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VG WORTTour 63: Lago Maggiore - Breisach (450 km)


Anna on the Bike Karsamtag bei Kandersteg, Schweiz
Anna on the Bike bei Kandersteg Karsamtag (1250 m)

Gudrun Klessinger, die sich gewöhnlich mit Rad und Biwak in Russland tummelt und mit der ich mal 23 Stunden am Stück an der Ruhr radeln durfte, schreibt zu dieser Tour:
"Das war ja eine Gruseltour, der Hammer. Hut ab, echt. Vor allem, sich das mehrmals(!) hintereinander(!) freiwillig(!!) anzutun. Das ist halt der Unterschied zwischen the one and only Chris-on-the-Bike und einem Schönwetter-Radler."

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Lago Maggiore - Breisach (28.3.-1.4.2013)
Alpen-Überquerung: Comeback nach 30 Jahren

Dieser Frühling hat einige Kälte-Rekorde aufgestellt. So ungefähr sollte auch das Osterfest ausfallen. Zumal in der Schweiz. Ich bin unterwegs auf der Strecke, die ich vor 30 Jahren mit Georg nach Rom an warmen Septembertagen zurückgelegt habe. In umgekehrter Richtung: Eine Alpenüberquerung vom Lago Maggiore über den Simplon (2005 m) und den Oberen Hauenstein (734 m) ins Rheintal bei Basel. Highlight: Anna begleitet mich einen ganzen, harten Tag lang und sorgt in Fribourg für beste Touren-Bedingungen.

Panther Bike im NahverkehrszugDie gedreiteilte Bahnfahrkarte in der Kältenacht
Karmittwoch, 27. März 2013: Zug Mainz - Basel

Es ist eines der ungelösten Marketing-Rätsel unserer Zeit, warum Bahnreisende mit Fahrrad ihre Bahnfahrten mindestens 36 Stunden im voraus zu planen haben und dann auch noch ihre Rad-Fahrkarte über ein halbstündiges Telefongespräch auf einer sündig teuren Hotline buchen müssen. Jedenfalls hatte sich meine 18-Uhr-22-Fahrt erst um 15.35 Uhr entschieden.
Mein irrwitziger Versuch, da noch fernmündlich zumindest die internationale Fahrradkarte zu buchen, ließ mich zunächst am Dauerbesetztzeichen der Radfahr-Hotline scheitern. Der Umweg über die allgemeine Nummer und eine mehrstufige Menü-Führung brachte mich zu einem lebendigen Bahnmenschen. Der sich durchaus speziell für Fahrradkarten zuständig fühlte. Als ich unbedacht das Wort Lago Maggiore in den Mund nahm, verband er mich in Sekundenschnelle mit "Ausland". Das heißt, er kündigte es an, machte es im selben Augenblick bereits, sodass sich Bruchteile einer Sekunde später wieder eine Stimme vom Band meldete: Wegen der vielen Anfragen bitte man mich, zu einem späteren Zeitpunkt...
