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VG WORTTour 45: Libanon & Zypern (765 km)


Anjar vor dem verschneiten Libanon-Gebirge
Anjar vor dem verschneiten Libanon-Gebirge

Antike Säule in Kourion, Zypern
Kourion, Zypern

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Libanon & Zypern (22.-28.2.2009)
Im schneereichen Reich der Phönizier

Ausrüstung: Bike & More
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Während die Jecken am Rhein tanzen, warte ich auf mein Fahrrad in Damaskus. Aus unerfindlichen Gründen ist es erst mal nach Wien geflogen worden. Als es endlich da ist, bleibt genug Zeit für den Trip über den Anti-Libanon und Libanon nach Beirut, ein bisschen an der Mittelmeerküste nach Nord und Süd, für Zypern samt Olympos-Gipfel und türkischem Nord-Teil. Vier Währungen in sieben Tagen. Jetzt hab ich nicht nur das Mittelmeer umrundet, sondern auch alle Mittelmeer-Länder unter den Reifen gehabt.
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Fraport: verpacktes Fahrrad im Flughafen FrankfurtLost and Found in Vienna
Freitag, 20. Februar 2009: Flug Frankfurt - Larnaka - Damaskus

Ich will es mal ganz korrekt machen. Mit einem gebrauchten Fahrradkarton von Pokornys Fahrradladen unterm Arm rolle ich vom Regionalbahnhof in die Abflughalle des Frankfurter Flughafens. Vor den beiden Lufthansa-Schaltern, an denen auch Cyprus Airways abfertigt wird, beginne ich mit dem Verpacken des Radls (Foto links: Rad verpackt).
Während der folgenden halben Stunde schieben sich etwa 20 Fluggäste mit perfekt eingepackten Rädern zu diesen beiden Schaltern. Eine Gruppe frage ich, ob sie denn die Luft aus den Reifen gelassen hätten. Natürlich nicht, aber sie würden es immer beteuern, wenn man sie danach frage. Zumindest schon mal ein Vorteil der Verpackung. Man muss nicht am Zielort das Rad mühsam per Mini-Pumpe aufpumpen.
Das Vorderrad passt nicht ganz in den Karton, weil sich der Lenker nicht senken lässt. Baue ich das Rad aus und klebe es an den Rahmen. Jetzt sieht man allerdings durch das Griff-Loch die satten 3 Bar Druck im Reifen (Foto rechts). Whatsoever. Zufällig bemerke ich, dass der Gepäckaufkleber für's Fahrrad nur bis Larnaka reicht, der Rucksack dagegen bis Damaskus durchgecheckt ist. "Sehr gut, dass Sie das bemerkt haben", meint die Dame am Lufthansa-Schalter. Und macht sich erneut an die Arbeit für den Fahrrad-Transport nach Damaskus.
Die meisten Fluggäste verlassen den proppevollen Flug bei einer Zwischenlandung in Paphos, 150 Kilometer westlich von Larnaka. Dass es sich um einen Doppelflug handelt, hat die Crew bisher aber extrem dürftig kommuniziert. Ich bin mir sicher, dass mindestens einer hier aussteigt, der eigentlich nach Larnaka möchte. So ist es auch. Das im Flugzeug verbliebene Gepäck muss daraufhin natürlich aus Sicherheitsgründen durchgecheckt werden. Aus anderthalb Stunden Umsteigezeit in Larnaka wird nur eine Stunde.

alt=Beim Verlassen des Flugzeugs sagt mir mein Bauchgefühl, obwohl der Flughafen größer als von mir erwartet ist und massig Maschinen herumstehen, dass ich genau mit dieser Maschine nach Damaskus weiterfliege. Merke mir die Zerknitterung eines Prospekts von Cyprus Airways beim Aussteigen.
Am Transfer-Schalter versucht sich ein Libanese vorzudrängeln. Nicht mit mir. Dadurch gerät allerdings mein Reispass vorzeitig in die Fänge der Transfer-Lady. Sie reicht ihn weiter an einen Araber, der ebenfalls nach Damaskus reist mit deutschem Pass. Ich spüre, dass es mein Pass ist. Und habe recht. Zwei Warteräume und Busfahrten weiter steige ich wieder ins Flugzeug - mit dem gleichen Knitter-Prospekt. Nur die Mannschaft hat gewechselt. Genauer gesagt, aus der Frauschaft ist eine Mannschaft geworden. Welcome to Arabia.
Der Damaszener Flughafen ist wesentlich moderner als der zypriotische und zu fünf Sechsteln auch fertig. Die Passkontrolle easy und schon rollt mein Rucksack auf dem nagelneuen Gepäckband ein. Nur auf meinen allerersten Fahrrad-Karton warte ich vergeblich. Angesichts der knappen Umsteigezeit in Larnaka habe ich das innerlich bereits mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einkalkuliert.
Im Lost & Found Büro hat sich das alte Mobiliar samt vorsintflutlicher Computer breit gemacht. Es ist auch kurz vor Mitternacht noch besetzt. In weißer Telex-Schrift auf schwarzem Computer-Hintergrund erfahre ich nach wenigen Minuten, dass mein Fahrrad von Frankfurt nach Wien gereist ist. Es soll morgen nachmittag mit Austrian Airlines kommmen.
Im Mitternachtsbus rolle ich 25 Kilometer nach Damaskus-City. Süleiman und Abdullah kehren von ihrem Job in der Petro-Chemie Kuwaits für eine Woche in ihre Heimat zurück. In welches Hotel ich denn wolle. Keine Ahnung. Vor allem endet der Flughafen-Bus an einer gänzlich unprominenten Stelle der Stadt.
Zwei junge Männer schlagen vor, mit mir gemeinsam ein Taxi zu nehmen. Sie erkundigen sich nach meinen Ortskenntnissen und ob ich jemanden in der Stadt kenne. Das minimiert nicht gerade meine Skepsis. Bringe mich bei zwei Nippes-Straßenhändlern unter der Plastikplane erstmal aus der Schusslinie. Lasse die Jungs von dannen ziehen und nehme dann aus Sicherheitsgründen doch ein Taxi. Schnell sind wir beim Hotel-Viertel in der Nähe der Altstadt. In einem der 30, 40 Hotels lasse ich mich abgekämpft nieder um ein Uhr morgens.


