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VG WORTTour 95: Neiße - Oder - Stettiner Haff (785 km)


Oder-Deich mit Radweg und deutscher Grenzmarkierung und Fluss
Irgendwo an der Oder

Bike-Blog & Routen-Karte & Etappen-Übersicht
Neiße - Oder - Stettiner Haff (18.-27.5.2018)
Auf der Naht zur slawischen Welt

Ich will von der Neiße-Quelle zur Ostsee radeln. Eigentlich gibt es mehrere Neißes. Bei der Grenze und dieser Tour geht's um die (254 Kilometer lange) Lausitzer (früher auch Görlitzer) Neiße, die bei Ratzdorf (kurz vor Eisenhüttenstadt) in die Oder mündet.
Die Weiße und Schwarze Neiße sind Nebenflüsse der Lausitzer Neiße, die Glatzer oder Schlesische Neiße ist ein Nebenfluss der Oder (an ihr liegt die Stadt Neisse), die Wütende Neiße ein Nebenfluss der Kaczawa und die Kleine Neiße ein Nebenfluss der Wütenden Neiße...
Die Oder wiederum ist ein wesentlich längerer Fluss (866 Kilometer), der wesentlich weiter östlich entspringt und durch die polnischen Städte Ostrau, Oppeln, Breslau fließt (Karte links).
Aufwändig ist von Mainz aus die (Bahn-)Fahrt zu beiden Enden des Radwegs. Mit Übernachtung sind es jeweils rund 24 Stunden. Anfangen will ich in Nová Ves nad Nisou (Neudorf an der Neiße) mit der Neiße-Quelle, früher "Neißborn".

Karte mit Neiße und Oder und Anlieger-Staaten
Neiße und Oder


Fahrrad- und Fensterschatten im InterCity Bahn-Wahn
Freitag, 18. Mai 2018: Mainz - Zug - Hannover

Diesmal dauert das Gespräch mit der Bahn-Hotline in Sachen Fahrrad-Stellplatzreservierung 29 Minuten und 56 Sekunden. Es gehört aber auch eine Reservierung für die Rückfahrt der letzten Tour dazu. Also: für insgesamt drei Tickets für je 6 Euro spreche ich eine halbe Stunde lang mit dem Mann bei der Hotline. Anfangs behauptet er, ich könne Fahrrad-Reservierungen nur mit Fahrkarten-Buchungen gemeinsam machen. Nein, muss ich ihm sagen. Ich rufe ja gerade an, weil nur in direktem Gespräch kann man eine reine Rad-Reservierung machen. Online muss man tatsächlich eine Fahrkarte dazubuchen, um eine Reservierung zu machen. Das will ich aber nicht, weil ich eventuell ja die Route Nairobi-Kampala-Kigali fahren will. Aber das ist eine andere Geschichte.
Als er dann gerade Stellplätze für die Fahrt von Mainz nach Frankfurt, von Frankfurt nach Hannover und von Hannover nach Dresden-Neustadt gefunden hat, es aber nicht schafft, das alles mit einer Internationalen Fahrradkarte nach Liberec ("Ist das in der Tschechei?") in Tschechien zu verknüpfen, will er mich plötzlich mit der Auslandshotline verbinden. Ich kann gerade noch rechtzeitig ein extrem deutliches STOPP in den Hörer rufen. Das Risiko, dass alle Reservierungen verloren gehen bzw. ich komplett aus der Leitung fliege oder ewig in einer Warteschleife hänge, wie zuletzt gerade erst im April, ist mir zu groß. Da zahle ich lieber zur Not am Ende der Fahrt eine weitere Fahrradkarte für die letzten Kilometer in Tschechien.
Schließlich ist der Mann dann aus rechtlichen Gründen vor meiner endgültigen Zustimmung zum Kauf offenbar gezwungen ("Ich fass kurz zusammen:"), alle Einzelverbindungen mit Uhrzeit samt Wagen- und Stellplatznummer noch einmal vorzutragen. Auch das dauert. "Es gelten unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen." Bei der Rückfahrt vereinfache ich die Fahrradreservierung, indem ich nur ein Ticket von Berlin nach Mainz bestelle. Die Fahrt von Usedom oder wo auch immer ich am Ende mit dem Rad hinkomme, zahle ich eben zusätzlich. Hauptsache das Fahrrad hat einen Stellplatz im InterCity.


Mobiler XXL-Flaschenhalter an Damenrad
Mobiler Flaschenhalter


Volles IC-Fahrrad-Abteil Den ersten Stellplatz brauche ich dann im richtigen Leben gar nicht. Der IC von Mainz nach Frankfurt hat so viel Verspätung, dass ich lieber sicherheitshalber die S-Bahn nehme. In Frankfurt ist der Fahrrad-Waggon heute am andern Ende des Zuges, ohne dass jemand darüber informiert hätte. Und, wie zu erwarten, ist er ziemlich voll (Foto rechts). Andere haben ihre Plätze schon vor Monaten reserviert. Die Dreier-Gruppe neben mir aber hat noch keine Rückfahrtplätze für den nächsten Sonntag reserviert. Das könnte schwierig werden. Zumal von der Weser aus.
Als die drei in Kassel aussteigen, komme ich mit einem Vater ins Gespräch, der mit seiner Tochter die Elbe raufradeln möchte. Nachdem sie einen Anschlusszug verpasst haben, haben sie bei der DB-Zentrale eine Sondergenehmigung erwirkt, dass sie ihre Räder in diesem Zug mitnehmen dürfen. Alle Verbindungen nach Bremen, auch morgen, seien fahrradtechnisch ausgebucht. Sie haben, so wie ich, nur zwei Satteltaschen. Aber die hat Papa am Rad. Wenn er mit den Söhnen fährt, sieht das anders aus.
Mein Hostel (Foto unten) in Hannover liegt direkt am Hauptbahnhof. Hannover liegt nun wirklich nicht auf dem direkten Weg zur Neißequelle. Aber auf der Hauptstrecke von Frankfurt nach Dresden fahren praktisch nur ICE. Deshalb muss ich diesen Umweg machen. Nach viereinhalb Stunden Bahnfahrt heute, stehen morgen noch einmal neun Stunden Bahn an.


