Hinweis auf den Multimedia-Vortrag
über unsere Kirgisien-Touren am 4. Februar 2016

Blick vom Kongurlen-Pass auf Gletscher samt See
Blick vom Kongurlen-Pass auf Gletscher samt See


Gepäckträger-schonende Fahrt mit Ortlieb-Rucksack auf dem Rücken im Kara-Kudzhur-Tal bei Ak-Kyja, KirgistanDeutsche Entwicklungshelfer, kirgisische Autopumpen und ein Fotograf
Samstag, 6. Juli 2013: Kongurlen-Tal - Kara-Kudzhur-Tal - Ak-Kyja - Sary Bulak - Kotschkor (103 km)

Es regnet fast die ganze Nacht. Auch am Morgen. Unter unserm Zelt hat sich ein Teich gebildet, der durch den Zeltboden dringt. Gegen neun Uhr hört der Regen auf. Ab und zu ein bisschen Sonne hilft mit, alles halbwegs trocken zu bekommen. Trotz der Nässe ist der Feldweg zurück zur "Hauptstraße", den wir vorgestern gefahren sind, in exzellenter Verfassung. Wir sind hier wesentlich schneller als auf allen Pisten. Auch alle Bäche können wir heute fahrend durchqueren.
Kurz nach zwölf Mittagspause mit den allerletzten Lebensmitteln: Ministück Fladenbrot, Sardinendose, vier Plätzchen, zwei Riegel. Finish. Schlimmer: Gegendwind ist aufgekommen im Kara-Kudzhur-Tal, das jetzt schmaler wird (Foto unten). Es geht nur noch langsam voran. Außerdem muss ich Pausen machen, weil ich den Rucksack mit Zelt, Matten und Schlafsack trage, um den Gepäckträger nicht erneut zu ruinieren (Foto links).
In Ak-Kyja (Ak-Kyya, Ак-Кыя) überraschend der erste Laden. Wir schlagen zu und essen direkt vor dem Magasin. 20 Kilometer weiter schließt sich der Kreis unserer Bergtour in Sary Bulak. Hier gibt es ein Restaurant. Auch da sind wir dabei. Fisch, Lagman, Salat. Wow.
Bleiben die 40 Kilometer nach Kotschkor. Etwa die Hälfte Baustelle, die andere Hälfte neu geteert. In dieser Woche haben sie einige Fortschritte gemacht, auch heute wird frisch geteert. Dabei gerät Miri in frischen Teer, der alles vollspritzt. Ein paar Meter weiter: platter Reifen. So schnell, dass wir das Loch schnell finden. Und nach dem Flicken des ersten Lochs auch das zweite direkt dahinter. Ein Metallstück hat den Schlauch doppelt durchstochen. Auch schnell geflickt.