Umayyaden-/Omajaden-Moschee Damaskus, Syrien
Omajaden-Moschee Damaskus


Sayyida Ruqayya Moschee mit dem Mausoleum von Ruqayya, Tochter des Märtyrer Hussein von Kerbala, 1985,  Damaskus, SyrienFahrrad-Tour ohne Fahrrad?
Samstag, 21. Februar 2009: Damaskus-Flughafen - Damaskus-City

Als ich um 9.09 Uhr aus Zimmer 509 trete, öffnet sich auch die Zimmertür von 510. Heraus treten Süleiman und Abdullah, die beiden kuwaitischen Gastarbeiter aus dem Bus. Sie haben genausoviel für das Zimmer gezahlt wie ich. Da hätte ich Glück gehabt, denn eigentlich müssten Ausländer mehr zahlen. Nun gut, pro Person habe ich das Doppelte bezahlt. Entschließe mich aber sogleich, das Hotel nicht - wie zunächst angedacht - zu wechseln.

Sayyida Ruqayya Moschee mit dem Mausoleum von Ruqayya, Tochter des Märtyrer Hussein von Kerbala, 1985,  Damaskus, SyrienDer Morgenregen ist gefallen, das Wetter frisch und die Altstadt Touristenfrei. Nach zwei Stunden Altstadt-Betrachtung, vor allem der Sayyida Ruqayya Moschee mit dem Mausoleum von Ruqayya, der Tochter des Märtyrer Hussein von Kerbala von 1985 (Foto rechts und links) lasse ich mich in das Souterrain eines Internet-Cafés herab, um die Rad-Odyssee niederzuschreiben. Als ich den Text bis zu dieser Stelle geschrieben habe, stecke ich den USB-Stick zur Speicherung in den Computer. Der stürzt dadurch ab samt meinem Text. Ja, das sei manchmal so, wenn man einen Stick einführe, meint der Typ vom Internet-Café. Darf ich den Text noch einmal fabrizieren.
Während bei meinen bisherigen Syrien-Reisen 1998 und 2001 das Internet den Behörden suspekt und für die User teuer (10 D-Mark die Stunde) war, gibt es inzwischen überall Internet-Cafés. Die Stunde für einen Dollar. Die Ausweis-Daten werden akribisch notiert. So wie in Italien.
Das Jogging zum Flughafen lasse ich zu Akklimatisierungs-Zwecken zugunsten einer weiteren Busfahrt ausfallen. Das Flugzeug aus Wien ist mit leichter Verspätung gelandet. Ich begebe mich wie angewiesen zum Security Officer. Schon im Bus kam mir der Gedanke, dass mein Reisepass u.U. gebraucht werden könnte. Er liegt an der Rezeption meines Hotels. Dort ist die gefühlte Sicherheit am größten.
Aber auch der Security Officer möchte ihn haben. Ich biete ihm meinen Personalausweis. Der reicht nicht. Sagt er. Auf Deutsch. Wenn der im Hotel liege, könne ich ihn ja dort holen. Nun, ein Aufwand von etwa zwei Stunden. Es geht hin und her. Keine Chance. Scheinbar. Denn plötzlich meint er, wenn ich die Leute vom Fundbüro zu einer Unterschrift bewegen könne, dann könnte er dem eventuell auch zustimmen.

Verpacktes Fahrrad am Flughafen DamaskusIch zum Fundbüro. Frage erst mal, ob das Rad wie angekündigt mit dem Flug aus Wien gekommen sei. Nein, sagt er, nach einer kurzen Recherche im Computer. Außerdem hätte ich ja erst anrufen sollen, ob das Rad schon da sei. So gehe das nicht. Keine optimalen Nachrichten für mich. Wie viel Tage werde ich in Damaskus warten müssen? Können? Mein Sieben-Euro-Transitvisum gilt drei Tage. Genau genommen muss ich morgen das Land verlassen.
Eine letzte Frage: Können Sie mir sagen, mit welchem Flug das Rad denn voraussichtlich kommt? Er schaut noch mal im Schwarz-Weiß-Computer nach. Ach ja, es sei ja mit dem Flug aus Wien eingetroffen. Jetzt bin ich ein bisschen taktisch im Vorteil und schilder mein Reisepass-Problem. Der große Pass sei im Hotel, aber ich hätte hier den "kleinen Pass", eben den Personalausweis.
Das sei nicht sein Metier. Entgegnet er. Das müsse die Security entscheiden. Jetzt das Endspiel: der Kreis schließt sich. Einer von beiden muss zuerst unterschreiben. Dann unterschreibt der andere. So wird's gemacht. Ich darf durch eine Extra-Kontrolle zu den Gepäck-Bändern. Und sehe schon von weitem meinen Karton. Hier und da schließt er nicht mehr (Foto rechts). Aber sogar das Vorderrad ist noch drin.
Unter zuschauender Assistenz der Taxi-Stand-Hilfs-Boys setze ich das Fahrrad wieder in Gang. Betreutes Reparieren. Und radle bei Gegenwind und gelegentlichem Regen auf dem Flugzeug-Highway in die Stadt. Statte noch der in die Stadtmauer gebauten griechisch-katholischen Paulus-Kirche einen Besuch ab und bringe die Gottesdienst-Zeiten der syrisch-katholischen Kirche in Erfahrung, bevor ich vor der Kälte auf rund 660 m über dem Meeresspiegel in das beheizte Hotel-Zimmer fliehe.


Kurz hinter Damaskus, Syrien: Abzweigung nach Baghdad
Kurz hinter Damaskus: Abzweigung nach Baghdad

Nach dem Summit of Nakhel (ca. 1500 m): Cold Chris mit Warnweste, Libanon
Nach dem Summit von Nakhel (ca. 1500 m): Cold Chris


Cold Chris im verschneiten Libanon
Sonntag, 22. Februar 2009: Damaskus - Grenze Syrien/Libanon - Anjar - Summit of Nakhel (1500 m) - Beirut (118 km)