Innenhof Bed'nBudget City-Hostel, Hannover, mit Fahrrad
Fahrrad im Hostelhof

Fahrradabteil im doppelstöckigen IC-Wagen von außen
Fahrradabteil im doppelstöckigen IC


Einzel-Fahrradstellplatz im doppelstöckigen InterCity Touren-Tag Nummer 1.000
Samstag, 19. Mai 2018: Hannover - Zug - Neißequelle – Liberec (Reichenberg) - Grenze Tschechien/Deutschland - Zittau (59 km)

Um sechs Uhr morgens verlasse ich das Hotel. Es wird knapp zehn Stunden dauern, bis ich am Startpunkt der Tour, der Neißequelle, bin. Ich radle durch die menschenleere Fußgängerzone. Am Hauptbahnhof Hannover ist schon einiges los. Der "InterCity" ist ein modifizierter doppelstöckiger Regionalzug (Foto oben). Es gibt immerhin Aufhängvorrichtungen für Räder. Ich habe einen Einzelplatz gewonnen (Foto links). Eine Frau schafft es, ihr überdimensionales Faltrad noch an die Seite zu quetschen. Später sitzt jemand auf dem Sitz.
Von Dresden-Neustadt nach Zittau komme ich im "trilex-express" wieder mit einem Radler ins Gespräch. Er will mit einem Kumpel auf Dauer von Zittau nach Aachen. Im ersten Anlauf haben sie mal Marburg avisiert. So ist er ruckzuck in Zittau verschwunden. Die nächste trilex-Bahn nach Liberec füllt sich erst beim ersten Halt hinter der deutsch-tschechischen Grenze. Rundherum wird plötzlich Tschechisch gesprochen. Auch der Schaffner radebrecht mehr so rum. Immerhin kann er mir in Liberec verraten, dass das Gleis meines letzten Zugs heute erst kurz vor der Abfahrt bekannt gegeben wird.
In der Schalterhalle kaufe ich mit EC-Karte ein Ticket im Wert von 1,25 Euro. Obwohl ich auf das Fahrrad gezeigt habe, muss ich dafür im Zug noch ein Radticket lösen. Das kann ich dann mit einer Ein-Euro-Münze bezahlen. So, wie das Eis am Bahnhof. Diese letzte Bahn, der "Regio-Spyder", bringt mir zwar nur noch knapp 20 Kilometer, dafür aber rund 200 Höhenmeter. Der Bahnhof von Lučany nad Nisou (einst Wiesenthal an der Neiße) ist der Quelle am nächsten: Jetzt noch 1.800 Meter Weg mit rund 50 Höhenmetern. Der Start zu meinem tausendsten Touren-Tag auf dem Rad. Ohne Ruhetage. Seit 1981. Dann bin ich an der Quelle, die 2010 eine neue, dreisprachige Inschrift bekommen hat: Tschechisch, Deutsch und Sorbisch: Neißequelle (Fotos unten).


Neißequelle mit Fahrrad
Start an der Neißequelle

Neißequelle mit Fahrrad
2010 neu angelegt

Steg an der Neißequelle mit Fahrrad
Steg neben dem Bachlauf


Rathaus Liberec Jetzt ist zum ersten Mal heute die Sonne richtig rausgekommen. Durch Nová Ves nad Nisou (Neudorf an der Neiße) radle ich hinunter im Tal. Der eigentliche Radweg führt über die Berge. Da bekommt man aber weder was vom Fluss noch von den Orten am Fluss mit. In Jablonec nad Nisou (Gablonz an der Neiße) gibt es das ein oder andere Jugendstilgebäude, vor allem die altkatholische Heiligkreuzkirche. In Liberec (Reichenberg) ist eine Demo vor dem Rathaus. Ein paar Meter weiter ist ein Synagogenneubau in den Bibliotheksneubau integriert worden. Rund 100.000 Menschen leben hier. Eine Großstadt. Viele, viele Pensionen säumen den Weg.
Dann tauchen erste Radwegschilder (Cyklotrasa) auf. Kleine schwarz-gelbe, meist mit der Zahl 20, gelegentlich zusätzlich mit dem Logo "Odra–Nisa". Ich kombiniere Straße, Google Maps und die Fahrradschilder. Bleibe meist so nah wie möglich an der Neiße. Aber schon vom Zug aus war zu sehen, dass das nicht einfach ist. Erst ab Chrastava (Kratzau) wird es einfacher. Und damit auch schneller. Eine Burg mit Namen "Grabštejn" sehe ich kurz. Und dann kommt kurz hinter Hrádek nad Nisou (Grottau) schon die tschechisch-deutsche Grenze. Bald gefolgt vom Dreiländereck mit Polen (Fotos unten). Auf der polnischen Seite steht eine größere Gruppe rund um ein großes, dort installiertes Kreuz, und singt und betet laut.
Zittau wirkt am frühen Samstagabend ziemlich verlassen und leer. Ich folge dem Radweg entlang der B 99 zum Vorort Drausendorf. Dort ist ein junges Paar dabei, aus dem bisherigen Landgasthof ein Bett & Bike zu machen. Da kann man schon ganz gut den Abend und die Nacht verbringen.


Fahrradwege und tschechische Beschilderung am Grenzübergang Hartau zwischen Deutschland und Tschechien
Tschechische Fahrradwegbeschilderung direkt an der Grenze

Dreiländereck mit Fahnen: Polen, Deutschland, Tschechien
Dreiländereck: Polen, Deutschland, Tschechien


Herrnhuter Sterne am Stammhaus in Herrnhut Das verlorene Portemonnaie
Pfingstsonntag, 20. Mai 2018: Zittau - Herrnhut - Görlitz (DE/PL) - Rothenburg/Oberlausitz (94 km)

