Durch die Beschäftigung mit den Beschaffenheiten der
Straße und den Befindlichkeiten ihrer Erbauer versäume ich einen Abstecher
auf die andere Nil-Seite nach Alt-Dongola. Christliche Fresken und
Kirchen-Ruinen aus dem Mittelalter - die Fotos sind
verheißungsvoll.
Begrüßt hat mich am Morgen ein kleines Tierchen, das
beim Öffnen aus meinem Rucksack hopste. Von Tag zu Tag werde ich
vorsichtiger rund um mein Nachtlager. Es wird auch immer schwerer,
unbemerkt mein Lager aufzuschlagen. Heute haben mindestens zwei Leute
mitbekommen, wie und wo ich schlafe. Meine Fahrradspuren sind in der
sandigen Umgebung leicht zu verfolgen...
Zwölf Stunden Dunkelheit jede
Nacht sind eine lange Zeit. Die kleine Taschenlampe kann und soll nicht
ewig brennen. „Out of the dark - hörst du die Stimme, die dir sagt: Into
the light!” (Falco, postum veröffentlicht 1998) Tagebuch schreibe ich
häufig blind im Dunkeln. Jeden Abend eine Din A 3 Seite, die Rückseite der
Straßenkarten-Kopien.
Heute Abend lässt mein Elan jäh nach. Innerhalb
kurzer Zeit liege ich im Schlafsack. Ohne Abendessen, ohne
Ein-Liter-Dusche, kein Schlafanzug, kaum Tagebuch. Liege ich da. “I close
my eyes. Only for a moment, then the moment's gone.” Der Himmel dreht sich
über mir und in mir. „All my dreams: Pass before my eyes, a curiosity.”
Ich kann den Nil sehen mit seinem Palmen-, Lichter-, Häuser-Saum. Die
Menschen sind elend weit weg. “We're just a drop of water, in an endless
sea. All we do just crumbles to the ground, though we refuse to see: Dust
in the wind.” Wenn mir noch schlechter wird? geworden wäre in den einsamen
Regionen des Nordens? „It could all end instantly as you will see. Time
waits for no one, it just moves on.” Ich schlafe ein. Und schrecke immer
wieder auf. Der ganze Körper rebelliert. Atmen ist die Therapie. “Life's
too short brothers and sisters… Don't hang on. Nothing lasts forever, but
the earth and sky it's there always. And all your money won't another
minute buy. Dust. . . all we are is dust in the wind.” (Kerry Livgren,
Kansas, 1977)
Taxi, Pyramiden,
Fähren-Zusammenstoß und ein prächtiges Hotel
Mittwoch, 7. März 2007:
[Debba -6 km] - Abu Dom - Taxi - Nuri - Fähre - Karima (52 km)
Als
ich endgültig aufwache - ist alles überstanden. Der Körper gereinigt. Wie
neu. Bleiben die Reparaturen. Heute Problem Nr. 1: die Kette. Sie reißt
schon nach wenigen Metern und dann immer wieder. Genauer: ein Kettenglied,
vermutlich das unter fachmännischer Assistenz vor kurzem zusammen
gebastelte, löst sich. Der Pin rutscht immer wieder raus. Gut, dass ich
seit einiger Zeit einen Kettennieter dabei habe und neulich erste
Erfahrungen gesammelt habe. Insbesondere, wie schnell der Pin des Nieters
abbricht. Und damit das ganze Gerät zu Konsum-Schrott wird.
Von Mal zu
Mal hält’s besser. Vor allem nachdem ich den Pin endgültig verloren habe
und ich einen meiner drei Reserve-Pinne montiere.
Die letzten
Kilometer bis zum Beginn des Desert Highways sind mühsam. Der Nil führt in
einem großen Bogen nach Nord-Westen und mich damit in den
Gegenwind-Bereich.
Abgekämpft erreiche ich nach 40 km die
Hütten-Restaurants an der T-Junction (Foto rechts). Joghurt mit Zucker
avanciert zu einer wichtigen Nahrungsquelle. Und Limo. Gegessen habe ich
schon länger nicht mehr richtig. Sieben geschmierte Schmelzkäse-Kniften
fahre ich seit gestern Morgen spazieren.
Ich könnte die 303 km
Wüsten-Highway nach Khartum runterspulen. Und käme zügig zum Ziel. Ich
will aber Pyramiden sehen. Ein Abstecher nach Karima ist zu verlockend.
120 km. Der Plan: Hinfahren - gegen den Wind - im Taxi. Zurück von
Pyramide zu Pyramide radeln.
Als ich nach angemessener Pause wieder
transportfähig bin - jeder Tag ein neuer Hitzerekord; mittags kann ich
nicht mehr radeln - frage ich einen Pick-Up-Fahrer, ob er Richtung
Nord-Ost fährt. Natürlich fährt er, alle Pick-Up-Fahrer sind Taxi-Fahrer.
Und für mich sowieso.
Wie viel das denn koste? 150 sudanesische Pfund.
Mein Problem: Ich will nicht so viel zahlen und in Pfund kann ich gar
nicht. Ich biete 50 Dollar, umgerechnet 100 Pfund.
Das akzeptiert
Hassan, mein zukünftiger Chauffeur, ziemlich schnell, nachdem ich ihn vom
Wechselkurs überzeugen kann. Die Frage ist nur die Stückelung.
Inzwischen sind wir von einer Traube anderer Fahrer und potentieller
Passagiere umgeben. Was die Verhandlungen nicht erleichtert. Trotzdem
gelingt es uns, uns auf Halb und Halb zu einigen. 25 Dollar und 50 Pfund.
Ein paar Pfund muss ich unbedingt behalten, da ich nicht weiß, wo ich -
wenn überhaupt - noch mal Tauschen kann.
Das langwierige Verhandeln
bedingte aber, dass ich mein Geld bereits komplett übergeben habe. Was mir
nur noch begrenzte Druckmittel lässt. „Don’t pay the ferryman. Don’t even
fix a price. Don’t pay the ferryman. Until he gets you to the other side.“
(Chris de Burgh; 1982) Meine Vorstellungen sind denkbar einfach: Er hat
gutes Geld bekommen, das Fahrrad kommt hinten auf die Ladefläche, ich
sitze auf dem Beifahrersitz und wir sind in spätestens zwei Stunden am
Ziel. So meine Vision nach sieben Tagen Unabhängigkeit im Sattel.
Danach sieht es zunächst auch aus. Allerdings fährt er erst einmal in
die falsche Richtung. Es geht, na logo, erst mal zur Tankstelle. Eine
geradezu professionelle, im Vergleich zu den Bretterbuden am Straßenrand,
in denen aus dem Barrell heraus das Zeug literweise in Tank oder Kanister
gefüllt wird. 1,50 Pfund (rund 60 Euro-Cent) kostet das. Der Tross des
gesamten fahrenden Gewerbes ist uns die paar Meter gefolgt.