Spontan-Hilfe beim Aufpumpen durch GIZ-Mitarbeiter und einen vorbeifahrenden Kirgisen mit seiner Auto-Pumpe Beim Aufpumpen funktioniert meine Doppel-Pumpe nicht mehr. Egal ob ich das klassische Ventil oder das Auto-Ventil ansetze: die Luft entweicht jeweils durch die andere Öffnung. Ich versuche einen Wagen anzuhalten, um das defekte Fahrrad schon mal nach Kotschkor zu bringen.
Wer hält? Ein Wagen mit GIZ-Mitarbeitern, deutschen Entwicklungsarbeitern. Kollegen der GIZ-Mitarbeiterin aus Bischkek, die wir vor einer Woche hier auf dem Weg zum Song Köl kennengelernt haben. Sie meinen: eine Autopumpe muss her. Selber finden sie keine im Wagen, die Dolmetscherin hält einen völlig überladenen PKW an. Tatsächlich: der Fahrer hat eine Pumpe mit Autoventil und pumpt auch noch selber in Windeseile den Reifen auf (Foto rechts).
Wir rollen weiter auf dem frischen Asphalt bergab. Doch der Reifen gibt langsam nach. Vier, fünf Kilometer weiter müssen wir anhalten. Neben einem der beiden geflickten Löcher ist ein neues Loch: das Metallstück hat drei Mal zugeschlagen. Wir flicken und halten nach Mitfahrmöglichkeiten Ausschau. Ein Wohnmobil mit deutschem Kennzeichen und zwei Rädern hintendrauf nehmen wir zu spät zur Kenntnis. Andere Autos sind zu klein, zu voll. Und es ist sehr wenig Verkehr.
Dann ein silbermetallic Ford Focus nur mit Fahrer. Er schießt an uns vorbei, bremst doch noch, fährt rückwärts. Rückbank umgeklappt und Fahrrad und reichlich Gepäck rein. Ich fahre mit, Miri radelt allein weiter mit meinem Ein-Bremsen-Fahrrad.
Asatman, mein Fahrer, lebt in Litauen, fährt Autos von dort nach hier. Fünf Tage dauert das. Der Ford Focus war in Trier zugelassen, wie die Fahrzeugpapiere, die er mir bei laufender Fahrt aus dem Handschuhfach heraussucht, beweisen. Im Zentrum von Kotschkor laden wir alles aus. Spasibo.
Ein paar Meter weiter sehe ich das Wohnmobil stehen und nicht weit davon den potentiellen Fahrer. Christoph ist mit Nicole für acht Monate unterwegs. Gut die Hälfte ist rum. Sie sitzen im Café und ich kann erst mal das ganze Gepäck dalassen. Ich frage rundum die wartenden Taxi- und sonstigen Fahrer nach einer Pumpe. Keiner hat so etwas. Aber die Vulkanisazia, die neben einigen anderen Auto-Ersatzteil-Läden etwas abseits liegt. In Sekundenschnelle sind wieder fünf Bar im Reifen. Bremsbeläge hat er nicht, die bekämen wir morgen früh im Ort.
Als ich grad im Café mit den deutschen Travellern sitze, die sich mit einem Engländer austauschen, sehe ich draußen Miri rumkurven. Sie hat mein Rad gesehen, das ich extra neben das deutsche Wohnmobil angekettet habe. Eigentlich wollten wir uns im Hostel treffen, in dem wir vor einer Woche übernachtet haben, aber bis dahin hab ich's noch nicht geschafft. Christoph zeigt im Café traumhafte Bilder rund um den Issik-Kul. Tolle Motive, toll bearbeitet, tolle Kamera. Der Engländer kennt sich gut aus, war schon 1994 hier.
Dann rollen wir zu unserem Hostel. Wo die Überraschung groß ist, uns wiederzusehen. Die Freude ist ganz auf unserer Seite. Nach sieben Nächten Zelt und Jurte mal wieder Bed und Breakfast.


Piste im Kara-Kudzhur-Tal bei Ak-Kyja (Ak-Kyya, Ак-Кыя), Kirgistan
Piste im Kara-Kudzhur-Tal


Sowjetisches Karussell in Kotschkor/Kochkor, KirgistanFiebrig
Sonntag, 7. Juli 2013: Kotschkor

Irgendwas gestern war nicht ok. Entweder der späte Tee in Kotschkor, das Mittagessen in Sary Bulak mit Fisch, der schnelle Abstieg innerhalb von 24 Stunden um 2000 Meter, das wenige Essen gegen Ende oder alles zusammen. Jedenfalls streikt mein Magen. Will nichts essen, kann nichts essen, hat aber Hunger. So richtig merke ich das erst beim Spaziergang zum CBT, wo die Infos so dürftig sind wie die Internetverbindung. Mit Müh und Not kann ich eine Twitter-Nachricht absetzen.
Ich überlege, für die tausend Meter zurück zu unserm Quartier ein Taxi zu nehmen. Schleppe mich dann doch so dahin. Und schlafe fiebrig für den Rest von Tag und Nacht. Miri nutzt die Gunst der Stunde und erwirbt eine von lokalen Frauen fabrizierte kirgisische Decke. Und genießt den Ort samt Park (Foto links).