Rund 200 Höhenmeter nach Herrnhut sollten zu bewältigen sein. Aber ich muss um acht Uhr los. Denn um halb zehn beginnt dort sonntags der Gottesdienst der berühmtem "Brüdergemeine", die vor allem durch ihre "Losungen" eine große Bedeutung in der protestantischen Frömmigkeit erlangt hat. "Siehe, des Herrn Arm ist nicht zu kurz, dass er nicht helfen könnte..." steht da heute aus dem Jesaja-Buch.
Als ich die weiße, nahezu schmucklose Kirche betrete, ist sie noch fast leer. Die meisten kommen auf den letzten Drücker. Leben wohl hier direkt in den verschiedenen diakonischen Einrichtungen der Herrnhuter. Auch Behinderte. Ein Mann setzt sich zu mir, erzählt mir von seiner Begeisterung für den Schauspieler Manfred Krug. Von den Videos und Autogramme, die er hat. Und erklärt mir, dass heute mit Abendmahl gefeiert werde - wegen Pfingsten.
Schon legen die Posaunen los und es ziehen, ebenfalls in Weiß, die Vorsteherinnen und Vorsteher ein (Fotos unten). Angesichts der langen Abendmahlausteilung stehen jede Menge Lieder auf dem Programm. Es gibt wohl kaum ein Pfingstlied, das wir heute auslassen. Die europäischen Festlands-Herrnhuter treffen sich am nächsten Wochenende hier zu ihrer Synode. Dann geht's vor allem um Einsparungen, Konzentration auf das Wesentliche. In Europa gibt es Herrnhuter vor allem in Holland, weltweit vor allem in Tansania. In Afrika sind sie als Moravian Church (Kirche von Mähren) bekannt.
Ich ziehe noch über den "Gottesacker", den Friedhof mit seinen schlichten, liegenden Grabplatten aus dem 18. Jahrhundert bis heute. Zwei Kilometer bergab steht in Berthelsdorf das Zinzendorfschloss des Gründers der Brüdergemeine, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Auch da hängt, wie auch hier und da im Ort, ein Herrnhuter Stern, der andernorts nur Weihnachten aufgehängt wird (Foto links).
Google Maps soll mich nach Görlitz zurück zur Neiße führen. Der Weg führt durch einen wunderbaren Wald und dann über die Höhen. Vorbei an Windrädern (Foto unten). In Görlitz mache ich eine Stippvisite beim "Heiligen Grab", einem Nachbau der Lokalitäten von Jerusalem aus dem 16. Jahrhundert (Foto rechts). Dann radle ich durch die Stadt runter zur Neiße. Kurz auf die polnische Seite der Stadt, die dort Zgorzelec heißt. Kaufe ein und setze mich auf der deutschen Seite, direkt an der Grenzbrücke (Foto weiter unten), auf eine Parkbank im Schatten. Trotz des Sonnenscheins ist es durch den kalten Wind, der inzwischen aus Osten aufgezogen ist, so kühl, dass ich meine Windjacke anziehe.


Kirchensaal der Brüdergemeine Herrnhut von außen
Kirchensaal der Brüdergemeine Herrnhut

Kirchensaal der Brüdergemeine Herrnhut: Einzug zum Pfingstgottesdienst
Einzug zum Pfingstgottesdienst

Kirchensaal der Brüdergemeine Herrnhut: Sechs Kelche fürs Abendmahl beim Pfingstgottesdienst
Heute mit Abendmahl

Zinzendorfschloss Berthelsdorf mit Herrnhuter Stern
Zinzendorfschloss Berthelsdorf

Windräder am Horizont mit Rapsfeld und Wald
Windräder und Wald am Horizont


Heiliges Grab in Görlitz Ich pinkel. Das "Wildpinkeln" gehört zu den (bisher) ungestraften Usancen des Fernradfahrens. Beim Aufsteigen auf das Rad greife ich mehr aus Gewohnheit an die rechte Gesäßtasche. Dort sitzt in der Regel das Portemonnaie. Ich spüre es nicht. Weil es nicht dort ist. Auch in den andern Taschen kann ich es nicht erspüren. Leicht verunsichert durchsuche ich die Taschen am Rad. Ohne daran zu glauben, es dort zu finden. Kein Zweifel: ich habe es wohl verloren. Vermutlich auf der Parkbank bei der Pause direkt an der Brücke nach Polen. Es muss aus meiner neuen Outdoor-Hose rausgerutscht sein, die leider keinen Reißverschluss mehr hat.
Muss ich wohl die fünf Kilometer zurück zur Bank radeln. Mit eher wenig Hoffnung, es dort noch zu finden. Der Kopf macht schon Notfallpläne: Wie komme ich an Geld? Wen muss ich informieren? Was genau ist im Portemonnaie neben den hundert Euro? Da brummt es in meiner Lenkertasche. Schnell bin ich am Handy. Die Touristeninformation von Görlitz am Obermarkt meldet sich. Eine Frau hat mein Portemonnaie dort abgegeben. Was für ein Glück. Auch nach dem Anruf bin ich auf dem Weg zurück nach Görlitz wesentlich schneller als auf dem Hinweg. Was wohl nicht nur am leichten Rückenwind liegt, den ich jetzt habe. Wenig habe ich in den letzten Jahren verloren. Die meisten Dinge gehen verloren, weil man sie am Anfang ungünstig platziert und weniger, weil man sie am Ende vergisst. Gerade in den Hotelzimmern ist das zur beständigen Routine geworden, alle Abläufe von vornherein so anzugehen, dass nichts verloren geht. Mein Reisenecessaire zieht schon gut zwanzig Jahre mit.
Die Geldbörse liegt sicher in der TouriInfo. Mit Dienstausweis, dem alten Führerschein von 1981 und allen Karten. Deo Gratias. Und Elke F. Deren Adresse ich nun auf einem Zettel bekommen habe. Als ich sie später anrufe, erfahre ich, dass das Portemonnaie mitten auf dem Weg lag. Sie war mit ihren beiden Enkeln unterwegs. Ich schicke ein Dankespaket.
Zum dritten Mal fahre ich dann die fünf Kilometer nördlich von Görlitz. Hauptsächlich an der Hauptstraße, die eigentlich gar nicht mit dem Fernradweg identisch ist. Aber die meisten fahren hier. Und am Nachmittag sind es jede Menge Radler, die hier unterwegs sind. Anders als auf meiner Karte aus den neunziger Jahren, gibt es inzwischen auch längere, neu gebaute Radstrecken direkt am Ufer. Manchmal geht es auch im Zickzack über Landstraße und Bahnstrecken.
In Rothenburg hab ich ein einfaches Quartier auf dem Martinshof der Brüdergemeinde. Auch eine diakonische Einrichtung, in der viele Behinderte leben. Manche Gebäude auf dem weitläufigen Gelände haben noch ein bisschen DDR-Charme. So auch mein Zimmer.