Frühstück mit "Ugarit-Cola". Eine geniale Kombination von syrischem kulturellen Erbe und ein bisschen Amerikanismus. Coca-Cola hat inzwischen allerorten die größten Plakate.
Kaum bin ich am Stadtrand von Damaskus in die enge Schlucht des Wadi Barada getaucht, sehe ich schon in der Ferne weiße Berge. Auf den Höhen des Anti-Libanon hat sich der Niederschlag als Schnee niedergelassen. Irgendwann verlier ich den Anschluss ans Wadi, nehme so den kürzesten Weg zur Grenze.
Als der bei Ad Dimas auf die Autobahn führt, erreiche ich langsam die Schneegrenze bei etwa 1000 m. Die Straße ist frei, es friert nicht, aber wesentlich wärmer ist es auch nicht. Die Syrer kassieren noch eine Exit-Steuer von 500 Pfund, was mich 12 Dollar kostet. Ein Saudi möchte gern mit mir per Handy fotografiert werden. Die Passhöhe von 1300 m kommt kurz danach. Die libanesische Grenzstation liegt wieder schneefrei auf etwa 800 m. Mit schönem Blick in die Bekaa-Ebene und dem dahinter liegenden genauso weißen Libanon. Zunächst ist jedoch illegaler Geldwechsel angesagt. Das libanesische Visum lässt sich nur mit libanesischen Pfund bezahlen. Der Kurs ist schlecht. Was sonst.
Ruinen von Anjar, Libanon/Lebanon/LibanAuf der Tiefe der Bekaa-Ebene noch nicht ganz angekommen, locken unübersehbare Schilder zu den Ruinen von Anjar (arabisch عنجر, armenisch Անճար; Foto rechts und ganz oben links‎). Eine Ansiedlung der Omajaden (7./8. Jh.). Die bedienten sich architektonisch und künstlerisch reichlich bei Griechen, Römern, Byzantinern und schufen damit einen Misch-Stil. Jetzt nur noch Ruinen. Am schönsten, wenn für ein paar Augenblicke mal die Sonne rauskommt.
Eigentlich folgen jetzt obligatorisch 50 Kilometer weiter nördlich in der Bekaa-Ebene Baalbek. Das habe ich schon vor elf Jahren besichtigt und es ist eine Sackgasse, weil man im Winter nicht über den Zedern-Pass nach Tripoli kommt. Spare ich mir spontan Baalbek und nehme den vor mir liegenden Libanon-Gebirgszug in Angriff. Nicht ohne mich bei McDonald's aufzuwärmen.
Die wahre Kälte kommt erst noch. Es geht steil bergan. Etwa zehn Kilometer. Und als ich nicht weiß, ob ich's bei 1500 m endlich geschafft habe, helfen mir die Libanesen. Die den Straßenrand vollgeparkt haben und rundherum im Schnee herumspringen, Schneeballschlachten schlagen. Es ist angeblich der erste richtige Schnee in diesem Winter. Und ich friere. Obwohl die kalte Abfahrt erst noch ansteht. Jogge am Straßenrand ein bisschen hin und her, um meine Eisklumpen-Füße etwas zu wärmen. Ziehe ein Odlo-Hemd unter den Windstopper. Und erstmals meine jüngst erworbene Rettungsweste an (Foto oben rechts).
Ich zitter jeden Meter mehr. Pro hundert Höhenmeter Abstieg verspreche ich mir einen Grad Temperatur-Anstieg. Es geht nur langsam bergab. Ich halte verzweifelt Ausschau nach einem Restaurant zum Aufwärmen. Da entdecke ich eine Bäckerei. Eine von den ganz einfachen, alten. Ein Ofen, eine Brotsorte, ein Mann. Nur noch drei, vier Brote fliegen herum. Es ist drinnen fast so kalt wie draußen. Ich schlage mich sofort zum Ofen durch. Tatsächlich, er ist warm. So warm, dass ich meine Hände nur in Handschuhen aufwärmen kann. Etwa eine halbe Stunde halte ich mich an den heißen Ofen. Dann sind die Hände so halbwegs aufgetaut. Ich muss weiter. Es wird gleich dunkel.

Winter im Libanon-Gebirge: Teekanne mit Pfefferminze auf heißem Ofen Nur ein paar Meter weiter bin ich wieder durchgefroren. Es beginnt zu schneien. Ich springe in eine Garagen-Einfahrt. Hinter den beiden Autos ist am Ende Licht. Und ein Mann. Er begrüßt mich überschwänglich, obwohl ich mein Fahrrad nahezu ungebeten in seine Garage geschoben habe. Ich solle doch ans Feuer kommen. Er hat einen gusseisernen Ofen (Foto links) und tut nun alles Erdenkliche für mich. Seine Frau kocht schwarzen Tee mit frischer Minze. Er schenkt mir ein paar Strümpfe, legt mir eine warme Jacke um. Und im Ofen lodert ein Feuer. Meine Hose beginnt sofort zu dampfen. Er sei Druse. Das Dorf sei drusisch. So wie Anjar armenisch ist. Unter dem Drusen-Anführer Walid Jumblatt sei es ihnen im Bürgerkrieg gelungen, 500 Hizbollah-Mitglieder umzubringen, berichtet er stolz. Er zählt mich offenbar nicht zum Hizbollah-Fan-Club.
Es hat fast aufgehört zu schneien und weiter geht die Abfahrt, jetzt teils durch Schneematsch. Vor allem aber über eine grob aufgeraute Fahrbahn mit zahlreichen Lücken und Tücken. Es ist bald dunkel und meine Stirnlampe kommt nicht so recht an gegen die verregnete Dunkelheit. Zwei, drei Mal wirft mich mein Drahtesel beinah aus dem Sattel. Aber es wird wärmer. Und ich will nicht immer bremsen.
So tauchen plötzlich zwei Touren-Radler vor mir auf. Amaya, Amerikanerin, und Eric, Franzose, haben ihre Tour World Biking Africa hinter sich und sind auf dem Weg zurück in ihre Heimaten. Sie haben die letzte Nacht bei Scheestürmen im ständig von Abflug bedrohten Zelt verbracht. Rollen wir ein paar Kilometer gemeinsam in die Gullis mit Blick auf die Lichter von Beirut. Sie haben ein Privatquartier gebucht, zu dem es bald abgeht. Ich rolle über die Stadtautobahn weiter ins alte Zentrum.


Taubeninseln, Beirut, Libanon
Taubeninseln vor Beirut


Freizügige Werbung an der Autobahn bei Jounieh, Libanon,Aschenkreuz am Rosenmontag
Rosenmontag, 23. Februar 2009: Beirut - Byblos - Tripoli (99 km)

Regen lässt mich erst mal in der Stadt spazieren. Wie vor elf Jahren sind Briefmarken nur schwer zu bekommen. Die Libanpost operiert eher im Hintergrund. Man findet sie nur schwer. Stattdessen verkaufen sie im Malik's vor der American University of Beirut französische, amerikanische und kanadische Briefmarken.
Auf dem Rad die obligatorische Corniche-Fahrt an den Taubeninseln vorbei (Foto oben). Dann auf der Uferstraße, wo einige Hochhäuser hochgezogen werden. Die alten Suks sind zu Edel-Boutiquen umgebaut und das Viertel fast menschenleer.
Bis Jounieh fahre ich mehr oder weniger alternativlos auf der Autobahn (Foto rechts). Danach die Küstenstraße. Die bringt es bis Tripoli auf 659 Höhenmeter, ist aber je nördlicher desto weniger befahren. Das Ufer ist fast durchgehend bebaut. Beirut-Liban eine Art Stadtstaat mit ein paar Bergen im Hintergrund. Und Jounieh ein einziger Nachtclub. Zum Beispiel mit dem Moscow Night-Club.