Kirschen und Aprikosen am Nord-Ufer des Ysyk Köl, Kirgistan
Kirschen und Aprikosen for Sale


Blumiger Innenhof bei Ludmilla
Montag, 8. Juli 2013: Kotschkor - Balykchy - Tamchy (107 km)

Beim Frühstück quäle ich mir Brei, Ei und Brot hinein. Lege mich eine Stunde hin und bin dann halbwegs transportfähig. Beim Wiederaufrüsten der Räder stellt sich allerdings heraus, dass eine Ortlieb-Tasche unter Wasser steht und damit auch das gesamte Werkzeug samt Flickzeug und Batterien. Ich trockne alles mit Hilfe von gebrauchten Handtüchern, nicht gerade zur Freude der Herbergsmutter, die dafür noch einmal extra kassiert.
Miri on the Bike im Abendlicht vor Tamchy am Nord-Ufer des Ysyk Köl, Kirgistan Um high noon geht's schließlich los. Ich kann radeln. Es geht kaum bergauf, meist bläst der Wind von hinten. Um 16 Uhr soll der tägliche Zug von Balykchy nach Bischkek fahren. Den peilen wir ein bisschen an. Und tatsächlich, kurz vor vier sind wir bei dem abseits gelegenen, riesigen, menschenleeren Bahnhof von Balykchy an der Pforte zum Ysyk Köl (Issyk-Kul, Issyk Kul, Yssykköl, Ысыккөл (kirgisisch), Иссык-Куль (russisch), wörtlich: „heißer See“), dem riesigen See auf 1600 Meter Höhe.
Personenzüge sind hier weit und breit nicht zu sehen. Die einzige Dame im Bahnhofsgebäude erläutert uns, ein Zug nach Bischkek fahre nur einmal in der Woche, am Mittwoch. Auch wenn an der Anzeigetafel Züge nach Moskau, Jekaterinenburg, etc. angekündigt sind.
Wir entscheiden uns, am Nordufer des Sees ein bisschen weiter zu fahren, um wenigstens ein kurzes Badevergnügen zu haben. Auf den 45 Kilometern bis Tamchy haben wir kräftigen Rückenwind. Den brauchen wir aber auch. Mir geht es elend und Miri hat sich den Zeltrucksack samt neu erworbener Decke auf den Rücken geladen (Foto rechts). Außerdem droht mein Gepäckträger nun trotz fast ausgehängtem Hinterrad den Reifen zu blockieren. Jedes Schlagloch kann das letzte sein. Und davon gibt es jede Menge. Wir entgehen den Gewittern, die sich um uns herum zusammenballen.
Tamchy erweist sich als eine Ansammlung von Häuschen, vor denen fast überall steht: Zimmer zu vermieten. Wir finden auf dem Weg von der Hauptstraße zum See bei Hausnr. 12 einen blumenreichen Innenhof, wo wir im Motel-Stil ein winziges Zimmerchen mit anderthalb Betten bekommen. Vier Euro pro Person. Und Hausherrin Ludmila Gavrilovna spricht so viel Englisch wie wir Russisch. Der Abendspaziergang am Strand (Foto unten) offenbart ein improvisiertes Angebot an allem, was man an einem Urlaubsufer so im Sommer erwartet. Sogar Quads.


Miri balanciert auf Steg in Tamchy am Ysyk Köl (Ысыккөл, Иссык-Куль, Yssykköl, Issyk-Kul, Issyk Kul), Kirgistan
Balance am Abend am Ysyk Köl


Strand-Szene am Morgen in Tamchy am Ysyk Köl (Ысыккөл, Иссык-Куль, Yssykköl, Issyk-Kul, Issyk Kul), KirgistanBremsen für Almaty
Dienstag, 9. Juli 2013: Taxi Tamchy - Bischkek

Ruhiger Morgen im Blumenmeer von Ludmila und am See (Foto links). Miri schwimmt eine große Runde. Mittags nehmen wir ein Taxi nach Bischkek. Zwei Personen, zwei Fahrräder und 200 Kilometer für 50 Dollar. Nicht nur die Sicherheitsgurte funktionieren, sogar die Klimaanlage. Und in der Tiefebene ist es etwa zehn Grad wärmer als oben am See auf 1600 Meter. Auch wenn alle über diesen vergleichsweise kühlen und regnerischen Sommer klagen. So ganz traut unser Fahrer der amerikanischen Währung nicht. Deshalb müssen wir das Geld in Bischkek noch tauschen.
Wir statten FreeBike einen kurzen Besuch ab. Regeln die Übergabe der Räder in Almaty etwas definitiver. Am Morgen hatte sich der Gepäckträger an meinem Rad endgültig in zwei Teile zerlegt. Wir bekommen einen neuen. Den Bedarf an neuen Bremsen sieht Dennis nicht so deutlich. Überhaupt ist er heute nicht so richtig zu begeistern. Mit Olga als Dolmetscherin haben wir heuer nur telefonisch zu tun. Nach einer guten halben Stunde sehen die Räder so aus, als würden sie die restlichen 250 Kilometer bis Almaty durchhalten.


