Geschafft: Leaving Jericho
Tiefpunkt der globalen Grenzen Kein Licht am
durchleuchteten Rad
Ich bin am tiefsten Punkt der
Erde. Mit dem Fahrrad. Wenige Meter trennen mich vom Toten Meer. Vorher
will ich noch über die Grenze, über den Jordan. Mit Schwung radle ich auf
die Brücke zu. "Allenby-Bridge", das klingt nach Lawrence von Arabien.
"Stop!" Drei jordanische Soldaten reißen mich aus meinem Tag-Traum.
Der Tonfall lässt keinen Spielraum. Und ist nur Vorspiel zu zweieinhalb
Stunden nahöstlichem Gedulds-Test. 4680 Kilometer hinter Essen darf ich
erstmals nicht mehr weiterradeln. Europäer müssen den
Nicht-Palästinenser-Bus benutzen. Drei Dollar für etwa 600 Meter. Freitag
Mittag, 12. Januar 2001, 14 Uhr. Der letzte Transfer ins Gelobte Land vor
Sabbatbeginn. Der Bus ist fast leer. Ein älteres amerikanisches
Ehepaar, ein Geschäftsmann, eine arabische Kleinfamilie. Bevor ich als
letzter zusteigen darf, müssen die jordanischen Grenzer noch etwas essen.
Nun ja. Seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 - als der Jordan zur Grenze und die
Allenby-Bridge zur tiefsten Grenzstation der Welt wurde - machen sie es
den Fahrradfahrern hier schwer. Nicht nur denen. Bis zum
jordanisch-israelischen "Friedensabkommen" 1994 ist an dieser Stelle nur
einmal die Jordan-Überquerung per Rad gelungen. Die spätberufene
Welt-Radlerin Bettina Selby beschreibt in "Riding to Jerusalem", wie sie
durch Penetranz und diplomatische Kontakte auf höchster Ebene samt Fahrrad
die Brücke passieren durfte. Ich hörte noch von zwei deutschen Radlern,
die mit dem Rahmen im Bus von Amman nach Jerusalem fuhren. Die Reifen
reisten separat mit einer anderen Gruppe. Die israelischen Grenzer
sind in Wochenendstimmung. Die SoldatInnen, wohl Wehrdienstleistende,
scherzen und flirten miteinander. Eine post-pubertäre zionistische
Peer-Group mit ihrer typischen Mischung aus Trotz gegenüber der
bedrohlichen Umgebung, Überlegenheitsgefühl und Zeltlager-Atmosphäre. Als
ich das Rad aus dem Gepäckfach des Busses gezogen habe, bin ich der letzte
Grenzgänger. Noch bevor die Befragung ergibt, dass ich auch Syrien
durchquert habe, offenbart mir eine Offizierin: Sabbat hin oder her - Das
Rad muss komplett durchs Röntgengerät. Dies ist nur für Koffer konzipiert.
Deshalb soll der Lenker abmontiert werden. Weder ich noch die Zöllner
haben dazu geeignetes Werkzeug. In einer Verhandlungspause nimmt mich ein
Soldat beiseite. Was sind das eigentlich für Menschen, diese Syrer? Der
Erzfeind Syrien - für Israelis terra incognita. Nett. Sage ich. Leben
gezwungenermaßen sozialistisch bescheiden. Erstaunen. Also soll das
Vorderrad raus. Die israelische Zange taugt dazu nicht. Mein
Fahrrad-Knochen hilft. So passt das Radl erst von vorne, dann von hinten
fast zur Hälfte in die x-ray-machine. Nach mir fallen die letzten
Rolläden am Grenzposten. Sabbatruhe. Die auf den Abtransport wartenden
GrenzerInnen schauen mir zu, wie ich Luft aus dem Vorderrad lasse, es
einbaue und wieder aufpumpe. Auch auf israelischer Seite, besetztes
Westbank-Gebiet, darf ich nicht selber fahren. Die Soldaten werben für das
Angebot der letzten israelischen Taxifahrer, mich aus dem Sperrgebiet zu
bringen. Ich frage nach dem Bus am andern Ende des Platzes. "A palestinian
bus to Jericho." Die Verachtung ist nicht zu überhören. Mir scheint er
nicht nur billiger. Für das Fahrrad ist er auch komfortabler als ein
Mercedes-Kofferraum. Meine Entscheidung beendet alle Kommunikation mit den
Israelis. Das "Shabbat Shalom" zum Abschied bleibt unbeantwortet.
Schweigen empfängt mich auch im Palästinenser-Bus. In den Augen der
Fahrgäste komme ich von der anderen Seite. Nach zwei israelischen
Check-Points lässt uns die Palestinian Authority ins autonome und
ausgestorben wirkende Jericho. Die meisten Geschäfte sind verschlossen. Im
Sonnenuntergang rolle ich zwischen ausgebombten Autowracks weiter zum
Toten Meer. Am Ufer entlang dann im Schein meiner 1,5-Volt-Taschenlampe.
Die Halterung des Vorderlichts ist zerbrochen am israelischen
Röntgen-Gerät.
"A palestinian bus to Jericho."
Zur ganzen Tour 12: Belen - Assuan (1750 km) Jan. 2001
Jericho
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