Ruinen von Byblos (Jbail/Jbeil) mit Blick aufs Mittelmeer, Libanon
Blick von der Kreuzfahrerburg in Byblos auf die Ruinen und das Mittelmeer


Kreuzfahrer-Burg von Byblos (Jbail/Jbeil), LibanonDas antike und mittelalterliche Byblos (griechisch Βύβλος, assyrisch Gubla, arabisch جبيل‎ Dschubail/Jbail/Jbeil) ist ein Highlight. In der Mitte die Kreuzfahrerburg, rundherum Trümmer, die bis zu 4000 Jahre alt sind. Dahinter das Meer (Fotos links und oben). Wenn nur die Sonne noch scheinen würde. Die lässt sich heute nicht blicken. Stattdessen dunkle und ganz dunkle Wolken. Einen Regenschauer warte ich ab. Die Schuhe waren über Nacht eh nicht trocken geworden. Durch die großen Pfützen werden sie ständig nasser. An der Küste ist es immerhin wärmer als in den Bergen. An Rosenmontag erinnern nur auf vielen Stirnen die Aschenkreuze, die hier mangels Fastnacht offenbar schon am Sonntag verteilt worden sind.

Mameluckische Architektur in Tripoli/Tarabulus, LibanonTripoli (auch Tripolis; arabisch طرابلس الشام‎ Tarābulus aš-Šaem, libanesisch-arabisch Trāblus/Trablous) bietet eine noch größere Kreuzfahrerburg (Foto unten). Während in Byblos auch die Kirche erhalten blieb, ist sie in Tripoli in eine mameluckische Moschee umgewandelt worden. Sowieso Mamelucken-Architektur mit ihrem typischen "Zebra-Muster" (Foto rechts) in der verwinkelten Altstadt überall.
Immer wieder sprechen mich Kinder, Jugendliche, Männer an. Bilal frage ich nach ein paar Sätzen auf die abendlichen Schießereien an, die in Tripoli Alltag sein sollen. Die seien vorbei, meint er. Ich plante eigentlich mit dem Bus nach Beirut zurückzufahren, um morgen die Südküste abzufahren. Doch der letzte Connexion-Bus fährt um 17.30 h. Bin ich zehn Minuten zu spät. Finde ein sensationell nettes kleines Hotel, im dem wie in einer Karawanserei alle Zimmer um das zentrale Empfangs-, Aufenthalts-, Frühstücks- Zimmer herum gruppiert sind. Ein französisches Radler-Paar mit Anhänger ist auch hier.
Im Internet-Café muss ich warten. Alle 16 Plätze besetzt. Zehn Minuten, heißt es. Tatsächlich, länger nicht. Zeit zu beobachten, was die Jungs hier so treiben. Fast jeder was anderes. Baller- oder Fußball-Spiele, interaktiv Pokern, Musik hören, Bilder angucken, Liebes-Chatten auf Englisch oder auf Arabisch, überwiegend in lateinischen Buchstaben geschrieben. Messenger sind im Einsatz. Jeder vierte hat ein Headset auf, aber niemand spricht. Nur die Wartenden quatschen die Chattenden an.


Kreuzfahrer-Burg in Tripoli/Tarabulus, Libanon
Kreuzfahrerburg in Tripoli


Ich will ja auffallen
Fastnacht-Dienstag, 24. Februar 2009: Tripoli - Bus/Taxi - Saida - Beit ed-Dine - Beirut (100 km)

Charlotte und François sind auf einer Art Hochzeitsreise mit ihrer Tour "La terre au theatre". Sie wollen von Frankreich nach Vietnam. Durch Visa-Probleme sahen sie sich allerdings in Istanbul gezwungen, statt auf dem Landweg über Iran und Pakistan mit zwei Flügen zunächst nach Kairo und demnächst von Beirut nach Mumbai/Bombay ein kleines Hopping zu veranstalten.
Es ist ihre allererste Tour: von Beirut soll denn auch ein Großteil des Gepäcks nach Frankreich zurück. François zieht den Hauptteil des Gepäcks in einem schicken Anhänger hinterher. Gestern sind sie von Norden aus Syrien nach Tripoli gefahren gegen jenen Wind, der mein Rückenwind war.
Khan El Franj (Karawanserei der Franken) in Saido/Sidon, LibanonDa der Wind heute noch stärker aus Süd-West weht, entscheide ich mich als passionierter Rückenwind-Fahrer dafür, mit Bus und Taxi in den Süden nach Saida zu fahren, um von dort wieder Richtung Norden nach Beirut zu radeln. Saida, das antike Sidon (phönizisch: sdn, arabisch صيدا‎ Saidā/Sayda; Fischerstadt), eine der wichtigsten Städte Phöniziens, ist voller Kreuzfahrer-Bastionen. In der ehemaligen Johannes-Kirche der Barmherzigen Brüder aus dem 13. Jahrhundert, längst die Al-Omari oder Große Moschee, albern die Schüler der benachbarten Schule herum, bis der Vorbeter zum Schulpausen-Gebet ruft. Das nicht alle ganz ernst nehmen. Dazu Kreuzfahrerburgen im Hafen und auf dem Berg, Karawanserei der Franken (Foto rechts).
Dann mit dem Wind nach Norden. Schnell weht er mich an die Stelle, an der der Prophet Jona vom Wal-Maul an Land gespuckt wurde. Die dazu gehörige Moschee "Nabi Younis" (Younes/Yonas) entdecke ich trotz vielen Fragens bei kurzem Regen nicht. Stattdessen ein Moschee-Neubau, in dessen Erdgeschoss ein Versammlungsraum mit Khomeini-Bildern und einem von Kämpfern avisierten Felsendom in Jerusalem.