Ich schlug also eine halbe Stunde vor Abfahrt am Mainzer Hauptbahnhof auf, zog meine Wartenummer 1621 und keine zehn Minuten später konnte ich mein Anliegen vortragen. Es ist ein weiteres Rätsel, warum die Computer der Fahrkartenverkäufer nicht einfach eine Fahrkarte nach Verbania-Pallanza zumindest ausdrucken können. Nein, die Strecke muss gedreiteilt werden. Mainz-Brig, Brig-Domodossola, und dann noch 2,80 Euro Domodosoola - Verbania-Pallanza. Für jede Teilstrecke eine Fahrkarte.
Chris im Nahverkehrszug - fotografiert mit Webcam des Asus-Netbook Dann noch die Fahrradkarte. Obwohl sie zu allen Zielen im europäischen Ausland gleichermaßen zehn Euro kostet, gelingt es dem Schalter-Ex-Beamten nicht, sie auszustellen. Er versucht es mit dem Zielort Verbania-Pallanza, Domodossola usw. Nix. Um eine realistische Chance zu behalten, den Zug um 18.22 Uhr auch tatsächlich zu besteigen, schlage ich schlicht Mailand als Zielort meiner Fahrradkarte vor.
Er greift diesen Vorschlag voller Begeisterung auf. Und nach gut zehn Minuten habe ich nun fünf Fahrkarten für die eine Fahrt. Samt Aufkleber für's Fahrrad: Milano-Centrale. Ich hätte auch Palermo sagen können. Gut hundert Euro kostet das Ganze mit der BahnCard 50, die es neuerdings nur noch mit üblicher Monopolisten-Arroganz der Bahn im unverschämten Zwangs-Abo gibt. Hundert Euro, obwohl ich keinen einzigen Intercity dabei hab. Denn dafür hätte man sich eben schon mindestens gestern entscheiden müssen. S.o. Mir bleiben also drei mehrstündige Nahverkehrszüge: Mainz - Karlsruhe, Karlsruhe - Freiburg, Freiburg - Basel Badischer Bahnhof. Dazwischen ausgedehnte Pausen. Zeit genug, um festzustellen, dass ich meine Kamera vergessen habe. Versuche ich es also mit der Webcam meines Netbooks. Links und rechts die ersten Bilder. Optimierbar.
Dafür habe ich alles Wärmende dabei, was der Schrank so hergab. Der kälteste März seit hundert Jahren, zumindest in Berlin, ist eben noch nicht vorbei. Kurz vor Mitternacht verkrieche ich mich auf dem Freiburger Bahnsteig zwischen Gleis 2 und 3 in eine Telefonzentrale.
Basel ist um 0.46 Uhr menschenleer aber hell erleuchtet. So hell, dass ich ohne Licht fahre. Was ich erst bemerke, als mich ein Polizist, den ich nach dem Weg frage, darauf aufmerksam macht. Die offizielle Jugendherberge ist das einzige Hostel, das um ein Uhr morgens noch Gäste aufnimmt. Deshalb habe ich dort gebucht. Großer Fahrradkeller. Um halb zwei liege ich im Stockbett.


