Belarussische Grenz-Orgie
Montag, 6. August 2007: Miedzyrzec Podlaski - Grenze
Polen/Belarus - Brest (73 km) Monica (vermutlich schreibt sie sich
im Polnischen mindestens Monyka) schlummert parallel obenauf im Abteil. In
Bielefeld stieg noch jemand zu, der aber schon vor Warschau wieder weg
war. Mein Fahrrad erreicht Warschau neben zwei anderen Fahrrädern. Wir
stolpern in die düsteren Katakomben von Warszawa Centralna. In den drei
Stunden bis zur Weiterfahrt will ich noch einiges am neuen Fahrrad in
Fahrt bringen, belasse es aber bei einigen Beauty-Shots vor den "Goldenen
Terrassen", dem Mega-Einkaufszentrum direkt neben Hauptbahnhof und
Kulturpalast. Wo es auch noch einen Flaschenhalter zu kaufen gibt. Die
Weiterfahrt nach Miedzyrzec Podlaski - laut Fahrplan ohne
Rad-Beförderungsmöglichkeit - ist samt Fahrrad kein Problem. Ich bin
längst nicht der einzige, der am Ende des D-Zuges sein Fahrrad in die
weitgehend leeren S-Bahn-Abteile manövriert. Auf dem Bahnhof von
Miedzyrzec Podlaski (Foto rechts) dann noch Installation des neuen
Flaschenhalters, der beiden Fahrrad-Computer. Vor sieben Jahren, fast auf
den Tag genau, bin ich auf dem Weg von Mainz via Prag, Zakopane, Krakau,
Lublin nach Vilnius hier durchgeradelt. Und schließe nun den Weg nach
Osten an. Eine neue breite Asphaltstraße ist fast überall fertig bis
zur Grenze, wo die Schnellstraße an den großen Highway über Minsk nach
Moskau anschließt. Die Gepäcktaschen fliegen noch ab und zu von meinem
Tubus-Logo-40kg-Gepäckträger, ansonsten ist von einer Montagsproduktion,
die es nach Meinung meines Fahrrad-Händlers gelegentlich gebe, nichts zu
merken. Dann wird's ernst: Die polnisch-belarussische Grenze. Etwas
unvorbereitet stehe ich am Ortsende von Terespol unvermittelt vor dem
polnischen Grenz-Terminal. Und nicht nur ich. Da ich seitwärts auf die
doppelreihige Auto-Schlange stoße, kann ich deren Länge kaum abschätzen.
Ist auch normalerweise egal, denn als Fahrradfahrer genießt man fast
überall Express-Abfertigung. Hier allerdings gehen die Uhren anders. Der
polnische Grenzbeamte macht mir unmissverständlich deutlich: Hier komme
ich nur an Bord eines motorbetriebenen Fahrzeugs über die Grenze. Eine
probate Grenz-Schikane, wie sie z.B. auch an der israelisch-jordanischen
Grenze bei der Allenby-Bridge im Jordantal angewendet wird. Ein Bus mit
Mannheimer Kennzeichen, der in vorderster Front steht, ist gut gefüllt mit
russischen Passagieren. Der Busfahrer will mir gern behilflich sein. Da
der Bus aber im Transit fahre, dürfe er niemanden zu- oder abladen. Es
bleibe mir nur der Gang entlang der überfüllten Autos und
Kleinbusse. Als ich daran entlang trotte, verrät mir einer meine
Chance: wenn ich am Ende der Warteschlange jemanden fände, der mich
mitnehme, dann könne der mit mir die ganze Schlange umgehen. Denn
EU-Bürger werden am polnischen Teil der Grenze bevorzugt
abgefertigt. Ein paar Autos weiter steht der leere Mazda von Sergej,
der als Berufsfahrer auch sofort seine finanzielle Chance wittert. Im
allgemeinen Tumult wird die Rückbank umgelegt, und mein Fahrrad samt
Taschen landet im Fond. Während wir an der Schlange vorbeirauschen, stelle
ich positiv überrascht fest, dass all meine Habseligkeiten an Bord zu sein
scheinen. Ruckzuck sind wir auf der Grenze, der Brücke über den
Grenzfluss Bug, was der schon zwischen 1939 und 1941 durch den
Hitler-Stalin-Pakt geworden war. Am Brückenende eine rote Ampel. Und die
bleibt rot. Für eine Stunde. Wachwechsel auf der belarussischen
Seite. Als es schließlich langsam weiter geht, bleibt genug Zeit, um
eine verlangte zusätzliche weißrussiche Krankenversicherung abzuschließen
(vier Euro für elf Tage - billiger als die Barmer). Sergej zeigt mir
immer, wo es weiter geht. Die Kontrolle meines Gepäcks ist rein
symbolisch. Nach 2 Std. 53 Min., plus eine weitere Stunde Zeitumstellung,
sind wir kurz nach 22 Uhr durch. Sergej verlangt 20 Euro und lässt sich
auch nicht mit weniger abspeisen. Dafür fehlt am Ende der ältere meiner
beiden Fahrrad-Computer (vulgo Kilometer-Zähler). Er kann sich nur schwer
von selbst gelöst haben... Es bleiben ein paar Meter nach Brest hinein,
das als Brest-Litovsk (was wohl "litauisches Brest" heißen soll, im
Gegensatz etwa zum bretonischen) mit dem Friedensvertrag im Frühjahr 1918
das Ende des Ersten Weltkriegs einleutete. Die Hotel-Blöcke Belarus und
Intourist sind nicht gerade einladend, im Hotel Bug zeigt man das
SU-übliche Desinteresse an einem Übernachtungs-Gast, im Hotel Vesna
dagegen sind sie "auf Zack" - wie mein Vater sagen würde. Schon hab ich
ein Zimmerchen mit Dusche, TV. |