Museum für nationale Geschichte in Bischkek
Vor dem Museum für nationale Geschichte in Bischkek


Kasachstan erreicht - Gibraltar fehlt
Mittwoch, 10. Juli 2013: Bischkek - Grenze Kirgistan/Kasachstan - Kordai-Pass (1233 m) - Akterek (117 km)

Sie haben nur noch neun Briefmarken, aber wir haben zehn Postkarten. Die Lage ist vertrackt in der zentralen Hauptpost in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek. Eine Handvoll Briefmarken steht der Postmitarbeiterin überhaupt nur zur Verfügung. Den Wert 30 Som, etwa ein halber Euro, für Postkarten nach Deutschland, hat sie in zwei sehr verschiedenen, zwei sehr schönen Motiven. Aber summa summarum nur neun Mal.
Es wird gesucht, gekramt, gequatscht. Nichts zu machen. Dann greift sie zum ultimativen Mittel: eine 20er- und eine 10er-Briefmarke wird kombiniert. Auch sehr schön. Unerfindlicher Weise zahlen wir pro Postkarte dann aber etwas über 35 Som. Das ist wiederum etwas weniger, als sie mir vorher gesagt hatte. Bevor ich noch einmal zehn Dollar getauscht habe, um die Postkarten doch noch in Bischkek aufgeben zu können.
Für zehn Dollar wiederum gab es einen schlechteren Kurs. Wegen der kleinen Menge wollte mir - statt der außen angeschlagenen gut 48 Som - einer nur 45, einer nur 40 Som (also fast 20 Prozent weniger), der letzte immerhin 47 Som geben. Bleiben also noch ein paar Som für einen letzten Supermarkt-Einkauf. Miris Lieblingssaft "Beresi" (Birkensaft) gibt es leider nicht. Dafür gekochter Buchweizen, Blinni (kleine Pfannküchle) und undefinierte Teigtaschen.
Südwind bläst uns in einer Stunde zur Grenze. Der kirgisische Ausreisestempel wird für uns Radler von Amts wegen ruckzuck organisiert. Bei den Kasachen müssen wir unsere Räder stehen lassen und kurz durch die Immigration. Kleines Zettelchen als Ergänzung zu unserm Visum ausfüllen. Fertig. Die bei Fußgängern obligatorische Gepäckdurchleuchtung bleibt uns erspart.
Nach einer Viertelstunde sind wir komplett über der Grenze. Und sprechen mit einem Amerikaner, der auf sein Sammeltaxi wartet. Da er in Freiburg studiert hat, spricht er perfekt Deutsch. Lebt in Peking und reist durch Chinas Umfeld. War grad im Norden Afghanistans, wo er in Mazar-e-Sharif außer einem als Paschtunen verkleideten Holländer der einzige Tourist blieb.
Kasachstan ist das 80. Land, das ich mit dem Fahrrad erreicht habe. Das letzte Land Europas, wenn man so will. Die europäische Fläche liegt von der Größe her im oberen Drittel der europäischen Staaten, größer als Griechenland allemal. Auch wenn wir am ganz andern Ende von Kasachstan radeln. Es sollte auch das letzte Uefa-Land sein. Aber vor zwei Monaten hat die Uefa Gibraltar aufgenommen.
Mittags-Pause mit Julien Paul an der Fernstraße Bischkek-Almaty in Kasachstan Bis zur Grenze haben wir hundert Höhenmeter verloren, die haben wir zur Mittagspause wieder gewonnen. Wir passen zufällig das vorerst letzte Restaurant ab, wo Julien Paul mit seinen Ortliebtaschen samt Lowrider und Rad sitzt (Foto rechts). "The Road Inside Me" heißen Homepage und Motto des Franzosen, der jahrelang auf der Outside-Road unterwegs ist. Zunächst von Mexiko nach Ushaia und jetzt in ganz Asien auf dem Weg zu seinem Bruder in Kambodscha. Wir können uns über alle Himmelsrichtungen austauschen und ihn auch mit kirgisischen Karten beglücken.
Dann beginnt der mit Abstand mühsamste Teil des Tages. Der extrem langsame, plötzlich mit Gegenwind unterlegte Aufstieg zum Kordai-Pass (Korday, Kurday, Кордай, Курдайский перевал, 1233 m). Samt Zwangpause wegen Gewitter und Ermüdung. Immerhin kühlt der Regen die Luft von 41 auf 17 Grad runter.
Am andern Fuße des Passes stärken wir uns erneut in einer riesigen, menschenleeren Kantine, durch die Vögel schwirren und immer zielsicher die offenen Türen anpeilen. Birkensaft gibt es hier auch. Es lebe Kasachstan. Vor allem, als wir nach genau hundert Kilometern heute die Grenze zum Oblast Almaty überqueren und der raue Asphalt sich in ganz weichen, sanften wandelt. Und weil wir jetzt wieder Rückenwind haben, rollen wir einfach so dahin. Fahren zum ersten Mal auf dieser Tour sieben Stunden netto (bisher maximal sechs Stunden). Und beim Abzweig von Akterek (Foto unten) inmitten der weithin einsehbaren Felder stellen wir unser Zelt auf. Sind entsprechend müde. Mit der Hoffnung, morgen Almaty zu erreichen.