Schuf-Berge, Libanon
In den Schuf-Bergen


Orangen-Kisten am Straßenrand bei Saido/Sidon, LibanonKurz darauf biege ich ab in die Schuf-Berge. Die Sonne scheint wieder. Und auf 20 Kilometern schlängelt sich der Weg auf fast 900 Meter. Ich komme den verschneiten Gipfeln wieder nahe. Mein Ziel, der alte Palast Beit ed-Dine (auch Beit Eddine, Beiteddine, Beit ed-Din, Beit ad Dine, arabisch بيت الدين - Haus des Glaubens), ist leider geschlossen. Von außen ist die Mischung aus Euro-Orient-Elementen zu erahnen. Die Sonne ist hinter den Wolken und bald ganz verschwunden. Zeit für eine orgiastische Abfahrt. Es ist grad noch so hell, dass die gröbsten Hindernisse zu erkennen sind.
Zur frühabendlichen Nachtfahrt verwandle ich mich wieder in einen Weihnachtsbaum. Mit allem, was blinkt. Jungs am Straßenrand brechen in Gelächter aus. Gutes Zeichen. Ich will ja auffallen.
Dann wieder auf der Autobahn Richtung Beirut, auf der man stets damit rechnen muss, dass in der Dunkelheit ein Fahrzeug auf dem Standstreifen entgegen kommt. Erst gibt es keine Alternative und später entgeht mir die Abfahrt zur Küstenstraße. Muss ich durch die zwischen Betonwände gepferchte vierspurige Autobahn am Flughafen, die ich schon bei der Taxifahrt in den Süden am Mittag kennengelernt habe. Wie stets wirkt sie vom Fahrrad aus kürzer als aus dem Auto.
Zwei längere Tunnel machen das nicht angenehmer. Höhepunkt: in der Mitte der beiden Fahrspuren nehmen mir rast ein Motorradfahrer auf seinem Motorrad stehend mit hochgerissenem Vorderrad laut schreiend an mir vorbei. Was man alles on the bike so tun kann.
Dann führt mich die Autobahn ampellos bis auf die famose Rue Hamra, so dass ich den kompletten Weg zum Flughafen morgen früh um fünf jetzt schon kenne.
Ein drittes Internet-Café teste ich heute in Beirut, nachdem die ersten beiden gestern und vorgestern keinen File-Transfer ins Internet zuließen. Ich bin hier der einzige im Netz, 15 andere um mich herum spielen anscheinend alle zusammen das gleiche Spiel: "Warcraft III: The Frozen Throne" - wie mir mein Nachbar verrät. Sie spielen nicht nur virtuell. Sondern schreien und rufen fortwährend in Engl-Arabisch durch den Raum. Computerspielen kann kommunikativ sein. Während mir im Internet-Café von Tripoli Viren auf meine Sticks gerieten.


Fassaden-Mauer mit Tor in Deir El Qamar, Deir Al Qamar, Deir el Kamar, Dayr al Qamar, Dayr al-Qamar, Chouf/Schuf, Libanon
Fassaden-Mauer mit Tor in Deir El Qamar, Schuf-Gebirge


Beauty-Spot: Aphrodites Landgang
Aschermittwoch, 25. Februar 2009: Beirut - Flug - Larnaka - Limassol - Paphos (150 km)

5:15 h: Rolling. Durch das leere Beirut. Ohne Stau. In der Dunkelheit. Auf der Autobahn. Zum Flughafen. Jetzt mal wieder ohne Karton, ohne alles. Vor allem ohne irgendwelche Probleme. Eine halbe Stunde später landen wir auf Zypern. Ein Katzensprung. Leider nur im Flugzeug möglich. Während vor mehr als 2000 Jahren die seefahrenden Phönizier von der libanesischen Küste aus Zypern eroberten, verkehrt heutzutage eine Fähre nur im extrem heißen Hochsommer zwischen Syrien und Famagusta im türkisch besetzten Teil von Zypern.
Kamen mir im Libanon hier und da auf dem Seitenstreifen der Autobahn Fahrzeuge entgegen, so fahren sie hier alle dort. Typischer Fall von Linksverkehr. Da wundert auch nicht, dass die Briten hier an jeder schöneren Stelle einen Militärstützpunkt installiert haben. Angesichts von leichter Müdigkeit lande ich anfangs hier und da auf der falschen Fahrbahn. Fahre dann aber souverän an einem typischen Links-Rechts-Verkehr-Verkehrsunfall vorbei.
Kirche Panagio Angeloktisti in Kiti, ZypernZur Einstimmung liegt in Kiti, ein paar Kilometer vom Flughafen, die Kirche Panagio Angeloktisti (Foto rechts). Die Straße an der Südküste ist dank paralleler Autobahn ruhig. Teilweise schön. Teilweise sehr schön. Auf halber Strecke liegt Limassol (griechisch Λεμεσός - Lemesós / türkisch Leymosun; Limisso, Limasol). Hier erst die ersten Hotels. Auch B & Bs sind nirgendwo zu entdecken. Bis Paphos fast durchgehend Fehlanzeige in Sachen Unterkunft. Vor den Ruinen von Kourion treffe ich ein älteres deutsches Paar, das mit Mountainbikes von Limassol hierhin geradelt ist. Er wanderte 1952 während der Revolution zu Fuß von Damaskus in den Libanon. Jetzt logieren sie, wie ich richtig errate, in einem Hotel am Strand von Limassol. Dadurch liegt es naturgemäß auch an der Straße. Und dadurch is nix mit Ruhe.
Kourion (assyrisch Ku-ri-i, griechisch Κούριον - Kurion, lateinisch Curium) erweist sich als Highlight. Theater aus dem 1./2. Jahrhundert mit Blick aufs Meer (Foto unten), Gladiatoren-Fußbodenmosaiken, Agora, frühchristliche Basilika. Macht sich alles auf der Steilküste vor dem Meeres-Hintergrund sehr gut. Und als Zugabe zwei Kilometer weiter ein römisches Heiligtum: Apollo Hylates. Meine persönliche Besichtigungs-Schwelle an diesem Nachmittag: Kann ich aufrecht stehende Säulen von der Straße aus erkennen, fahr ich hin. Kann ich.
Als die Strecke dann Beauty-mäßig noch mal schwer zulegt, ist die Sonne hinter dunklen Wolken verschwunden. Hier soll Aphrodite an Land gegangen sein, nachdem sie aus Blut und Samen ihres von seinem Sohn Kronos kastrierten Vater Uranos im Meer geboren ward. Statt Sonnenuntergang gibt es Regen. Dreieinhalb Kilometer vor dem Ziel. Ich rette mich in eine Pottery. Der Meister hat in Koblenz studiert. Er empfiehlt mir eine "günstige Unterkunft" in Paphos (neugriechisch: Πάφος, Páfos, türkisch Baf) und nicht noch drei weitere Kilometer runter zu fahren zum Strand. Günstig ist auf Zypern relativ. Jedenfalls tut sich in der recht toten Oberstadt ein Internet-Café auf. Kontrast-Programm zu Damaskus, Beirut und Tripoli. Zwölf Computer habe ich für mich allein. Und die Geschwindigkeit ist auch etwa die zwölffache.


