Ich weiß, ich werde wieder
fluchen, werde kreischen und schreien gegen ohrenbetäubensten Lärm, gegen
meterhohe wankende LKW, die an mir vorbeirauschen. Die türkischen
Busfahrer bleiben die brutalsten von Eurasien. Getrieben von einem
unbarmherzigen Konkurrenzkampf. Ich werde wieder alle Stinkefinger
gleichzeitig zeigen. Die Erfindung der Hupe verfluchen. Auch wenn die
meisten meinen, mir grüßend eine Freude zu machen. Die andern mich
wohlwollend warnend von der Fahrbahn scheuchen. Aber diese Straße hat nun
wirklich nicht den winzigsten Seitenstreifen. Der Asphalt wölbt sich am
Rand ein Stückchen nach oben. Ich balanciere auf dem ausfransenden Belag.
Über Steine und Steinchen. Ich muss wieder realisieren: Für einen
türkischen Fahrer hat ein Fahrradfahrer auf der Fahrbahn nichts zu suchen.
Ich muss es erkennen, muss es verstehen, muss es akzeptieren, und dann
muss ich es schließlich umsetzen. Immer wieder. Und ich werde dennoch
immer wieder das Glück brauchen, genau im richtigen Augenblick jenen
Millimeter nach rechts zu rücken, mich ein Stück zum Straßenrand
hinüberzulehnen - um zu überleben. Und im Zweifelsfall in den Graben zu
springen, zu fallen, zu stürzen. Allen habe ich abgeraten, jemals mit
dem Rad in die Türkei zu fahren. Habe gelesen von einem Afrika-Radler, der
mit schwersten Verletzungen am türkischen Straßenrand liegengelassen
wurden. Habe gesprochen mit einem schwäbischen Radler, den anatolische
Hunde krankenhausreif gebissen haben. Aber es ist dieser Zwang, die
Notwendigkeit, die niemand sieht außer mir selbst: von A nach B, von
Ankara nach Baku. Der gleiche Drang, der mich in die Sahara treibt und
auf spanische Autobahnen. Am Ende steht nur eine weitere Notwendigkeit
oder viele weitere Notwendigkeiten: Baku - Kabul, allein wegen des Klangs.
Oder Baku - Buchara. Budapest - Baku zur Umrundung des Schwarzen Meeres.
Antakya - Bagdad oder Basra. Immer nur von A nach B.
Christoph Gocke, Gedanken vor der
Tour, Mainz, 8.4.2003 |