Gate to Akterek, Kasachstan
Leaving Akterek in the morning


On the way to AlmatyLetzte Panne in Almaty
Donnerstag, 11. Juli 2013: Akterek - Almaty (129 km)

Die letzte Etappe soll die längste werden. Es sind noch 130 Kilometer bis ins Herz von Almaty (Алматы, ehemals Alma-Ata, Алма-Ата). Der Wind ist uns auch heute weitgehend gewogen. Anfangs ist es weiterhin flach. Insgesamt 80 Kilometer hält der sehr gute Asphalt. 63 Kilometer vor Almaty ist es damit vorbei. Und zwar dort, wo die Straße vierspurig wird. Mit begrüntem Mittelstreifen (Foto links). Das relaxt.
Dafür ist es inzwischen hilly geworden. Und, wenn die Sonne direkt scheint, heiß. Aber das ist selten. Meist düsen wir unter den Wolken daher bei immer noch 30 Grad. 46 Kilometer vor Almaty kommt endlich ein lang ersehntes Kafesi, ein Straßenrestaurant, wo wir uns mal wieder redlich bemühen, ein vegetarisches Omelette zu bekommen.
Bei der Ortseinfahrt (Foto unten) sind es immer noch 15 Kilometer. Miris Rad hat erneut einen Platten. Ein alter Flicken - jemand hat dort mal einen halbierten Flicken auf dem Schlauch platziert - ist an der halbierten Seite undicht. Miri setzt einen ganz breiten Flicken drauf.
Günstigerweise war der Reifen genau vor einem Gebäude mit Internet-Café platt. Im ersten Stock gibt es einen PC, den ich nutzen kann. Bei booking.com reserviere ich ein Appartment in der City. Die Adresse führt uns zu dem verschlossenen Lessor-Büro. Die "Rezeption" sollte doch 24 Stunden in Betrieb sein. Ich rufe die Nummer auf der Fensterscheibe an. Ja, er sei in fünf Minuten da. Innerhalb von Sekunden rauscht ein Wagen vors Büro. Der junge Lessor-Manager öffnet uns auf der andern Seite des nicht sehr ansehnlichen Komplexes eine tolle Zwei-Zimmer-Wohnung, in der wir unsere Ruhe haben. Und unsere Räder auch.
Am lauen Sommerabend macht Almaty einen sehr entspannten Eindruck. Und wir auch.