Altstadtbrücke (Most staromiejski) Görlitz-Zgorzelec
Altstadtbrücke über die Neiße von Deutschland nach Polen

Radweg im Fichten-Wald, Sachsen
Radweg im Wald


Schleife der Lausitzer Neiße bei Rothenburg/Oberlausitz Dramen bei den Ziegenhöfen
Pfingstmontag, 21. Mai 2018: Rothenburg/Oberlausitz - Bad Muskau - Guben (DE/PL) (109 km)

Alle Räder stehen am Morgen noch vor dem Haus. Obwohl einige Gäste, so wie ich, darauf verzichtet haben, ihre Räder im Schuppen einzuschließen. Er wäre einfach recht weit entfernt auf dem weitläufigen Gelände. Und das, obwohl überall vor Diebstahl bei offenen Fenstern oder Türen gewarnt wird.
Beim Frühstück sitzt ein mittelaltes Paar aus der Nähe von Gummersbach am Nachbartisch. Für die beiden ist das die erste große Radtour. Er klagt nach den ersten beiden Tagen über Schmerzen am Popo. Heute wollen sie weniger weit als gestern: nur bis Bad Muskau. Um genug Zeit für die dortigen Parkanlagen zu haben.
Die habe ich zügig, vorbei an der ein oder andern Neißeschleife (Foto links) erreicht. Zumal der Ostwind mich ein bisschen unterstützt. Einmal, weil die Strecke sich bald ein bisschen Richtung Nordwesten dreht, dann auch, weil der Wind ein bisschen Richtung Süden dreht. Ausgiebige Pause im Park von Fürst Pückler. Das Schloss erstrahlt in neuem Glanz. Der englische Landschaftspark passt sich perfekt in die Umgebung ein (Fotos unten).
Nur wenige Kilometer weiter passiere ich einen Ziegenhof direkt am Ufer und direkt um die Ecke einen weiteren Ziegenhof. Miri hätte auf jeden Fall angehalten. Ich bin aber gerade wieder im Rhythmus und verpasse, wie ich später erfahre, einiges.


Schloss Bad Muskau im Fürst-Pückler-Park
Schloss Bad Muskau im Fürst-Pückler-Park

Fürst-Pückler-Park mit Lausitzer Neiße
Mittendrin die Lausitzer Neiße

Fahrrad vor dem Schloss Bad Muskau
Schöne Kulisse


Stadtkirche Sankt Nikolai in Forst (Lausitz) Der Ort Forst (Lausitz) war mir samt seiner Stadtkirche Sankt Nikolai (Foto rechts) bisher gänzlich unbekannt. Es ist am frühen Pfingstmontag-Nachmittag auch absolut gar nichts los. Der Hanoi-Quan-Imbiss hat immerhin auf. Ich sitze im Halbschatten gegenüber der Kirche und esse vegetarisch scharf. Da gesellt sich ein weiteres Radlerpaar zu mir. Die beiden Berliner machen einen Kurztrip an Neiße und Oder. Und haben das gleiche Tagesziel wie ich: Guben. Sie haben im deutschen Ortsteil ein Zimmer gebucht, ich im polnischen Teil - früher das Zentrum der durch Fluss und Landesgrenze geteilten Stadt.
Wir fahren also die letzten 30 Tageskilometer zusammen. Heike und Stefan geben ganz schön Gas mit ihren Gazellen-Hollandrädern (Fotos unten). Ich kann im Windschatten gerade so mithalten. Direkt an der Kirchenruine auf der polnischen Seite lassen wir den Tag bei drei Radlern noch sehr nett ausklingen.
Sie haben im ersten Ziegenhof eine Geburt erlebt, einen Ziegenkäse gekauft und im zweiten Ziegenhof von den Rivalitäten der beiden Höfe gehört. Stefan kennt die Strecke schon von einer anderen Tour und hat ein paar gute Tipps. Vielleicht fahren wir ja auch morgen wieder ein Stück zusammen. Die Etappe heute war elf Kilometer länger als geplant. Ich kämpfe mich noch ein, zwei Kilometer durch Gubin den Berg hinauf zum "Pensjonat Pause". Einer ganz chic eingerichteten, neuen Pension. Und sinke todmüde ins Bett.


Radler mit und ohne Helm auf dem Deich (Oder-Neiße-Radweg)
Stefan und Heike machen Windschatten für mich

Happiness auf der Terasse des Restaurant Tercet in Gubin/Guben
Happiness in Guben

Werderturm (Wieża Bramy Ostrowskiej): Teil der ehemaligen Stadtmauer von Gubin
Werderturm: Teil der ehemaligen Stadtmauer von Guben


Neißemündung in die Oder bei Ratzdorf Barockwunder und sozialistische Modellstadt
Dienstag, 22. Mai 2018: Guben (PL/DE) - Frankfurt/Oder - Küstrin (DE/PL) (111 km)

Heike und Stefan wollen noch ein bisschen frühstücken. So fahre ich zunächst zehn Kilometer auf der polnischen Seite. Das Gefühl auf der polnischen Seite ist ein völlig anderes: es schwingt der ganze ehemalige Ostblock, die slawische Welt mit. Meine vielen Touren im Osten. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR spüre ich davon nur sehr wenig.
Über eine neue, chice Brücke bei Coschen geht's zurück auf die Westseite. Bald bin ich in Ratzdorf an der Mündung der Neiße in die Oder. Durch Gras und Brennnessel hindurch kann man bis zum Ufer kommen. Die vergleichsweise kleine Neiße und die große Oder (Foto links). Der vereinbarte Treffpunkt mit Heike und Stefan hat geschlossen. Es ist schon recht spät, ich bin nicht sicher, ob die beiden schon durch sind oder nicht - und sie sind offline: so entschließe ich mich nach einiger Zeit, allein weiter zu fahren.
Kurz darauf ist eine große Deichbaustelle. Der Radweg, der hier meist auf dem Deich verläuft, wird umgeleitet. Zum Glück. Denn so werde ich direkt zum "Barockwunder Brandenburgs" geführt: dem ehemaligen Zisterzienserkloster Neuzelle mit seinen beiden Kirchen: die kleinere, heutzutage evangelisch, die größere: katholisch. Beide Kirchen versetzen einen in das barockste Süddeutschland (Fotos unten). So komplett einheitlich wirkende barocke Kirchräume überraschen total. Und ziehen viele Besucher an.