Antikes Theater mit Meeresblick in Kourion (Κούριον - Kurion, Curium), Zypern
Antikes Theater mit Meeresblick in Kourion


Panorama-Route im Troodos-Gebirge
Donnerstag, 26. Februar 2009: Paphos - Kidasi - Pano Platres (58 km)

Regen treibt mich ins Internet-Café. Schlimmer: der Hotel-Chef meint, es gebe nur einen Weg weiter: zurück mindestens bis Limassol. Richtig rum um die Insel kann man nicht fahren, weil nördlich vom Gebirge die Straße durch die Grenze zum türkisch besetzten Nord-Zypern gesperrt ist. Übers Gebirge kann man nicht fahren, weil laut Hotel-Chef alles zugeschneit ist. Erst im dritten Anlauf gelingt es mir, ihm abzuringen, man könne bis zu einer gewissen Höhe aufradeln und dann an der Höhe entlang irgendwie auch nach Nikosia kommen.
Als der Regen eine Pause einlegt und der Himmel nicht mehr ganz so düster dreinschaut, schwinge ich mich aufs Rad. 15 Kilometer den gleichen Weg wie gestern, fast bis zu Aphrodites Beauty-Spot. Dann ins Diarizo-Tal, wobei man aus Westen kommend vorher noch unnötigerweise auf die Höhe der Staumauer des Asprokremmos-Sees geführt wird, 50 überflüssige Höhenmeter, die man sofort wieder verliert.
Wolken-/Nebel-Schwaden im Troodos-Gebirge, ZypernWie jedes ordentliche Bergtal wird das Diarizo-Tal je länger desto schöner. Und steiler. Noch steiler, wenn's aus dem Tal auf die Höhe führt. Das hält auch warm. Wieder sind Unterkünfte Fehlanzeige. Selbst Lebensmittel. Mein Vorrat ist klein genug. In den Kneipen gibt es nur Getränke. Eine Bruchbude, die von außen mit Zeichen der zyprischen Post gesegnet ist, wird von zwei älteren Herren bewohnt, die nichts haben, schon gar keine Briefmarken. Zypern abseits des Massentourismus?
Die Straße ist erst mal oben und legt jetzt als Panorama-Route so richtig los (Foto rechts). Richtig waldig. Bis auf die Passhöhe von Troodos (1730 m) werd ichs heute nicht schaffen. Zur Not kann ich an anderer Stelle nach Limassol runter. Es muss doch irgendwo Unterkünfte geben.
Es ist dunkel. Wie stets auf dieser Reise um sechs. Ich kaufe noch einmal zwei Snickers, einen kleinen Trink-Erdbeer-Joghurt. Eine Flasche Wasser. Und frage nach dem nächsten Quartier. Im nächsten Dorf, Pano Platres, gebe es ein Hotel, vielleicht schon hier, in Kato Platres am Ortsausgang.
Dort erzählen sie mir, die Zimmer würden renoviert, aber im nächsten Dorf gebe es einige Quartiere. Erstaunt blicke ich in den Reise Know-How. Tatsächlich. Stimmt. Am ersten Hotel halte ich. Es brennt drinnen entfernt Licht. Ein alter Mann hockt an einem Tisch, vertieft in Unterlagen. Ich klopfe. Stärker. Nichts tut sich. Ich schlage fest gegen die Scheiben. Er rührt sich, blickt auf - und wieder runter. Jetzt gehe ich an der Veranda-Front entlang. Acht große Scheiben-Türen nebeneinander. Eine davon wird sich öffnen lassen. Schon die dritte gibt nach. Ich stehe im Frühstückszimmer und eine weitere Glasfront trennt mich von dem alten Mann.
Der staunt nicht schlecht, als er mich lässig in sein Winter-Büro einziehen sieht. Ich habe nicht viel Hoffnung auf ein Zimmer hier. Doch der langsam aber gutes Englisch sprechende Manager bietet mir ein Zimmer an. Fast halb so teuer wie gestern, aber hier von vornherein freiwillig mit Extra-Elektro-Heizung. Das Wasser brauche eine halbe Stunde, bis es warm werde. Es dauert zwar eine ganze Stunde, bis es halbwegs lauwarm ist, aber so lang kann ich mich ja aufwärmen. Dazu wirft er die Zentralheizung an.
Nur mit dem Frühstück können wir uns nicht so recht einigen. Ich will wie stets spätestens um acht Uhr, er meint, dann sei das ganze Wasser gefroren auf den Straßen. Vor zehn Uhr mache das Losfahren keinen Sinn. Immerhin: es klingt, als sei der Pass im Prinzip doch geöffnet. Schon hier auf 1100 m Höhe liegen überall zusammengekehrte Schneereste vom Morgen.


Schnee-Landschaft im Troodos-Gebirge, Zypern
Schnee-Landschaft im Troodos-Gebirge

Verschneite Straße auf dem Weg zum Olympos, Troodos-Gebirge, Zypern
Verschneite Straße auf dem Weg zum Olympos


Evagoras Kyriakides, Owner & Manager of Kallithea Hotel, Platres, ZypernVerschneiter Olympos
Freitag, 27. Februar 2009: Pano Platres - Olympos (1950 m) - Astromeritis - UN-Zone - Nikosia - Boğaz (155 km)

Als Friedensangebot komme ich erst nach halb neun runter. Genau der Moment, als der Manager mühsam aus seinem Wagen steigt. Mit Frühtücks-Utensilien. Evagoras Kyriakides, dessen Visitenkarte ihn als Besitzer & Manager des Kallithea Hotel ausweist, ist sehr alt. Jede Bewegung braucht seine Zeit. Er nimmt's gelassen. Ich auch.
Normalerweise hat er eine Hilfskraft. Doch die Frau kommt erst morgen wieder. Übers Wochenende werden Gäste erwartet. Zum Spielen im Schnee. Sie hatten bisher kaum Schnee in diesem Winter. Und die Sommer-Saison dauere nur vier Wochen: der August, wenn es weiter unten so heiß ist, dass die Leute in die Berge auf über tausend Meter flüchten.
"Are you married?" fragt er völlig unvermittelt. Ich verneine. Das solle ich aber tun. Sonst sei ich im Alter allein. Wie er. Wie alt ist er denn? 86 Jahre. Und managet immer noch ein Hotel mit mindestens zehn Zimmern. Allein. "Die Freundinnen kommen und gehen - nur die Ehefrau bleibt." Ob er denn geheiratet habe. Ja, aber er sei geschieden. Und Kinder gebe es auch keine.
Um 9:30 Uhr gehe ich an den Start. Noch 600 Höhenmeter auf zehn Kilometern Serpentinen-Straße bis zur Troodos-Passhöhe. Die Sonne scheint rund um ein paar Wolken. Die Straße ist frei und nicht vereist. Rundum liegt Schnee. Weil das so schön ist, kann ich es nicht bei den 1730 m von Troodos lasse, sondern strampel vor der Abfahrt Richtung Nikosia die Stichstraße zum Olympos-Gifel hoch.