Stadtgrenze von Almaty
Einfahrt in die Stadt


Almaty vor dem Panorama der Tienshan-Berge


Bei EliteSport
Freitag, 12. Juli 2013: Almaty - Almaty Airport (14 km)

Unser Flug geht morgen früh um 6.30 Uhr. Heute Abend um 22 Uhr sollen am Flughafen die Räder von einem kirgisischen Taxifahrer abgeholt werden. Aber schon um 11.30 Uhr müssen wir unsere Zwei-Zimmer-Wohnung räumen. Was tun mit Gepäck und Rädern? Wir versuchen unser Glück bei einem Fahrradladen und -Verleih: Elitesport, gerade ein paar hundert Meter die Straße runter. Yeah, Sascha spricht ein bisschen Englisch. Wir können die Räder vor dem Haus neben der Armada der Miet-MTBs anketten und das Gepäck in dem gut sortierten Laden lassen: www.elitesport.kz (funktioniert derzeit nicht). Die Domain-Endung .KZ, die allerorten auftaucht, ist gewöhnungsbedürftig.
Miri und Maxime in Almaty Moschee, grüner Basar, immer wieder Hochzeitspaare, Panfilow-Kathedrale. Hier treffen wir Maxime aus Nordfrankreich mit seinem Ortlieb-bestückten Rad. Er ist phantastisch. Hat gerade eine Riesentour durch Mongolei, China und Ost-Kasachstan hinter sich. Nach wochenlanger Einsamkeit freut er sich in perfektem Deutsch mal so richtig erzählen zu können. Über fehlendes Wasser, fehlende Orientierung und fehlenden Rückenwind auf der mongolischen Süd-Route. Die lückenlose chinesische Überwachung mit entsprechender stundenlanger Befragung an der Grenze. Die traumhaften Landschaften. Meine Homepage kennt er auch. Wir versuchen noch, ihn mit Julien in Kontakt zu bringen, den er in Bischkek treffen könnte.
Schließlich fahren wir mit der noch sehr neuen Metro, die bisher zwischen sieben Stationen pendelt. Es geht tief bergab. Alles kühl, sauber, leer. Wir fahren zwei Stationen zum Republikplatz. An einem Springbrunnen machen wir Hitzepause (Foto unten). Im neuen Einkaufszentrum unterm Republikplatz begrüßt uns der kasachische Fahrradheld und überführte Dopingsünder Winokurow auf einem Plakat vor einem Rennrad.

Miri on the Bike am Flughafen von Almaty Um 18.30 Uhr brechen wir vom Fahrradladen EliteSport auf zu den letzten 14 Kilometern dieser Tour. Wir haben noch eine Fahrradpumpe gekauft, nachdem uns die alte ja kurz vor Kotschkor im Stich gelassen hatte. Miris Rad, dessen Platten wir nur vorübergehend beheben konnten, wird noch mal aufgepumpt. Es reicht. Es geht leicht bergab in die Ebene. Viel Verkehr. Und plötzlich stehen wir vor den Schranken des Flughafenvorfahrtparkplatzes. Wird der Taxifahrer tatsächlich kommen? Was machen wir im Falle eines Falles, wenn er nicht (rechtzeitig) kommt? Unsere Accessoires demontiere ich jedenfalls. Unsere beiden alten Fahrradkörbe bleiben hier.
Gegen halb zehn eine SMS aus Kirgisien. Der Fahrer sei schon in Almaty. Punkt zehn steht an dem von mir vorgeschlagenen Treffpunkt, einer Litfasssäule, die ich per Internet-Bildersuche gefunden hatte, ein junges Mädchen und schaut sich suchend um. Wir mussten den Platz räumen, weil ein Rasensprenger mit der einsetzenden Dunkelheit in Betrieb ging - wir wurden freundlicher Weise extra gewarnt. Ja, die junge Frau ist der local guide für den älteren Taxi-Fahrer aus Bischkek. Sie hilft noch, die Vorderräder auszubauen. Übergibt das Geld. Der Fahrer hat noch vier Stunden Fahrt vor sich. Die Räder wird er aber erst morgens abliefern.
Wir lassen uns nieder im Flughafengebäude. Miri legt sich auf ihre Matraze, ich bevorzuge einen nicht arbeitenden Massage-Stuhl. Will noch das Free Wifi des Flughafen nutzen. Bin aber einfach unendlich müde. Schon um Mitternacht.