Cannobio am Ufer des Lago Maggiore, Italien
Cannobio am Ufer des Lago Maggiore

Cannobio am Ufer des Lago Maggiore, Italien


Chris mit Helm in Cannobio am Ufer des Lago Maggiore, ItalienWunderbares, tiefes Schweigen
Gründonnerstag, 28. März 2013: Domodossola - Santa Maria Maggiore - Cannobio - Verbania - Domodossola (111 km)

Nach vier Stunden Schlaf weckt mich mein Handy. Im Dunkeln organisiere ich meinen Rückzug aus dem Vier-Bett-Zimmer. Sensationeller Weise ist das Frühstücksbuffet schon um Viertel vor sechs nutzbar. Mit Bircher Müsli. Viel Zeit bleibt nicht, weil um 6.17 Uhr mein Zug fährt und ringsum frischer Schneematsch liegt. Ich schiebe das Fahrrad rutschend bergauf Richtung Bahnhof.
Komme zunächst in den Bahn-Berufsverkehr. Ab Bern ist der Zug leer. Mein Interregio fährt vor dem ausgebuchten Intercity her. In Domodossola habe ich genug vom Zugfahren. Um mit dem Zug runter zum See nach Verbania-Pallanza zu fahren, müsste ich noch 'ne Stunde warten.
Ich radle los auf der gleichen Neben-Strecke wie vor 31 Jahren bei der Fahrt nach Rom. Diesmal bin ich vorgewarnt. Der Pass Piano di Sale (985 m) erwartet mich. Damals hat mich die Hitze nach der Abfahrt vom Simplon umgeworfen. Mit Müh und Not bin ich nach Cannobio gekommen. Heute ist es fünf bis sieben Grad. Nie mehr, nie weniger.
Die Straße steigt steil an ins Val(le) Vigezzo. Fahrrad Fahren wird für verboten erklärt, sofern die Beleuchtung der Galerien oder Tunneln mit neun Prozent Dauersteigung ausfällt. Dann hält sich der Weg auf der Höhe, bevor in Malesco die kleine Straße über den Pass noch einmal 200 Höhenmeter bietet. Schließlich 22 Kilometer Abfahrt zum Lago bei Cannobio. In leichtem Nieselregen. Die Füße werden kalt. An der Strandpromenade von Cannobio finde ich ein halbwegs warmes Café. Nur die Türen werden ständig geöffnet. Einige sitzen draußen. Freiwillig. Der See liegt mehr oder weniger im Dunst (Fotos rechts und oben).
Auf der Uferstraße fahre ich nach Süden. Was vor 31 Jahren eine grandiose Fahrt im Morgendunst war, die uns dazu inspirierte, Joseph von Eichendorffs "Morgengebet" auf die Fotos zu sprechen ("O wunderbares, tiefes Schweigen, wie einsam ist's noch auf der Welt..."), ist jetzt ein Motorenumtostes Trampeln gegen den leichten Gegenwind. Erst bei Verbania-Fondotoce kann ich von der Hauptstraße ab und auf die Nebenstrecke am Lago di Mergozzo wechseln. Hier ist tatsächlich "wunderbares, tiefes Schweigen". Ich bleibe bis Domodossola auf dieser ruhigen Seite des Flusses, meist direkt an der Bahnstrecke. Wo es etwas belebter ist, stehen landestypische schwarze Prostituierte unter bunten Schirmen im Nieselregen bei 6 Grad. Und lächeln verführerisch. Sie wirken so mitleiderregend, dass man ihnen am liebsten Beschäftigung gäbe.
Als ich in der Stadt die Radschuhe ausclicke, kracht die linke Pedale fürderhin entsetzlich. Sie ist Schrott. So schrottig, dass ich damit nicht mehr morgen auf den Simplon-Pass komme. Ich steuere ein Motorrad-Geschäft an direkt schräg gegenüber. Dort weist man mich zum nächstbesten Fahrradladen. Gut, dass viele Italiener - auch heute wieder - Rennradler sind. Ich bekomme nagelneue Pedale mit Click-System.
Beim Tiffany-B&B ein paar Meter weiter hab ich nicht das gleiche Glück. Die Kneipe läuft, aber ein Zimmer kann man nur telefonisch organisieren. Ein paar Meter weiter steht das Hotel Eurossola, direkt gegenüber vom Bahnhof. War mir heute Morgen gar nicht aufgefallen. Alle sind super nett, hilfsbereit, sprachbemüht. Selten so erlebt. 111 Kilometer mit 1200 Höhenmeter nach vier Stunden Schlaf: ganz ok für den Anfang.


Chris im Simplon-Hospiz, 2005 m, Schweiz
Zurück nach 30 Jahren im Simplon-Hospiz


Chris: Pause beim Anstieg auf den Simplon-Pass, SchweizHospiz-Leben ohne Bruder Knochenmark
Karfreitag, 29. März 2013: Domodossola - Grenze IT/CH - Simplon (2005 m) - Brig (64 km)