Chris on the Bike (Christoph Gocke) auf dem Weg zum eingeschneiten Olympos (1950 m), ZypernIn der ersten Kurve lauern zwei Fotografen. Einer von ihnen ist tatsächlich Profi. Sie wollen Bilder von mir machen, ich bitte sie, gleich welche mit meiner Kamera mit zu machen. Das tun sie (Foto links). Allerdings mit meiner Kamera immer nur dann, wenn ich noch reichlich weit entfernt von ihnen bin.
Dann die ersten Schneeflächen auf der Strecke. Eine Raupe kommt mir entgegen, kann aber nur wenig beiseite räumen. Eine Frau montiert Schneeketten auf die Winterreifen. Ab und zu muss ich absteigen und schieben, weil das Fahrrad droht, im Schnee wegzurutschen.
Dann ist die Sonne weg und ich in einer schneienden Wolke. Vorbei am Parkplatz für Wintersportler. Dann das plötzliche Ende: britische Militärabsperrung. Fotografierverbot. Irgendwie ist es oben. 1950 Meter. Sagt auch der Höhenmesser. Und im Dunst herum kann eigentlich nicht viel mehr kommen. Also durch die Schneelandschaft wieder vorsichtig herunter. Und dann immer schneller runter zur Ebene am Meer.
Bei Astromeritis liegt einer von fünf Übergängen zwischen Zypern und dem türkisch besetzten Norden, die in den letzten Jahren geöffnet wurden. Dieser hier ist nur für "Kfz" zugelassen. Ob mein Fahrrad als Kfz durchgeht? Erst die Griechen. Polizisten. Kaum blicken sie in meinen Pass, rauscht ein Auto mit nord-zyprischen Kennzeichen heran, hält kaum und ist schon durchgebraust nach Nord-Zypern, bevor irgendetwas kontrolliert werden kann. Die Polizisten sauer, aber machtlos.
Ich darf weiter. Es folgt ein zwei Kilometer langer eingezäunter Korridor. Nur die beiden Fahrspuren. Ohne Bürgersteig, deshalb wohl die Beschränkung auf Kfz. Gebaut ist der schöne Asphaltstreifen, natürlich, von der EU. Am Rande ein UN-Posten.

Visa of the Turkish Republic of Northern Cyprus: Visum der Türkischen Republik von Nord-ZypernDann die Türken. Mit dem weltweit wohl einfachsten Visum (Foto rechts): Name, Pass-Nr., Nationalität. Das reicht. Der Einreise-Stempel kommt auf das Mini-Visa-Formular. Fertig. Ich bin im völkerrechtlich außer von der Türkei nicht anerkannten Nord-Zypern. Die türkische Fahne hängt überall dort, wo eine nord-zyprische Fahne hängt. Die sehen sich sehr ähnlich, im Wesentlichen sind nur die Farben rot und weiß vertauscht.
Meine Karte gibt - politisch sehr korrekt - nur die griechischen Ortsnamen für Nord-Zypern an. Da die türkischen Namen aber in den allermeisten Fällen keinerlei Ähnlichkeit zu den griechischen Namen haben, ist meine Karte in dieser Beziehung nahezu nutzlos.
Nach dem Grenzort, dessen Kirche in eine Moschee verwandelt ist, in deren Kirchturm die Lautsprecher vom Muezzin hängen, beginnt bald ein etwas ungewöhnlicheres "Gewerbe-Gebiet". Es beginnt mit dem Tutti Frutti Night Club. Dann folgen etwa zehn weitere große Night-Clubs. Gewerbegebiets-mässig mit riesigen Parkplätzen und Raum ringsum.
Bald bin ich auf der nagelneuen vierspurigen Schnellstraße nach Nikosia. Für beide Inselteile geteilte Hauptstadt. Ich streife den äußersten Rand der Stadt. Danach ist die vierspurige Straße schon älter und ohne Randstreifen. Bei massig Verkehr. Erst am Abbieger zum Flughafen werde ich erlöst. Ich verlasse die Hauptstraße nach Famagusta und wähle eine ruhigere nördlichere Variante.
Famos ist vor allem der Rückenwind. Gestern und heute war Südwest-Wind der Stärke vier vorhergesagt. Deshalb habe ich die Route so gelegt, dass ich die beiden Tage von Stärke vier profitiere. Und wie. Mit rund 30 km/h fliege ich im Sauseschritt am nördlichen Gebirgszug entlang zum Ostufer der Insel. Dort angekommen finde ich ein schönes Hotel in Boğaz. Ursprünglich wollte ich bis in die äußerste Nord-Ost-Spitze der Insel vorstoßen. Das wären jetzt noch mal 90 km. Mir fehlt halt mindestens der gestrige Regen-Vormittag.


Abfahrt vom verschneiten Troodos-Gebirge Richtung Nikosia und Nord-Zypern
Abfahrt vom verschneiten Troodos-Gebirge Richtung Nikosia und Nord-Zypern


Antike Büste im Gymnasion von Salamis, Nord-ZypernGriechische Küsse in türkischer Museums-Kirche
Samstag, 28. Februar 2009: Boğaz - Salamis - Famagusta - UN-Zone - Larnaka (85 km)

Auch das gibt's noch: strahlend blauer Himmel. Doch schon auf dem Weg zum Frühstück über die Uferstraße zum Strand-Café schiebt sich eine düstere Wolkenwand heran. Als ich startklar bin, regnet es erstmal kräftig. Dann fahre ich so auf der Grenze zwischen Sonne und Regen.
Salamis. Das erste Ziel. Acht Quadratkilometer Ausgrabungen. Das allermeiste liegt noch unter der Vegetation. Doch schon das, was ausgegraben ist, hat Größe (Foto rechts). Riesiges Gymnasion, Therme, Theater, Basilika, Zisterne, Agora, Zeus-Tempel. Ich radle von Attraktion zu Attraktion. Mal mit Regen, mal mit Sonne.
Ein Kilometer außerhalb, das nächste Highlight. Ein Apostelgrab. Barnabas soll hier begraben sein. Ein großes Kloster mit Kirche ist ihm gewidmet (Foto unten am Blog-Ende). Unter den Türken allerdings nur Museum. Ikonen aus der Umgebung haben sie hier in der Kirche zusammengetragen. Etwas lieblos nebeneinander gehängt. Da ein paar Georgs, da eine paar Marien.
Eine Griechin mit Tochter kommt herein. Sie verhalten sich ganz einfach so, als sei es ihre Kirche. Küssen jede einzelne Ikone. Über die Absperrungen hinweg. Das meiste griechische Kulturgut ist durch die Invasion türkischer Truppen 1974 derzeit in türkischer Hand.

