Dann geht's los. Der Geograph bekommt noch einen militärischen
Aufpasser ins Auto gesetzt und tuckert mit Tempo 15, 20, 25 vor uns her.
15 km bis zur Abzweigung, an der angeblich die Entscheidung fallen soll,
die die Soldaten längst getroffen haben: Wir müssen den Umweg fahren und
werden zudem vom Militär begleitet. Zunächst in einem mit fünf Soldaten
besetzten Auto, dann von einem Motorradfahrer. Widerstand zwecklos. Ich
verzweifle. Das lange zermürbende Warten völlig vergebens; schlimmer: wir
haben wertvolle Stunden auf der schweren Strecke verloren. An den
Ortsgrenzen wechseln die Soldaten. Jetzt sind zwei Soldaten mit einem Pick
Up vor, hinter oder neben uns (Foto links mit einem der beiden Soldaten).
Nach anfänglichem gegenseitigem Abtasten versuchen sie unseren Ärger und
Frust über die unfreiwillige Eskorte mit dem Kauf eines frisch gebackenen
Brotes zu erweichen. Auch das Tal, in dem wir jetzt emporstrampeln,
entschädigt uns. Zunächst ein 100, 200 m breites karges Lehmtal, in das
sich mit dem Unwetter Ende Juli / Anfang August der Bach ein tiefes neues
Bett gegraben hat. Und dabei Häuser, Bäume und Strommasten mitriss. Wir
hören, die offizielle Zahl der Toten liege bei 250, die wahre bei 6.000.
Der Rote Halbmond hat Zelte aufgestellt, von Neubauten ist jetzt zu Beginn
des Winters nichts zu sehen. Wieder wechselt das Begleit-Team. Das neue
Duo ist sehr viel mürrischer, will uns samt Räder am liebsten gleich auf
den Pick-Up laden, was wir dankend ablehnen. Sie fahren nicht in unserem
unmittelbaren Windschatten sondern warten meist alle paar hundert Meter
auf uns. Eskortiert zu werden, hatte ich mir schlimmer vorgestellt. Wir
fahren dadurch zügiger, konquenter, schneller. Jetzt geht's richtig
aufwärts zur Passhöhe. Mit jeder Haarnadelkurve steigt die Achtung unserer
Begleiter, die beginnen uns gelegentlich anzufeuern. Auch mit dem
Versprechen, die nächste Anhöhe sei die letzte, was sich immer wieder als
Lüge erweist, versuchen sie uns Mut zu machen. Miri meistert die Höhe
brilliant. Wir sind sicher über 1.000 m. Dann sind wir tatsächlich ganz
oben und rauschen auf ein Hochplateau hinab. Max. speed 64 km/h. Der
Militärjeep setzt sich vor uns, um unsere Fahrt zu bremsen. Bis auf 14
Grad ist das Thermometer gefallen, dann wird es unter einer Wolkendecke
wärmer. Aber auch dunkler, dunkel. Wir haben keine Ahnung, wo wir sind,
was kommt, wo wir übernachten können. Geben uns ganz der Fürsorge der
Militärs hin. Ein kleiner Ort mit lauter Lehmhäusern taucht auf. Die
Soldaten halten erst, als wir am Ortsende auf einen
Zwei-Container-Stützpunkt ihrer Kollegen stoßen. Sie fragen uns, wo wir
denn unser Zelt aufstellen wollten. Äh, wir haben weder Zelt, noch
Isomatte, noch Schlafsack. Spekulieren eigentlich auf einen Homestay oder
eine Moschee. Die Sonne ist weg, vor den Häusern brennt eine Glühbirne.