Wolkenloser Himmel über Domodossola. Frühstück gibt es schon ab sieben Uhr. Kann ich um acht starten. Die ersten vier Kilometer kenn ich schon von gestern. Da war ich etwas orientierungslos nach Norden gefahren, obwohl ich nach Osten wollte. Dann die Abzweigung zum Simplon-Pass. Es geht gemächlich bergan. Im Schatten der Berge wird es zwei Grad kalt.
Die Sonne bleibt in Italien. Die Schweiz beginnt mit Schnee. Fast drei Stunden fahre ich ohne Unterbrechung. Alles läuft bisher super. Ich brauche ein bisschen was zu essen nach 29 Kilometern auf 1.200 Metern (Foto links). Nach ein bisschen Herum-Tippeln zum Aufwärmen der Füße steigen die Glückshormone in den Kopf. Diese unbändige Lust, den Berg platt zu machen und sich damit selbst zu beglücken. Egal wie kalt und hoch und nass.
Bei einem winzigen Schlenker über Simplon-Dorf gerate ich in das Karfreitagsgerassel der Jugendlichen und Kinder. Ansonsten erinnern die vielen Autos an Car-Freitag. Die nächste Pause ist schon nach weiteren sechs Kilometern fällig. Dann zwei, dann ein Kilometer. Es zieht immer mehr zu. Ich muss mich langsam an die Höhe gewöhnen. Der Schnee türmt sich an der Seite und schließlich schneit es auf dem Pass.
Blick aus dem Simplon-Hospiz Vor gut 30 Jahren war ich zuletzt hier. 20 Jahre lang blieb der Simplon mit seinen 2005 Metern der höchste Punkt meiner Radtouren. Das Hospiz steht wie damals ohne jeden Schmuck in der Gegend rum. Wirkt tot. Damals waren einige wenige Bernhardiner-Pater in dem Riesenblock. Perspektivlos wirkte das. Wenig Gäste. Unvergessen Bruder Knochenmark, wie Georg und ich ihn nannten, weil er nach Essensende in der Küche noch die Knochen aufbrach, um das Mark daraus zu schlürfen.
Heute steht der Platz vor dem Haus voller Autos. Auf der Webcam, die ich vor ein paar Tagen gecheckt habe, waren es immer nur ganz wenige (Foto rechts). Ostern? Durch die unscheinbare Tür gehe ich hinein. Und bin umgeben von vielen Kindern, Skifahrern, Winterwanderern. Alles ist voller Leben. Der sterile Look der Gänge ist geblieben (Foto oben). Alles ist einfach. Aber modern. Das Restaurant schließt leider gerade, als ich etwas essen will.
Simplon-Hospiz Mit der Webcam meines Netbooks versuche ich noch ein paar Außenschüsse zu machen. Alles vergebens (Foto links vom Tourismus-Verband). Der Schnee ist so hell, dass alle Bilder überstrahlt sind. Dann stürze ich mich bergab in den Schneefall. Der linke Bügel meiner Brille ist beim Stecken ins Trikot zu Beginn der Pause gebrochen. Hält aber irgendwie. Es ist nur wenig zu sehen, weil die Gläser von der einen Seite beschlagen, von der andern voller Tropfen hängen.
Der eisige Wind fegt in mein Gesicht. Die Finger beginnen zu gefrieren. War es trotz Schneefalls und bei einer Schneehöhe von etwa einem Meter auf dem Pass neun Grad warm, so sinkt die Temperatur nun stetig bis auf ein lumpiges Grad. Ich muss etwas tun. Halte in einer Galerie. Stemme das Rad auf den Bordstein.
Suche im Rucksack den schwarzen Gesichtswindschutz. Ganz, ganz unten finde ich ihn schließlich. Nachdem ich alles andere in den nassen Fahrradkorb gelegt oder zwischen die Beine geklemmt habe. Die Handwärmer kommen in die Handschuhe. Eine dichtere Mütze muss her. So kann es weiter bergab gehen. Ich sehe wenig, friere viel. Bremse stetig, um nicht zu sehr in Fahrt zu kommen. Zitter. Zitter. Der Schnee geht in Schneeregen über. Von unten spritzt ohnehin massig Wasser auf. Alles wird nass. Nasskalt. Den Abzweig, an dem wir vor vier Jahren bei unserer Rhone-Tour den Aufstieg zum Simplon verpasst haben, in eine Sackgasse gerieten und wieder bergab fuhren, kann ich nicht erkennen. Ich will nur noch ins Warme. Trockene. Die Straße endet in Brig vor dem Hotel du Pont. An der Brücke halt. Ich flüchte mich hinein. Taue langsam auf mit Hilfe einer Tasse Pfefferminztee.
Als ich wieder richtig warm bin, kommt Anna mit einem kleinen Rad am Bahnhof an. Blut, Schweiß und Tränen habe ich ihr in Aussicht gestellt. Mal schaun.