Springbrunnen mit Regenbogen beim Rathaus von Almaty
Mittagspause in Almaty


Coface Arena FSV Mainz 05 LuftbildSchlenker übers Stadion
Samstag, 13. Juli 2013: Flug Almaty - Moskau-Vnukovo - Frankfurt

Einchecken ohne Räder ist noch schöner. Auch wenn es 4 Uhr morgens ist. Bis zu dem Punkt, wo bei der Handgepäck-Kontrolle Fahrradschlösser und Expander, die ich - unnötiger Weise - aus Gewichtsgründen ins Handgepäck genommen hatte, Argwohn erregen. Ich kann sie zum Glück nachträglich aufgeben.
Erstmals fliegen wir mit Transaero. Drehkreuz ist der Flughafen Moskau-Wnukowo, wo ich vor zehn Jahren von Wladikawkas aus gelandet bin, um mich dann durch Moskau zum größten Flughafen Scheremetsewo durchzuschlagen. Seitdem ist hier wohl alles neu.
Zum Schluss bekommen wir noch einen Schlenker über Mainz, samt Stadionblick von oben (Foto rechts).

Fazit: Wir haben viel Erfahrung gesammelt in Sachen Mieträder. Es hat gut geklappt. Aber es hätte, wie bei jeder anderen Tour auch, jederzeit einen Abbruch geben können. Unser umfangreiches Gepäck braucht sehr gute und ausreichend Gepäckträger.
Sehr viele Bergpisten in Kirgistan sind wunderbar zu fahren. Es gibt minimalen Verkehr und doch sind überall sehr freundliche, respektvolle Menschen, die helfen, wenn es nötig ist. Da sich die Tour spontan entwickelt hat, standen wir plötzlich an einem unpassierbaren Pass. Das war nicht nur der höchste jemals gemeinsam erreichte Punkt, sondern auch einer von vielen wunderbaren Momenten auf über 3000 Metern in Zentralasien.


Route Kirgisien - Almaty



Blaue Linie = Touren-Route; Buchstaben = Start und Ziel der Etappen

Etappen Kirgisien - Almaty (27.6.-11.7.2013)

Details mit Geschwindigkeiten, Höhenmetern etc. als Excel-Tabelle

Tag Datum Start Zwischenstationen Ziel km
1. 27.6.2013 Bischkek Tokmok - Kemin Chuyskoe 106
2. 28.6.2013 Chuyskoe Boom-Schlucht - Kubaki-Pass (2160 m) Kotschkor 86
3. 29.6.2013 Kotschkor Sary Bulak - Keng-Suu Tölök-Tal 64
4. 30.6.2013 Tölök-Tal Kalmak-Ashu-Pass (3445 m) Song Köl 52
5. 1.7.2013 Song Köl Terskei-Torpok-Pass (3133 m) Song-Köl-Tal 34
6. 2.7.2013 Song-Köl-Tal Korgo-Pass (3013 m) - Kara-Unkur Kichi-Kara-Kudzhur-Tal 46
7. 3.7.2013 Kichi-Kara-Kudzhur-Tal Pass (3200 m) - Ter-Suu-Tal Solton-Sary-Tal 44
8. 4.7.2013 Solton-Sary-Tal Chamaldilga-Pass (3414 m) - Zher-Kochku - Kara-Kudzhur-Tal Kongurlen-Tal 44
9. 5.7.2013 Kongurlen-Tal Kongurlen-Pass (3786/3864 m) Kongurlen-Tal 19
10. 6.7.2013 Kongurlen-Tal Kara-Kudzhur-Tal - Ak-Kyja - Sary Bulak Kotschkor 103
11. 7.7.2013 Kotschkor
12. 8.7.2013 Kotschkor Balykchy Tamchy 107
13. 9.7.2013 Taxi Tamchy - Bischkek
14. 10.7.2013 Bischkek Grenze Kirgistan/Kasachstan - Kordai-Pass (1233 m) Akterek 117
15. 11.7.2013 Akterek Almaty 129
Summe 951

Chris on the Bike in der Boom-Schlucht
In der Boom-Schlucht

Miri: Schattenspiele mit Giant-Rad
Miri on the Giant-Bike


Anschluss Tour 32: Samarkand - Kashgar (1200 km) Sept. 2006


Nächste Tour: Bamberg - Neckarelz (856 km) Sept./Okt. 2013

Vorherige Tour: Essen - Borkum (980 km) April/Mai 2013


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