Zufahrt auf Neuzelle
Zufahrt auf Neuzelle

Neuzelle: Innenansicht Evangelische Kirche
Evangelische Kirche

Blick in die Gärten vom Kloster Neuzelle
Blick in die Gärten

Neuzelle: Innenschmuck Detail
Barock all over

Neuzelle: Blick auf Klosterkomplex
Im Vordergrund die evangelische Kirche

Neuzelle: Innenansicht Katholische Kirhce
In der katholischen Kirche


Brieskow-Finkenheerd: Boote am Stef Durch die Umleitung liegt auch die einstige sozialistische Modellstadt Eisenhüttenstadt auf dem Weg. Ich irre ein bisschen über die großzügig angelegten Boulevards mit breiten Fahrradstreifen. Was für ein Kontrast zum Barock. Die Ecken, die ich kenne, finde ich nicht. So radle ich über den Spree-Oder-Kanal hinüber in den alten, konventionellen Ortsteil Fürstenberg. Und pausiere da am frisch polierten Denkmal der sowjetischen Gefallenen.
Danach läuft es ganz leicht: mit Rückenwind durch die Ziltendorfer Niederung, bekannt durch die ein oder andere Hochwasser-Berichterstattung. Ein uriger Hafen gehört dazu. Danach führt der Radweg auf einer separaten Asphaltpiste direkt neben der Schnellstraße. Nicht übermäßig romantisch. Zuletzt geht's hinab nach Frankfurt an der Oder. Auf der anderen Seite sieht man den einstigen Vorort Dammvorstadt bzw. Gartenstadt, nach dem Krieg zur selbstständigen polnischen Stadt Slubice gemacht.
Es ist heiß, und ich flüchte mich mit einer Falafel unter die Schirme eines Dönerladens. An Marienkirche und Rathaus vorbei suche ich den Radweg zurück an der Oder. Als ich ob der mysteriösen Beschilderung an einer Kreuzung im Kreis fahre, empfiehlt mir ein junger Mann, am Ufer zu bleiben. Der kleine Pfad, gelegentlich ein bisschen sandig, führt mich nun ganz einsam und romantisch durch die Auen des Oderbruchs. Was natürlich nicht bei Hochwasser möglich ist. Erst kurz vor Lebus führt der Weg hinauf zum "Oberberg". Es ist noch ein bisschen früh, um hier zu übernachten. So entschließe ich mich, doch bis Küstrin durchzuradeln. Auch wenn das, so wie gestern, deutlich weiter ist, als geplant.
An der "Diplomatentreppe" im Deich bei Reitwein genieße ich den direkten Blick aufs Wasser. Ein Radler, der in Stettin gestartet ist, setzt sich auf die Bank neben mir. Er kam wegen vieler Pfingstgottesdienste nicht dazu, die Kirchen von Stettin zu besichtigen. Heute war er auf den Seelower Höhen, wo eines der letzten großen Gefechte zwischen Deutschen und Sowjets im Zweiten Weltkrieg stattfand. Ganz hier in der Nähe. Aber für mich keine Alternative. Ich bin froh, wenn meine Knochen, vor allem das linke Knie, halbwegs halten. Kurz darauf sucht eine dicke, fette Schlange, die sich auf dem warmen Asphalt des Deichradwegs niedergelassen hat, vor mir das Weite. Reichlich Rehe sind mir in den vergangenen Tagen schon begegnet.
Küstrin ist mir seit dem Lateinunterricht am Carl-Humann-Gymnasium in Essen geläufig. Lateinpauker Koch ("Det is nich sechs, det is sechs-minus."), nannte es mit Berlin und Schwerin immer in einem Atemzug, um die Betonung auf der Endsilbe und ihre Etymologie zu erklären. - Die Bastion Küstrin ist nur noch in Rudimenten vorhanden. Das Hotel Bastion ist der Ur-Bastion ein bisschen nachgebaut. Ein riesiges Hotel, in dem ich wieder auf der polnischen Seite der Grenze übernachte. Wegen der Größe des Hotels, glaubte ich, vor Ort unter Umständen günstige an ein Zimmer zu kommen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Rezeption will deutlich mehr Geld. Auch als ich auf booking.com verweise. So buche ich vor den Augen der Rezeptionistin das Zimmer in der App. Sekunden später kommt die Buchung aus dem Drucker. Zum günstigsten Preis.


Oder-Auen
Oder-Auen


Küstrin-Kietz, Küstriner Vorland: Anfang der B 1 an der polnisch-deutschen Grenze Begegnungen mit B 1, B 2 und einem Nacktradler
Mittwoch, 23. Mai 2018: Küstrin (PL/DE) - Schwedt - Gartz (Oder) (115 km)

Beim polnischen Massenfrühstück im Hotelrestaurant kreuzen sich die Wege von LKW-Fahrern, Businessmen, Italienern und Radlern. Früh sitze ich auf dem Rad. Fahre die tausend Meter zurück zur Grenze. Hier beginnt heutzutage die B 1 (Foto links), die als Reichsstraße 1 auf 1392 Kilometern von Aachen einmal quer durch Deutschland über den polnischen Korridor in Westpreußen bis jenseits von Königsberg führte.
Die ersten 50 Kilometer geht es nun Richtung Nordwesten. Da ist der Nordostwind mehr Hilfe als Hemmnis. Solange er hilft, fahre ich meist auf dem Deich. Wenn nicht, weiche ich auf das zweite Asphaltband am Fuß des Deiches landeinwärts aus. Auch heute wieder einige Touren- und Rennradler rundherum. Dennoch ist die Fahrt recht einsam. Führt wunderbar durch die Untere Odertallandschaft. Auf polnischer Seite sieht man Berge. Das gibt der Landschaft Kontur.
Bei Hohenwurzen und Hohensaaten dreht nun die Strecke nach Norden. Damit beginnt der mühsame Kampf gegen den Wind. Eine kurze Weile radle ich im Windschatten von drei Frauen. Sie machen eine Kurzrundtour im Nordosten von Berlin. Wie sehr sie mir helfen, merke ich vor allem, als sie eine Pause machen und ich weiter alleine kämpfe. Wenige Meter weiter pausiert ein Nacktradler unter einem Baum. Ganz nackt. Als ich kurz darauf eine Pause brauche, kann ich ihn fotografieren (Foto unten). Die drei Frauen folgen ihm.
Fixpunkt hier ist Criewen. Das Schloss ist eher ein bescheidener Bau, aber zusammen mit dem von Altmeister Lenné angelegten Landschaftspark (Foto unten) - samt alter Pfarrkirche - ist das ein sehr schönes Ensemble. Auch das "Besucherzentrum Nationalpark Unteres Odertal" ist in einem der alten Gebäude untergebracht.