Chris und Anna beim Start vor dem Schloss Stockalper von Brig, Schweiz
Chris und Anna beim Start vor dem Schloss Stockalper von Brig


Anna on the Bike an der Rhone, SchweizFlattern im Pressluft-Händetrockner
Karsamstag, 30. März 2013: Brig - Goppenstein - Zug - Kandersteg - Thun - Zug - Fribourg
(70 km)
Annas Rad hat einen Dauerschleichplatten. Den beheben wir erst mal. Das Ventil scheint defekt zu sein. Wir tauschen den Schlauch im Gepäckraum des Hotels. Dann raus in die Kälte und den leichten Regen (Foto oben). Rhone abwärts.
Wir wenden nicht viel Energie auf, den Rhone-Radweg zu finden, sondern folgen kleineren Straßen und Wegen ins Tal (Foto links). Alles ist leicht: wir rollen. Gelegentlich stoßen wir auf den Radweg. Vor vier Jahren bin ich ihm mit Miri bis zur Mündung ins Mittelmeer gefolgt. Auch gestern Abend haben wir überlegt, ob wir ihm bis zum Genfer See folgen sollen. Nein, wir wollen die Herausforderung, den Berg. Von 634 Meter in Gampel auf 1216 Meter in Goppenstein. Dort endet die Straße mit Bahnhof zur Verladung durch den Lötschbergtunnel.
580 Höhenmeter auf sieben Kilometern verkündet das Radler-Schild. Das sind acht bis neun Prozent Steigung. Im Durchschnitt. Schon vom Tal aus sieht man das Hin- und Herwinden der Straße am steilen Hang. Hardcore-Alpen. Und Anna brettert voraus. Ohne Gepäck fährt sie stetig ihr Tempo. Stetig ein bisschen schneller als ich.
Nach den ersten hundert Höhenmetern hält sie, wartet auf mich. Und meine Rettungsweste. Die verstärkt nun signaltechnisch ihr pinkes Lauftop (Foto rechts). Es rauschen viele, viele Autos an uns vorbei. Sehr viele, angesichts einer Endstation mit Autoverladung. Auch bergab. Die Züge müssen stetig in beide Richtungen fahren. Nach noch einmal hundert Höhenmetern hält Anna wieder. Wartet auf mich.
Dann der Tunnel. Ich habe ihn schon seit einiger Zeit auf der Karte im Blick. Schätze ihn auf drei Kilometer. Bergauf. Wir halten noch einmal kurz. Wollen im Tunnel enger beisammen bleiben. Weil nur ich mit Licht fahre. Anna versucht das Positive zu sehen: kein Regen. Ich warne vor dem Lärm. Immerhin erklimmen keine LKW Berg und Tunnel.
Der Anstieg ist im Tunnel etwas flacher als zuvor. Anna fährt konsequent durch. 2.400 Meter ist er lang. Am Ende wieder Pause. Dann wieder stärkere Steigung. Die letzten Meter werden zur Qual. Vorbei an der Schlange der Autos vor den stetig anfahrenden Zügen. Zu dem winzigen Ort Goppenstein mit Bahnhof.
Der Warteraum ist beheizt. Schweiz! Wir nutzen ihn, um Annas Rad zu optimieren. Das Spektrum der Gangschaltung erweitern, Licht anschließen und vor allem den Sattel höher stellen. Im Zug kassiert die Schaffnerin für die Fahrräder das Gleiche, was wir schon für die Tickets bezahlt haben. Und spricht noch von Glück, wir hätten auch 100 Franken Strafe aufgebrummt bekommen können.
Anna on the Bike beim Anstieg nach Goppenstein, SchweizIn Kandersteg (1174 m) entsteigen wir dem Zug 40 Meter tiefer. Die Abfahrt beginnt. Bald lockt uns ein Radweg von der Straße. Nach wenigen Metern endet der im Schnee. Umdrehen (Foto ganz oben). Auch heute ist die Abfahrt eher ein Horrortrip. Regen bei vier bis sechs Grad. Alles wird nasskalt. Besonders die Füße.
Und wenn es dann plötzlich wieder ein paar Meter aufwärts geht, geht gar nichts, weil alle Muskeln scheinbar eingefroren sind. Nichts als Schmerz. Und um dem Verkehr zu entgehen, wechseln wir gelegentlich auf den Seitenweg, der immer mal wieder ansteigt. Bis es gar nicht mehr geht. Und wir uns am oberen Ortsrand von Spiez in den McDonald's flüchten. Ich wringe meine Strümpfe und Schuhe aus. Lasse sie flattern im Pressluft-Händetrockner. Langsam tauen die Füße auf. Heißgetränk, heiße Apfeltasche.
Wir sind am Thuner See. Sollen wir endgültig auf den Zug umsteigen? Annas Nein: Thun ist das Tagesziel, also fahren wir nach Thun. Noch einmal in Nässe und Kälte. Am See entlang. Wenigstens flach. Dann sind wir in Thun. Und es geht weiter und weiter. Noch 500 Meter vor dem Bahnhof ist es die Hölle. Als wir im Zug sind, können wir schon wieder lächeln (Foto unten). Gut, dass Annas WG in Fribourg heißes Wasser und warme Räume hat.