Lala-Mustafa-Pascha-Moschee (Lala-Mustafa-Paşa Camii), ehemalige Kathedrale St. Nikolaus, in Famagusta (Gazimağusa, Αμμόχωστος - Ammóchostos)Famagusta (türkisch Gazimağusa, griechisch Αμμόχωστος - Ammóchostos) setzt da noch was drauf. Die Altstadt: eine gigantische venezianische Festung mit riesigem künstlischem Festungsgraben nach drei Seiten. An der vierten Seite das Meer, der Hafen. In dieser Altstadt: eine einzigartige Ansammlung von einst orthodoxen, katholischen, nestorianischen und armenischen Kirchen. Und die sind nicht erst seit 1974 sondern seit Jahrhunderten in islamischer Hand. In der Altstadt lebten Türken, außerhalb Griechen. So war es lange Zeit. Die größte Kirche, die Nikolaus-Kathedrale, wurde zur Lala-Mustafa-Pascha-Moschee gemacht. Zu besichtigen wie jede Kathedrale in Europa. Allerdings für einen Euro und ohne Schuhe. Von den meisten andern Kirchen stehen nur Ruinen. Aber die häufig mit voller Apsis und mehr.

Forbidden Zone: der ehemals griechische Vorort Varoscha/Varosha in Famagusta (Gazimağusa, Αμμόχωστος - Ammóchostos)Ruinen auch im Süden der Altstadt. Am Strand kann man einen Blick über einen Zaun werfen auf das, was vor 1974 das zyprische Feriendomizil Nummer eins war. Der Vorort Varoscha/Varosha. Er ist geräumt. Und zerfällt. Die Griechen haben ihn fluchtartig verlassen. Seit 35 Jahren Tristesse pur.
Ich radle noch an der Touristen-Info vorbei, um letzte Klarheit über den Weg nach Larnaka zu bekommen. Ein Päarchen isst in der Touri-Info. Ich rein. Die Touri-Info sei geschlossen. Ich sage, ich wolle ja gar nicht zur Touri-Info, ich wolle nur wissen, wie ich am einfachsten mit dem Rad nach Larnaka komme. Dann die angenehme Überraschung. Die Frau geht mit mir vor die Tür und sagt: "Diese Straße immer gerade aus!" Es gibt einen Übergang keine vier Kilometer vom Stadtkern entfernt. Geöffnet für Fahrzeuge und Fußgänger. Hier sind keine zehn Meter Abstand zwischen den Abfertigungs-Containern. Die Briten sind auch noch irgendwie da. Haben eine militärischen Sperrzone ringsumher. Der Weg ist frei. Nach Larnaka.
An der zyprisch-orthodoxen Lazarus-Kirche von Larnaka ist die gefühlte Ziel-Linie (Foto unten). Drinnen hat der Sonntag schon begonnen. An einem Tag bin ich bei den Griechen, Römern und Byzantinern von Salamis, dem Apostelgrab des Barnabas, den Konfessions-reichen Kirchen von Famagusta und in der Hauptstadt der Phönizier auf Zypern. Der Kreis schließt sich um die Insel und zur phönizischen Heimat im Libanon, nur zwei-, dreihundert Kilometer entfernt.


Am Ziel: Lazarus-Kirche in Larnaka, Zypern
Am Ziel: Lazarus-Kirche in Larnaka, Zypern


Larnaka, Hotel Les Palmiers: Frühstückstisch am Mittelmeer, ZypernSolange du wild lebst
Sonntag, 1. März 2009: Flug Larnaka - Frankfurt

Die Sonne scheint auf mein Abschiedsfrühstück vor dem Strand- und Meeres-Panorama des Hotels Les Palmiers. Ich habe eine kühle Woche mit einigem Niederschlag am Mittelmeer erwischt. Das ist selten. Aber alles andere als schlimm. Vielleicht sind der Libanon und Zypern gerade im Vor-Frühling am erfrischendsten. Und so wenig bereist, dass man ohne Touristenmassen einsam seines Weges ziehen kann, aber so viel bereist, dass die nötigste Infrastruktur läuft.
Vom Stadtkern zum Flughafen sind es nur ein paar Meter. Der Fahrrad-Transport wieder ohne Karton völlig unproblematisch. Der Flug ist ruhig. Pünktlich in Frankfurt. Ich twitter zum Ende meiner ersten Twitter-Tour: "Zurück aus Zypern. Alles ist gut." So lange du wild lebst.


Zitronen vor der Barnabas-Kloster-Museums-Kirche bei Salamis, Zypern
Zitronen vor der Barnabas-Kloster-Museums-Kirche bei Salamis, Zypern


Route Libanon & Zypern



Blaue Linie = Touren-Route; Buchstaben = Start und Ziel der Etappen

Etappen Libanon & Zypern (22.-28.2.2009)

Details mit Geschwindigkeiten, Höhenmetern etc. als Excel-Tabelle

Tag Datum Start Zwischenstationen Ziel km
1. 22.2.2009 Damaskus Grenze Syrien/Libanon - Anjar - Libanon-Pass (1500 m) Beirut 118
2. 23.2.2009 Beirut Byblos Tripoli 99
3. 24.2.2009 Tripoli Bus/Taxi - Saida - Beit ed-Dine Beirut 100
4. 25.2.2009 Beirut Flug - Larnaka - Limassol Paphos 150
5. 26.2.2009 Paphos Kidasi Pano Platres 58
6. 27.2.2009 Pano Platres Olympos (1950 m) - Astromeritis - UN-Zone - Nikosia Boğaz 155
7. 28.2.2009 Boğaz Salamis - Famagusta - UN-Zone Larnaka 85
Summe 765

Militärisch bewachte mittelalterliche Brücke über den Hundefluss: Nahr el Kalb; 15 Kilometer nördlich von Beirut, Libanon
Militärisch bewachte mittelalterliche Brücke über den Hundefluss: Nahr el Kalb, 15 Kilometer nördlich von Beirut


Mittelmeer-Umrundung
Die mediterrane Mega-Tour


Anschluss Tour 103: Malé - Dschidda (808 km) Feb. 2020

Anschluss Tour 29: Athen - Adana (1521 km) Feb./März 2006

Anschluss Tour 12: Belen - Assuan (1750 km) Jan. 2001


Nächste Tour: Rhône: Quelle - Mündung (905 km) April 2009

Vorherige Tour: Budapest - Kosovo - Stara Zagora (1682 km) Sept. 2008


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Tour 82: Karibik: Barbados - Haiti (902 km) 2016
Karibik 2016
Chris Tour 91: Jerusalem - Dan - Eilat (1165 km) 2017
Negev 2017
on the Tour 96: Karibik II: Havanna - Miami (1560 km) 2018
Kuba 2018
Bike Tour 97: Kigali - Kampala - Nairobi (1136 km) 2019
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