Nacktradler auf Oder-Deich
Nacktradeln: auch eine Frage der Ästhetik

Lenné-Werk im Schlosspark von Criewen
Lenné-Werk im Schlosspark von Criewen

Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße mit Frachtschiff
Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße


Schwedt: Skulptur 'Stehende afrikanische Mutter' (Gerhard Geyer, 1962) Der Fluss ist nun, nach holländischem Vorbild von Maas und Rhein, vor Jahrhunderten gepoldert worden und wird von einem Kanal, der "Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße" begleitet, an dem nun auch der Fahrradweg weitgehend entlang führt.
In Schwedt sehe ich rumradelnd alles Mögliche (Foto rechts: Skulptur 'Stehende afrikanische Mutter' von Gerhard Geyer, 1962), bevor ich zurück am Ufer eine Pause mit Blick auf den Kanal einlege. Es ist wiederum sehr früh, sodass ich noch die nächste Station anpeile. Von Friedrichsthal an ist der Oder-Radweg (von heute an, wie ich später in der Zeitung lese) bis 2021 wegen umfangreicher Deicherneuerung gesperrt. Eine Umleitung ist eingerichtet, wie es so schön heißt. Sie führt zur Bundesstraße, die B 2, und will die Radler dann zum Zurückfahren Richtung Schwedt verleiten, um dann in großem Umweg nach Gartz zu führen. Zusätzliche drei Kilometer bei einem Streckenabschnitt von acht Kilometern. Ich werde nicht der einzige bleiben, der sich dafür entscheidet, auf der B 2 direkt nach Gartz zu fahren. Auch wenn das alles andere als angenehm ist. Ein Tourenradler kommt mir auf der Bundesstraße entgegen.
Gartz entpuppt sich dann als ein sehr schönes Örtchen direkt am Oder-Kanal. Im dritten Anlauf finde ich auch ein Einzelzimmer. Von dort sind es zu gotischen Hospital (Foto unten), altem Stadttor, der halben Kriegsruinenkirche St. Stephan und dem Eis am Ufer nur wenige Meter.


Gartz (Oder): Heilig-Geist-Hospital
Heilig-Geist-Hospital in Gartz

Oder-Radweg: Deutsch-polnischer Grenzübergang bei Staffelde
Deutsch-polnischer Grenzübergang bei Staffelde

Polnischer Oder-Radweg nach Stettin
Polnischer Oder-Radweg nach Stettin


Polnischer Oder-Radweg bei Stettin Im "Stettiner Zipfel" unterwegs
Donnerstag, 24. Mai 2018: Gartz (Oder) - Grenze DE/PL - Stettin - Nowe Warpno - Fähre PL/DE - Altwarp (95 km)

Rund fünf Kilometer sind es noch bis Mescherin. Dann verlässt der Radweg die Oder oder: die Oder verlässt die Grenze. Hier beginnt der "Stettiner Zipfel": der Teil westlich der Oder, der nach dem Krieg an Polen fiel. Noch Monate nach Kriegsende waren Stettin und sein westliches Umfeld umstritten zwischen Polen und Sowjetischer Besatzungszone in Deutschland.
Der deutsche Neiße-Oder-Radweg verläuft nun etwas unmotiviert an der deutschen Grenze entlang und führt dann um das Stettiner Haff herum. Am Grenzeck bei Staffelde (Fotos oben und links) beginnt auch eine polnische Variante, der ich bis Stettin folgen will. Sehr romantisch durch den Wald, oft aber zu romantisch: der Weg versandet. Der Verbesserungstrupp, dem ich begegne, macht die Sache mit seiner Asche kaum besser. Die Beschilderung ist sehr viel schwächer und undeutlicher als im deutschen Teil. Ich verfahre mich mehrfach. So komm ich mühsam müde schließlich in Stettin an. Einige Höhenmeter gehören auch dazu. Am besten fährt man wahrscheinlich in Mescherin auf die östliche Oderseite und folgt dort dem polnischen Hauptoderweg. Aber da ich ihn nicht ausprobiert habe, will ich das nicht vertiefen.
Stettin ist ein bisschen groß und unübersichtlich. Daran kann auch die freundliche Dame an der TouriInfo nichts ändern. In der kleinen Broschüre werden sehr viele Sehenswürdigkeiten aufgeführt. Ich vermag keinen Kern zu erkennen. Soweit ich am Ende sehe, gibt es auch keinen Kern. Vom alten Stettin sind nur Bruchstücke erhalten. Chic ist die neue Philharmonie (Fotos unten).


Karłowicz Philharmonic Szczecin
Philharmonie in Stettin

Work in Szezin: Werbeplakat
Arbeite in Stettin: Werbeplakat

Stettin: Straßenbahn vor Hauptpost
Stettin: Straßenbahn vor Hauptpost


Trzebież  (deutsch Ziegenort): Häuser mit Kirche Ich radle weiter. Eigentlich wollte ich auf der östlichen Seite um das Stettiner Haff herum nach Usedom. Aber der Nordostwind ist mir heute zu mühsam. So bleibe ich auf der Westseite und ziehe den Stettiner Zipfel hinauf bis zur äußersten Spitze bei Trzebież.
Die Strecke ist keineswegs einsam. Lange begleitet mich noch die Straßenbahn. Viel Verkehr auch danach. Sogar ein großes Chemiewerk taucht mitten im Nichts auf. Trezbiez (Foto links), zu deutschen Zeiten "Ziegenort" genannt, reißt mich nicht so richtig mit. Die Straße durch den Wald nach Nove Warpno ist nun sehr einsam. Kaum noch Verkehr. Kaum Orte. Nur Brzózki quält mich mit drei Kilometern Kopfsteinpflaster gesäumt von Sand.
Zwischen Nowe Warpno auf polnischer Seite und Altwarp auf deutscher Seite gibt es eine winzige Fähre, die nach einem eigenwilligen Plan verkehrt, der wohl immer dann außer Kraft gesetzt wird, wenn das Schiff für touristische Zwecke gebucht worden ist. Eine etwas unsichere Geschichte. Auch der kräftige Nordostwind lässt mich an einer heutigen Seefahrt zweifeln. Am Kai finden sich nur rudimentäre Hinweise, dass die Fähre überhaupt existiert. Es ist noch etwas Zeit bis zur möglichen Abfahrt um viertel vor sechs. Ich nutze sie für Pirogi: Teigtaschen gefüllt mit Kraut-Pilz- oder Spinatgemisch. Kurz nach halb sechs kann ich tatsächlich ein kleines Schiff entdecken, das an der gegenüberliegenden Seite ablegt. Es nimmt Fahrt auf in unsere Richtung. Kurz darauf sind zwei Boller-Kinderwagen, die dazugehörigen Kinder und Erwachsene, sowie mein Rad und ich wackelig an Bord gekommen. Die mobile "Anlegebrücke" besteht aus einem Holzbrett, das etwa ein Meter mal einem halben Meter groß ist. Eine romantische Fahrt in der Abendsonne (Video unten). Die ich via Facebook zur ersten Live-Übertragung von einer meiner Radtouren nutze. Es gibt sogar einen Live-Zuschauer.