Anna danach: happy im Zug von Thun nach Fribourg, Schweiz
Anna danach: happy im Zug von Thun nach Fribourg


Weiße Ostern, kalt und düster
Ostersonntag, 31. März 2013: Fribourg - Laupen - Lyss - Solothurn (71 km)

Fribourg in Weiß. Weiße Ostern. Über Nacht hat es kräftig geschneit. Wir wollen zur Kathedrale, landen aber nach wenigen Metern schon in der Rund- und Halbrundkirche Christ Roi. Messe auf Französisch. Joyeux Pâques. Anna zeigt mir in der weitgehend verlassenen Stadt Spuren von Uni-, Studenten- und Kulturleben. Auch der junge Bischof von Fribourg, Lausanne und Genf wünscht uns in der Kathedrale Joyeux Pâques.
Wander- und Radweg unter der Eisenbahnbrücke bei Fribourg, Schweiz Am frühen Nachmittag breche ich noch zu einer kleinen Etappe auf. Unter dem Eisenbahn-Viadukt (Foto links) hindurch raus aus der Stadt. Der Schnee ist vergangen. Der Wind gekommen. Aus Osten. Das habe ich nicht recherchiert und muss nun mit ihm als Gegenwind leben. Ich will die halbe Strecke nach Basel bis Solothurn fahren.
Zweifle aber wegen des Windes erneut. Finde den erstbesten Abzweig Richtung Bern/Thun nicht und lasse Solothurn nun doch näher kommen. Allerdings nicht auf dem Edding-markierten Weg. Denn eh ich mich verseh, bin ich im netten Laupen und von dort bald im Tal der Saane. Als die Straße aus dem Tal heraus nach links oder rechts auf die Höhe strebt, versuche ich mein Glück weiter im Tal.
Ein wechselndes Glück. Mal ist es Schlamm, mal eine semi-bequeme Brücke, dann muss ich doch mal auf den Talrand rauf. Bei Golaten am Zusammenflug von Saane und Aare. Es geht irgendwie immer weiter. Und ist sehr schön ruhig. Mit gelegentlichen Osterwanderern. Die Aare führt nach Aarberg, von dort die Hauptstraße nach Solothurn. Anfangs experimentiere ich noch mit Fahrrad- und Wanderwegen. In Lyss verkündet ein überdimensionaler Lindt-Hase auf der coop-Tankstelle die Osterbotschaft (Foto unten).