Die Soldaten meinen: Weiterfahren. Den einzigen Ort, den wir laut Karte
erwarten, haben wir offenbar weiträumig umfahren. Wir jagen trotz
Dynamo-Einsatz zügig mit Rückenwind über die Hochebene, stetig umgeben vom
Militärjeep. Bis sich die beiden Soldaten völlig überraschend
verabschieden und mit Fingern andeuten, in 15 km komme schon
irgendetwas. Wir stehen im Dunkel. Da dieser Weg auch der offzielle
Umweg für Fahrzeuge aller Art zur "unpassierbaren" Straße durch Golestan
ist, herrscht reger Verkehr. Als nach einer Stunde Nachtradeln immer noch
kein Dorf aufgetaucht ist, pausieren wir. Ganz in der Nähe eines einsamen
Wohnhauses mit verbarrikadierten Fensterläden und einer einsam leuchtenden
Glühbirne vor der Haustür. Zu wenig einladend, um um ein Nachtquartier zu
bitten. Außerdem ist es weiterhin angenehm warm. Das Mondlicht dringt
durch die Wolkendecke. Um im Notfall jederzeit die Räder aufgeben zu
können, stecken wir Pass und Taschenlampe in unsere Radkleidung. Ganz
geheuer ist uns die Umgebung nicht. Überall war zu lesen, dass hier im
Grenzgebiet zu Turkmenistan und nicht allzu weit von Afghanistan eine
Lebensader des Opium-Handels nach Europa verläuft, wo Kuriere nachts die
heiße Ware nach Westen schaffen. Wir fahren weiter. Schon nach kurzer
Zeit überholt uns ein weißes Auto mit Warnblinklicht. Es hält. Ein paar
hundert Meter vor uns. Wir halten an. Versuchen unsere
Standlicht-Beleuchtung zu verdunkeln. Zwei Männer steigen aus dem Wagen.
In der klaren Bergluft können wir ein paar Worte hören. Da vorbeifahren
wollen wir nicht. Also zurück. Zurück zu unserem Pausenplatz. Vielleicht
doch dort klopfen. Dynamo aus. Los. Wir sind ein paar Meter gefahren
und schon startet der immer noch blinkende Wagen. Wendet. Kommt hinter uns
die Straße hoch. Wir wenden. Wollen bergab vorbeifahren. Versuchen ein
anderes Fahrzeug anzuhalten. Vergeblich. Jetzt ist das Auto mit den
Männern auf unserer Höhe. Miri startet durch. Ich hinterher. Höre im
Vorbeifahrn noch die Worte: "Warten Sie. Hier ist die Polizei." Auf
Deutsch. Wir bleiben stehen, das Auto hat gewendet. Ich sperre mit
meinem Fahrrad die Gegenfahrbahn und zwinge so einen kleinen Pick-Up zum
Anhalten. Aus dem unverändert blinkenden Wagen sind vier Männer
ausgestiegen. Einer davon mit Uniform und Maschinengewehr. Der älteste
Herr kommt auf uns zu: "Sind Sie die deutschen Radler?" Er hat viele Jahre
in Hamburg gearbeitet und wurde wohl angerufen, um sich um uns zu kümmern.
Erleichterung. Der blinkende Wagen eskortiert uns ein paar Kilometer bis
zum Ortseingang von Garmab, wo Kollegen der uns inzwischen wohl bekannten
Militär-Straßen-Polizei einen Checkpoint mitten in der Bergwelt von
Golestan bemannen. Wir werden hineingebeten in die Dienststube links vom
Eingang - rechts davon erspähen wir sehnsuchtsvoll ein frisch bezogenes
zweistöckiges Etagenbett. Eine absurde Zeremonie beginnt. Obwohl
bereits die Soldaten in Minu Dasht unsere Ausweis kopiert haben, trägt
jetzt der Ex-Hamburger, der sich wie seine Mitfahrer als Kurde bezeichnet,
aus unseren Reisepässen Daten vor, die ein junger Soldat in ein dickes
Buch einträgt. Diese Informationen übermittelt dieser Soldat
offensichtlich in einem Nachbarraum telefonisch weiter. Als Anfänger
fehlen ihm jedoch Mal um Mal entscheidende Daten: Passnummer,
Geburtsdatum, Gültigkeitsdatum... So dass die Zeremonie immer wieder von
vorn beginnt. Dann wird endlich die Frage nach unserer Übernachtung
gestellt. Uns wird ein Quartier in der Militärstation angeboten oder eine
Eskorte ins 60 km entfernte Ashkhane über eine - wie uns mehrfach
versichert wird - einfache, flache Strecke, um im dortigen Hotel, geführt
von einem guten Freund des Ex-Hamburgers, zu nächtigen. Wir wollen uns
erst mal das Militärquartier anschaun. Leider werden wir nicht zu dem
Jugendherbergs-Etagenbett geführt, sondern zu einem Container auf der
andern Straßenseite, vor dem Soldaten die Wagen in beide Richtungen
kontrollieren. Kurz bevor wir diesen Container in
Fußball-Mannschafts-Stärke mit Kurden- und Militärtross erreichen, tauchen
neue Probleme auf. Urplötzlich sollen wir, statt im Container zu schlafen,
nach einem Quartier im Dorf Ausschau halten. Daraufhin entscheiden wir uns
zum Weiterfahrn. Wir starten - allerdings ohne die versprochene
Eskorte. |