Nowe Warpno: Fahrrad an Reling
Nowe Warpno


Fährfahrt auf dem Kutter Lütt Matten von Nowe Warpno nach Altwarp

Strand bei Nowe Warpno
Nowe Warpno


Im Anklamer Stadtbruch Noch mehr Fährfahrten am Stettiner Haff
Freitag, 25. Mai 2018: Altwarp - Kamp - Fähre - Usedom - Grenze Deutschland/Polen - Misdroy (96 km)

Früh am Morgen starte ich nach Westen. Bin letztlich zu dem Schluss gekommen, dass eine Umrundung des Stettiner Haffs das passende Finale dieser Tour ist. Der Wind spräche eher für eine Fahrt nach Berlin. Zumal ich so am Sonntagmorgen noch radeln könnte. Aber die einschlägigen Strecken, Berlin-Usedom-Radweg oder Berlin-Kopenhagen, kenn ich schon.
Um elf Uhr will ich die erste Fahrt der Mini-Fähre von Kamp nach Karnin erwischen. Bis dort habe ich auch halbwegs guten Wind. Die letzten Kilometer durch eine Moorlandschaft, das Naturschutzgebiet Anklamer Stadtbruch (Foto links), sind die schönsten. Plötzlich ist ein kleines Wildschwein vor mir auf dem Weg. Und flieht. Vor mir. Ich verfolge es mit Rad und Kamera. Bis es sich ausgepowert am Rand hilflos ins Gras wirft (Video unten).
Als ich kurz vor elf den Fähranleger erreiche, ist dort alles ruhig. Ich stelle das Rad startbereit an die Reling. Und setze mich daneben auf die Bank. Auftritt Kapitän. Er rauscht mit einem dicken Transporter an und stoppt ihn Millimeter hinter meinem Rad. Meinen Morgen-Gruß erwidert er mit "Mahlzeit". Geht aufs Schiff, lässt aber den Zugang gesperrt. Wirft schließlich den Motor an. Und setzt sich am Steuer. Zur Ruhe. Als um zehn nach elf immer noch kein Start in Sicht ist, frage ich höflichst danach. Ach so, Sie wollen mitfahren. Tja, das war auch wirklich nicht zu erkennen. Bei Ankunft auf der Usedomer Seite zeigt sich, dass auch dort längst Passagiere mit Rädern warten.



Junges Wildschwein flieht vor mir im Anklamer Stadtbruch

Landstraße auf Usedom
Auf Usedom


Sandiger Waldweg mit Fahrrad bei Swinemünde Schon nach wenigen Kilometern führt der Weg durch das Örtchen Usedom auf Usedom. Der Radweg ist gut beschildert. Die Wege meist asphaltiert (Foto oben). Und einige Radler sind hier unterwegs. Es ist etwas frischer als an den letzten Tagen. Ich mache einen Schlenker zum Schloss von Stolpe. Und eine Pause in Garz. Hier, kurz vor der Grenze nach Polen, lese ich in der Ostsee-Zeitung, dass Polen einen Radweg die Oder entlang plant. Und ein italienisches Konsortium gerade beginnt, einen Tunnel unter der Swine zu bauen. Beides gute Nachrichten für in einigen Jahren. Heute kann ich nur mit der Fähre hinüber. Die in Swinemünde kenne ich. Diesmal wähle ich die Alternative: die Karsibor-Fähre weiter im Süden. Dahin kann ich über einen sandigen Waldweg radeln (Foto rechts). Es sind mehrere große Autofähren hier gleichzeitig im Einsatz. Ein polnischer Entefahrer, der in Deutschland arbeitet, unterhält mich an Bord.
Dann bleibe ich bis Misdroy auf der Hauptstraße. Die zunächst vor allem im Rhythmus der Fähren befahren ist. Eigentlich könnte ich dann auf dem parallelen Ostseeradweg fahren, wie ich später anhand einer Karte feststelle. Denn der geht nicht im Norden an der Küste lang, sondern südlich der Hauptstraße. Mangels ausreichender Beschilderung entdecke ich das nicht. Als ich kurz über die Bahnstrecke gehe, um einen Weg durch den Wald zu finden, sind meine Beine in Sekunden zerstochen. Zurück zur Straße.
Misdroy wird in Discounter-Reiseprospekten gern als günstiges, polnisches Ostseeziel angepriesen. Misdroy ist dabei bereits der deutsche Namen. Der polnische ist seit dem Krieg Międzyzdroje. Inzwischen hat sich die Sonne durchgesetzt, auch wenn der Wind die Temperatur nicht richtig ansteigen lässt. Es gibt aber schon einigen Badebetrieb (Foto unten). Ein sehr schönes Zimmer finde ich auch.


Strand mit Seebrücke in Misdroy, Wollin
Misdroy auf Wollin


Platten-Waldweg in Wollin, Polen Kleine Straßen, kleine Orte
Samstag, 26. Mai 2018: Misdroy - Wollin - Stepnica - Stettin (106 km)- Zug - Berlin