Lindt-Osterhase auf der coop-Tankstelle am Ortsrand von Aarberg, Schweiz
Ostern à la Suisse


Radweg im Mittelland bei Golaten, Schweiz Dann drängt die Zeit. Ich möchte den Zug um 18.18 Uhr bekommen, um den Abend wieder in Fribourg verbringen zu können. So verzichte ich auf den jetzt am Hang führenden Radweg und mache Tempo auf den letzten Kilometern nach Solothurn. Obwohl die Entfernung zwei Kilometer kürzer als auf den Schildern angegeben ist, wird es knapp.
Kalt und düster ist es inzwischen sowieso. Der Gegenwind treu. So bleibt in Solothurn nur der kurze Blick über die Aare auf die Stadt (Foto unten). Vor dem Bahnhof wird das Radl mit Helm und Wasserflasche seinem Schicksal bis Morgen überlassen. Nach nur fünf Stunden bin ich zurück in Fribourg.


Blick von Süden auf Solothurn über die Aare
Solothurn


Smartphone-Schnappschuss 30 Jahre danach
Ostermontag, 1. April 2013: Solothurn - Oberer Hauenstein (734 m) - Basel - Grenze CH/F - Neuf-Brisach - Grenze F/D - Breisach (134 km) - Zug - Mainz

Um meinen Fahrradplatz im EC von Basel nach Mainz wahrzunehmen, muss ich früh aufbrechen. Der Wecker klingelt um sechs, vorgestern wäre das noch fünf Uhr gewesen. Anna backt Croissants und bringt mich zum Bahnhof von Fribourg. Auch nach zwei Tagen hat sie sich noch nicht genügend vom harten Karsamstag-Trip regeneriert.
Mein Rad steht mit Helm und Flasche noch so in Solothurn, wie ich es verlassen habe. Acht Uhr morgens. Alles ist menschenleer. Feiertag. Der Wind weht weiter aus Ost. Wesentlich heftiger als gestern. So ist die Strecke bis zum Pass mühsam. Bei 1 Grad. Am Ortsausgang von Balsthal mache ich eine winterliche Pause vor dem Anstieg. Die drei Eier, die Anna mir mitgegeben habe, sind noch halbwegs auf Zimmertemperatur, die Croissants köstlich. Zwei Äpfel geben Zucker. Der Pass kann kommen.
Chris on the Bike am Oberen Hauenstein (734 m) 1982 Chris on the Bike am Oberen Hauenstein (734 m) 2013; Foto: Janine Nun gut, schon vor 30 Jahren erschien er uns als ein leichtes Warm-Up im Jura für die Alpen. Die dann letzlich nur aus zweieinhalb Pässen bestanden. Der Obere Hauenstein war der halbe. So lässt sich mein glücklicher Gesichtsausdruck damals erklären (Foto links). Von der Nordseite ist er noch einfacher, weil ich 200 Meter höher bin beim Start. 230 Höhenmeter auf 7,6 Kilometern werden den Radlern am Straßenrand angekündigt. Mit drei Prozent steht gleich die durchschnittliche Steigung dabei.
Das Termometer sinkt auf Null Grad. Das ist im Gegensatz zu allen andern Zahlen in Metern, Kilometern, Minuten, Stunden was richtig Absolutes. Es friert. Meine Füße habe ich extra am Ende der Pause durch einen 500-Meter-Lauf ein wenig gewärmt. In 38 Minuten bin ich oben. Und der Stein steht noch da: "Oberer Hauenstein 743 m - 2408 feet". Schon damals. Ein paar Verkehrsschilder und Botanik sind verschwunden, Asphalt dazugekommen.
Wie das dokumentieren nach 30 Jahren? Mit meiner Netbook-Webcam schwierig. Alles ringherum österlich leer. Als ich einen letzten Versuch mit dem Netbook mache, tauchen zwei Wanderinnen auf. Ich habe das alte Bild von 1982 ausgedruckt und kann damit die Dimension meines Fotowunsches unterstreichen. Tatsächlich: eine von beiden, Janine, hat ein Smartphone dabei und macht mehrere Schnappschüsse. Voilà (Foto rechts). Zurück nach 30 Jahren.
Runter ins Rheintal. Das Thermometer steigt bis Basel auf 13 Grad. Fast Frühling. Der Ostwind ist nun mein Rückenwind. Und kurz nach 12 Uhr erreiche ich den badischen Bahnhof. Checke ein paar Bahnverbindungen, verzichte auf meinen EC-Fahrradplatz und radle noch hinüber nach Frankreich am Rhein entlang. Auch wenn im Grenzbereich sich eine Speiche als gebrochen meldet. Der Ostwind dreht so güngstig, dass ich teilweise mit 30 Stundenkilometern daherfliege. Der offizielle Rheinradweg hat auch ganz gute Pisten. Teilweise an Seitenkanälen. Macht mir aber den ein oder andern Schlenker zu viel. Ich fahre blind ohne Karte und Entfernungstabelle, weil ich diese Strecke nicht vorbereitet habe.
Und dann dreht der Wind wieder. Das ist hart. Weil nach dem großen Schwung plötzlich gar nichts mehr geht. Ich kämpfe bis Neuf-Brisach. Auch das ein Quartier unserer Rom-Fahrt. Ein gutes Ende. Wegen der Bahnverbindung radle ich auf die andere Rheinseite in die Schwesterstadt Breisach und erklimme den Berg zum Münster. Das an vielen Stellen überrascht. Auch damit, dass es das Ziel dieser Tour geworden ist.
Das Schönste an der Odyssee mit fünf Zügen nach Mainz ist ein ungesichertes Wlan-Netzwerk am Bahnhof Offenburg. Das Ätzendste die Uneinsichtigkeit im prall gefüllten Zug von Offenburg nach Karlsruhe, dass Fahrradplätze nun mal für Fahrräder gedacht sind. Kurz nach Mitternacht: Roll-In im Mainzer Hauptbahnhof.