Der einzige Regenschauer auf dem Deutschland-Wetterradarbild geht auf Misdroy nieder. So verschiebe ich meinen Start um etwa eine Stunde. Auch heute gibt es eine Deadline: ich möchte den Zug um 17.23 Uhr von Stettin nach Berlin bekommen. Das müsste zu schaffen sein. Aber es darf jetzt nichts mehr dazwischen kommen. Als erstes kommt ein Wald dazwischen. Google-Maps schlägt da hindurch einen anderen Weg vor, als der beschilderte Radweg. Der ist ok (Foto links). Hier regnet es noch ein paar Tropfen nach. Schöne, frische Luft. Trotz Regen und im Gegensatz zu gestern ist es angenehm warm.
Es geht über die Insel Wollin. Kleine Straßen. Kleine Orte. Sehr ruhig, sehr schön. Im Ort Wolin (Wollin) stocke ich meine nicht vorhandenen Lebensmittelvorräte im Netto-Markt auf und kann so frühstücken. Auf der anderen Seite der Dziwna (deutsch Dievenow), einer der drei Mündungsarme der Oder, ist ein kleines Wikinger-Fort nachgebaut (Fotos unten). Ein Pferd jagt dort Schafe auf die Straße. Ein Bauer in Mittelaltertracht rennt ihnen hinterher.
Ich mache einen Schlenker zum Ufer in Stepnica. Ein Ort, der als Stepenitz in der Zwischenkriegszeit, zum Wochenendausflugsziel der Stettiner mutierte. Nachdem der Erste Weltkrieg einen kleinen Sandstrand angeschwemmt hatte, der später ausgebaut wurde (Foto unten). Als die Einwohner gemeinsam einen Dampfer kauften, um die Stettiner Städter damit hierhin zu locken, stieg das Angebot im Ort auf 6.000 Betten. Am Ende diente der Dampfer zur Flucht, als im Laufe des Jahres 1945 auch dieser Ort an Polen fiel.


Wikinger-Schiff vor Wollin/Wolin
Mittelalterlicher Segelschiff-Nachbau vor der Kulisse der Stadt Wollin

Freilichtmuseum Slawen und Wikinger
Freilichtmuseum Slawen und Wikinger bei Wollin

Strand mit Seebrücke in Stepnica (Stepenitz)
Strand mit Seebrücke in Stepnica (Stepenitz)


Straße mit Radweg bei Goleniów Am Ortsausgang passiere ich eine Ikea-Fabrik, die auch als solche gekennzeichnet ist. Berge von Holz werden hier verarbeitet. Am Rande von Goleniów komme ich auf einen schicken, neuen Radweg. Dann widersprechen sich mehrfach wieder mal Google Maps und Realität. Bei Bystra empfiehlt Google Maps einen Uferweg, der anscheinend unpassierbar ist. So folge ich letztlich immer der Straße. Langsam kumuliert der Stettiner Stadtverkehr. Auch auf dieser Seite der Oder liegen große Stadtteile. Dann kommt lange Grünland, dann Industrie- und Hafengebiete, und letztlich lasse ich mich über eine große Brücke in einem großen Bogen an den Nordrand der Innenstadt führen. Zweite Einfahrt in Stettin. Hier hab ich die Stadt als Panorama vor Augen. Und da ich sie schon kenne von der Durchfahrt vor zwei Tagen, weiß ich schnell, wo ich ein passendes Abschlussfoto mache und zum Bahnhof komme (Fotos unten).
Da verkauft man mir für umgerechnet 8,50 Euro ein Sonderangebotsticket nach Berlin. Auf dem Bahnsteig lerne ich Lothar kennen. Er hat sich mit seinem Rad von Stettin an die polnische Ostseeküste durchgekämpft und ist an der entlang ein bisschen Richtung Osten geradelt. Nur der Weg zurück mit dem Zug war mit dem Fahrrad kein großer Spaß. Jetzt aber im deutschen Regionalexpress nach Angermünde gibt es reichlich Platz für Räder. Noch mehr im Anschluss bei der Weiterfahrt nach Berlin.


Blick auf Stettin
Blick auf Stettin

Häuser am Rynek in Stettin
Häuser am Rynek in Stettin


Finale
Sonntag, 27. Mai 2018: Zug Berlin - Mainz

Finale in Berlin. Mit Christoph. Und der Frühmesse in der Hedwigskathedrale. Später rolle ich über die Karl-Marx-Allee (Foto unten) zum Ostbahnhof. Die Ostgrenze der Bundesrepublik habe ich eine Woche lang bei angenehmstem Wetter erradelt. Der Oder-Neiße-Radweg ist eine wohl noch immer vergleichsweise wenig genutzte Traumstrecke unter den deutschen Flussradwegen. Größtenteils asphaltiert, meist autofrei in einsamer Landschaft. Mit kulturellen Highlights. Auf der Naht zur slawischen Welt. Mit dem angekündigten polnischen Oderradweg und einem Ausbaus des Berlin-Usedom-Radwegs über Wollin bis Stettin bietet er verheißungsvolle Perspektiven.


Am Strausberger Platz in Berlin
Am Strausberger Platz in Berlin


Route Neiße - Oder - Stettiner Haff



Blaue Linie = Touren-Route; Buchstaben = Start und Ziel der Etappen

Etappen Neiße - Oder - Stettiner Haff (19.-26.5.2018)

Details mit Geschwindigkeiten, Höhenmetern etc. als Excel-Tabelle

Tag Datum Start Zwischenstationen Ziel km
1. 19.5.2018 Neißequelle Liberec - Grenze CZ/DE Zittau 59
2. 20.5.2018 Zittau Herrnhut - Görlitz (DE/PL) Rothenburg/OL 94
3. 21.5.2018 Rothenburg/OL Bad Muskau Guben (DE/PL) 109
4. 22.5.2018 Guben (PL/DE) Frankfurt/Oder Küstrin (DE/PL) 111
5. 23.5.2018 Küstrin (PL/DE) Schwedt Gartz (Oder) 115
6. 24.5.2018 Gartz (Oder) Grenze DE/PL - Stettin - Nowe Warpno - Fähre PL/DE Altwarp 95
7. 25.5.2018 Altwarp Kamp - Fähre - Usedom - Grenze DE/PL Misdroy 96
8. 26.5.2018 Misdroy Wollin - Stepnica Stettin 106
Summe 785

Fahrrad-Schatten auf Kopfsteinpflaster
Kopfsteinpflaster...

Fahrrad-Schatten auf Kopfsteinpflaster
...am Abend in...

Fahrrad-Schatten auf Kopfsteinpflaster
Rothenburg/Oberlausitz

Signet-Logo Oder-Neiße-Radweg
Das Logo mal ganz in Groß


Anschluss Tour 80: Berlin - Greifswald (500 km) Juli 2016

Anschluss Tour 42: Ostsee: Lübeck - Danzig (890 km) Juli/Aug. 2008


Nächste Tour: Karibik II: Havanna - Miami (1560 km) Okt./Nov. 2018

Vorherige Tour: Esslingen - Friedrichshafen (253 km) Mai 2018


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