Chris on the Bike vor dem Münster von Breisach am Kaiserstuhl
Ziel: Münster von Breisach am Kaiserstuhl


Route Lago Maggiore - Breisach



Blaue Linie = Touren-Route; Buchstaben = Start und Ziel der Etappen

Etappen Lago Maggiore - Breisach (28.3.-1.4.2013)

Details mit Geschwindigkeiten, Höhenmetern etc. als Excel-Tabelle

Tag Datum Start Zwischenstationen Ziel km
1. 28.3.2013 Domodossola Santa Maria Maggiore - Cannobio - Verbania Domodossola 111
2. 29.3.2013 Domodossola Grenze IT/CH - Simplon (2005 m) Brig 64
3. 30.3.2013 Brig Goppenstein - Zug - Kandersteg Thun 70
4. 31.3.2013 Fribourg Laupen - Lyss Solothurn 71
5. 1.4.2013 Solothurn Oberer Hauenstein (734 m) - Basel - Grenze CH/F - Neuf-Brisach - Grenze F/D Breisach 134
Summe 450

Chris fotografiert sich mit Webcam von Netbook Asus EeePC 1000HE
Experimente ganz nah dran: die Tour mit der Netbook-Webcam


Anschluss Tour 124: Basel - Lindau - Mailand (689 km) Okt./Nov. 2023

Anschluss Tour 76: Genfer See - Stuttgart (792 km) März 2016

Anschluss Tour 68: Strasbourg - Vicenza (1275 km) April/Mai 2014

Anschluss Tour 46: Rhône: Quelle - Mündung (905 km) April 2009

Anschluss Tour 2: Düsseldorf - Rom (1719 km) Sept./Okt. 1982


Nächste Tour: Essen - Borkum (980 km) April/Mai 2013

Vorherige Tour: Kanarische Inseln (785 km) Dez. 2012


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Tour 82: Karibik: Barbados - Haiti (902 km) 2016
Karibik 2016
Chris Tour 91: Jerusalem - Dan - Eilat (1165 km) 2017
Negev 2017
on the Tour 96: Karibik II: Havanna - Miami (1560 km) 2018
Kuba 2018
Bike Tour 97: Kigali - Kampala - Nairobi (1136 km) 2019
Uganda 2019
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